Nachbarschaft ist in aller Munde – sei es als lebendige, aktive oder neue Nachbarschaft. Doch der Begriff der Nachbarschaft wird sehr weit gefasst und wird für Stadtteil, Quartier, Sozialraum und Ansätze in der sozialen Arbeit verwendet. Eine Trennschärfe ist nicht zu erkennen. Dies liegt u. a. auch daran, dass Nachbarschaft für viele vorrangig positive Aspekte assoziieren lässt und der Begriff weit weniger sperrig ist, wie der des Quartiers oder Sozialraums.
Die Stadtsoziologie versteht unter Nachbarschaft ein soziales Beziehungsgeflecht aufgrund der räumlichen Nähe. Doch die räumliche Nähe an sich schafft keine soziale Beziehung. Es bedarf gemeinsamer Interessen, übereinstimmender Verhaltensnormen, Ähnlichkeiten der sozialen Lage und des Lebensstils, damit aus räumlicher Nähe soziale Nachbarschaft und längerfristige Beziehungen entstehen können (Arnold, 2009, S. 8).
Kontakte zu Nachbarn freiwillig und bewusst gewählt
Früher funktionierten Nachbarschaften nach klar definierten Regeln, denn als Nachbarn arbeitete und lebte man unter ähnlichen Bedingungen. Es handelte sich um „Zwangsbeziehungen“, um den Alltag bewältigen zu können, beispielsweise um sich gegenseitig bei der Ernte zu unterstützen. Diese Bedeutung hat Nachbarschaft, spätestens seit der Trennung von Wohnen und Arbeiten, nicht mehr zu erfüllen.
Heutzutage sind nachbarschaftliche Beziehungen dadurch gekennzeichnet, dass man Abstand hält, keine Neugier zeigt und Verpflichtungen vermeidet. Denn der dauerhaften Nähe ist letztendlich nur durch Umzug zu entkommen. So werden heutzutage – vor allem in Städten – Kontakte zu Nachbarn freiwillig und bewusst gewählt und in einer vorsichtig distanzierten und höflichen Form gehalten. Stadtsoziologe Siebel spricht hier von der Distanz-Norm und bezeichnet sie als die wichtigste Norm guten nachbarschaftlichen Verhaltens (Arnold, 2009, S. 8).
Nachbarschaftliche Hilfe ist heute Nothilfe
Im Alltag von heutigen Nachbarschaften kommt gegenseitige Hilfe und Unterstützung auch vor, doch die Hilfe, die man in Anspruch nimmt, bleibt auf wenige Nachbarn beschränkt. Die erbetenen Leistungen beschränken sich auf kleine Hilfen, man leiht sich kurzfristig etwas aus, passt gelegentlich auf Kinder auf, behält das Haus zum Schutz vor Einbrechern im Blick und hilft vorübergehend aus, wie z. B. bei Krankheit. Nachbarschaftliche Hilfe ist Nothilfe. Wer sie in Anspruch nimmt, macht dies in der Regel regelmäßig. Man achtet strikt darauf, dem Nachbarn nichts schuldig zu bleiben. Die Hilfeleistung soll eine Ausnahme bleiben, aus der keine Verbindlichkeiten entstehen (Arnold, 2009, S. 10).
Räumliche Nähe – Wie weit geht das?
Neben dem Beziehungsgeflecht definiert die räumliche Nähe die Nachbarschaft. Die Bestimmung wie weit diese räumliche Nähe geht wird sehr schnell deutlich, wenn wir uns klar machen, wen wir als unsere Nachbarn bezeichnen. Es handelt sich um Menschen, die im selben Haus, im Haus nebenan, im Häuserblock und in derselben Straße wohnen. Menschen, die im selben Stadtteil leben, werden von den Meisten meist nicht mehr als Nachbarn bezeichnet. So lässt sich sagen, dass unter räumlicher Nähe ein überschaubarer, zusammengehöriger Wohnbereich zu verstehen ist, der fußläufig erreichbar ist. Ein Stadtteil kann somit aus vielen Nachbarschaften bestehen.