Riehl 2024 – Ein Stadtteil stirbt (Eine Glosse von Anne Krick)

Wir schreiben das Jahr 24 des 21. Jahrhunderts. Es ist der Vormittag des 22. Juni, 11 Uhr Ortszeit. Über die Stammheimer Straße weht an diesem Samstag ein laues Lüftchen bei angenehmen 24°C. Ein Tag wie geschaffen zum Flanieren, Einkaufen und Klönen an der Ecke. Doch außer einem herumtollenden Kind, von seinem missmutig dreinblickenden, kinderwagenschiebenden Vater gefolgt und einem Selbstgespräche führenden Mütterchen, ist die Meile menschenleer.

Zugehangene, verschmierte Schaufensterscheiben starren abweisend auf den löchrigen Asphalt. Dazwischen brennt Licht im 1 €-Laden, die Filialleiterin der Gnadenlos-billig-Bekleidungskette rollt gerade einen Ständer mit Made in Fernost-Shirts auf das Trottoir. In der Heiß-und-Fettig-Burger-Bude rüstet man sich für das Mittagsgeschäft.

Um die Ecke träumt der Riehler Gürtel staubbedeckt von den „guten, alten Zeiten“, als sich Mittwochs und Samstags die Menschen von nah und fern mit frischem Gemüse, exotischem Obst, bunten Blumen und zahlreichen Spezialitäten aus aller Herren Länder eindeckten.

In den Nebenstraßen dagegen bahnt sich wie üblich an jedem Werktag ein enormer Verkehrsstau an. Der SPU-Fahrer hupt wie wild, weil er sich mal wieder vom Götter-Boten in Ausübung seines Auslieferungsmarathons behindert fühlt. FatEx und Zumwinkel-Express versuchen sich gegenseitig mit gewagten Manövern die Vorfahrt zu nehmen. Hoffnungslos festgefahren hat sich der Kleinlaster von Billigstkauf beim Wendeversuch in einer Einbahnstraße. Über allen ein Heer von giftig summenden Drohnen. Sie alle bringen die Produkte, die sich die Menschen nach vielen Stunden Preisvergleichen „gaaaanz“ billig im Internet bestellt haben. Oder sie holen die Produkte wieder ab, weil sie doch nicht so toll waren, wie es den Anschein hatte oder weil man sie mittlerweile woanders noch billiger entdeckt hatte.

Das alte Mütterchen nimmt auf der einzigen freien Bank am Kiosk Platz, den die „auf der Straße Bier trinken bis zum Umfallen-Mitbürger“ nicht belegt haben und lässt die letzten Jahre Revue passieren: Als Riehl noch eine blühende Einzelhandelslandschaft war. Wo gerne gekauft wurde, weil die Produkte frisch, das Angebot vielfältig, die Beratung erstklassig und die letzten Neuigkeiten aus der Nachbarschaft gratis waren.

Doch der Virus Geizistgeil verseuchte langsam und lautlos schließlich auch die kleine Kölner Insel Riehl. Als dann auch noch der Optiker den Laden dicht machen musste, weil man zum „Geht-mich-nichts-an“-Wegschauen keine Sehhilfe braucht und keine fröhliche Feier mehr das Ruhebedürfnis der Menschen störte, als dann schließlich Riehl in den benachbarten Stadtteilen höhnisch Knöllchendorf geheißen wurde und der letzte Markthändler die Segel strich, da senkte sich eine große Stille und Traurigkeit über die Menschen. Was haben wir nur falsch gemacht, dass Gott uns so straft?

A. Krick

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