Datum 4. Februar 2022
Liebe Lesefreunde,
es war schön, dass wir wieder in größerer Runde zusammenkommen konnten. Corona wird uns zwar noch eine ganze Weile begleiten; aber wenn eine schwerwiegendere Variante ausbleibt, können wir auf eine allmähliche Rückkehr zu „normalen“ Verhältnisse hoffen.
Beim Genuss von Anneliese Rabers köstlichem Käsekuchen konnten wir am 31. Januar über viele Werke mit ganz unterschiedlichen Themen sprechen.
Die reichen vom Aufbau und Wesen des Römischen Reiches bis zur Kanzlerin am Dönerstand, von den Männern mit den Kamelhaarmänteln bis zum Geheimen Bericht über den Dichter Goethe, der eine Prüfung auf einer arabischen Insel bestand.
Jürgen Zimmerman entdeckt im Römischen Reich erstaunliche Parallelen zu heutigen Strukturen, wobei das Geflecht von Machtinteressen und Postenverteilung heute durchweg demokratischer fundiert ist als in der römischen Adels- und Militärrepublik. Auch der nahezu reibungslose Machtwechsel im Kanzleramt gibt Hoffnung für eine friedliche Weiterentwicklung unseres sich scheinbar auflösenden Gesellschaftspaktes. Torsten Körner zeichnet in den Skizzen der Kanzlerin am Dönerstand behutsam und zugewandt Abschnitte aus Angela Merkels Lebensweg.
In der Literatur lenkt Elke Heidenreich den Blick auf Kleidungsstücke und modische Accessoires, manch vergessene Modeerscheinungen wie die Kamelhaarmäntel werden auf dieser Zeitreise durch die Mode wieder ins Licht gerückt. Auf noch märchenhafteren Umwegen wird uns „unser“ Goethe wieder nahegebracht. Der arabische Syrer und (seit langem) deutschschreibende Rafik Schami bringt uns in seinem Geheimen Bericht … den „Frankfodder Geheimrat“ nahe.
Ich denke, das wäre mal ein Werk für eine gemeinsame Lektüre (Reihe Hanser, 208 S., 9,95 Euro).
Dass Rafik Schami auch „Krimi“ kann, zeigt er in Die geheime Mission des Kardinals.
Von ganz anderer Art ist das Werk des letztjährigen Nobelpreisträgers
Abdulrazak Gurnah. In seinem Roman Das verlorene Paradies beschreibt ein afrikanischer Jugendlicher aus Ostafrika seine abenteuerliche Reise mit der Handelskarawane seines arabischen „Onkels“ ins Innere Afrikas bis jenseits der großen Seen. Mich hat die sachliche Erzählweise in Bann geschlagen. Zum ersten Mal habe ich das Völkergemisch Ostafrikas verstanden, auf das die Europäer bei Ihrer „Kolonisation“ im 19. Jahrhundert stießen. Arabische Kaufleute, indische Händler/Geldverleiher und schwarzafrikanische „Wilde“ als Jäger, Sammler und Bauern, aber auch als Teil der muslimischen Stadtbevölkerung. Ein weiterer vom Englischen ins Deutsche übersetzte Roman von Gurnah wird erst Mitte März erscheinen: Ferne Gestade.
Hinweisen will ich noch auf Ronald Balsons Karolinas Töchter, in dem sich die hochbetagte Lena auf die Suche nach ihrer Freundin Karolina macht, die mit ihr das Ghetto überlebt hat. Der 2016 gestorbene Publizist und Fernsehmoderator Roger Willemsen hat in Musik! Verschiedene Musikrichtungen und Interpreten beschrieben und mit beispielhaften Aufnahmen verknüpft.
Mein Favorit ist Edgar Selge mit seinem autobiografischen Werk über seine Familie Hast Du uns endlich gefunden? Der bekannte Schauspieler schildert selbstkritisch seine Jugend in der Provinz, mit vier Brüdern, einer in die graue Haushaltskulisse verschobene Mutter aus gutem Hause und einem strengen wie liebevollen Vater, der als Jurist im Dritten Reich überzeugter Nationalsozialist war, nach dem Krieg sich als Gefängnisdirektor für die Resozialisierung straffälliger Jugendlicher einsetzte, ein ehrgeiziger Pianist war und die Gefängniskirche wie die große Dienstwohnung für anspruchsvolle Hauskonzerte nutzte.
Da der Roman bisher nur als gebundenes Buch (Rowohlt, 301 S., 24 Euro) erschienen ist, greife ich als gemeinsame Leseempfehlung doch wieder auf Rafik Schamis Goethe zurück (s.o.). Ich denke, auch wir können noch so einiges über den berühmtesten deutschen Dichter, Naturwissenschaftler, Staatsbeamten erfahren.
Ich freue mich darauf, wenn wir uns darüber beim nächsten Treffen
am Montag, dem 28. Februar 2022, ab 18:00 Uhr
in der Werkstatt Meerbeck, Zwickauer Str. 16
austauschen wollen.
Diesen Rosenmontag könnten wir durchaus ein wenig auflockern mit Karnevalsaccessoires, Krapfen und heiteren Sprüchen!
Merken Sie in Ihren Kalendern bitte schon den Lesekreis im März vor, der ausnahmsweise schon am dritten Montag, dem 21.3., stattfindet.
Seien Sie sehr herzlich gegrüßt von
Ihrem Wolfram Reutlinger