Wo sie nicht wissen, was sie tun

Die „Grundrente“ des Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kommt in der dritten Legislatur in den Bundestag. Vorgesehen sind mindestens 35 Rentenjahre, wenn jeweils mindestens 30% und maximal 80% des Jahresrentenpunktes erreicht wurde. Circa 1.000.000 Arbeitnehmer sollen ab 2021 in den Genuss der Aufstockung kommen.

Menschen in den Niederlanden bekommen im Schnitt 1.200 Euro Basisrente, selbst wenn sie nie eingezahlt haben, dies ist eine Grundrente.  Bundestagsabgeordnete erhalten nach vier Jahren den gleichen Anspruch.

Das niederländische Rentensystem gilt laut OECD als eines der besten Rentensysteme der Welt. Denn im Schnitt bekommen niederländische Rentnerinnen und Rentner 98 Prozent ihres durchschnittlichen Bruttogehalts. Eine staatliche finanzierte Grundrente erhalten Menschen sogar, wenn sie gar nicht in der Rentenkasse eingezahlt, also nie gearbeitet haben. Dazu dann noch die betriebliche Rente. Auch im Nachbarland Österreich geht es den Rentner erheblich besser.

In Deutschland legt der dritte Bundesarbeitsminister, Hubertus Heil, eine sogenannte Grundrente vor, die in etwa dem Hartz-IV Satz entspricht. Sie erfordert eine 35-jährige Versicherungszeit und soll von der deutschen Rentenversicherung unabhängig von der Individuellen Bedürftigkeit ausgezahlt werden. Leistungsberechtigt werden aber viele Personen, die nicht wirklich bedürftig sind, während andere, weil sie die erforderliche Versicherungszeit oder Leistungshöhe nicht einhalten konnten, ausgeschlossen werden. Dies könnte verfassungswidrig sein und benachteiligt gesetzlich Versicherte gegenüber Personen, die eine private und betriebliche Altersvorsorge haben. Auch bei der Gewährung der Freibeträge werden beide Gruppen unterschiedlich behandelt. Mit diesem Modell lässt sich die Altersarmut nicht wirklich wirksam bekämpfen.

Die Koalition streitet über die Grundrente für einige wenige, die sie als Ziel im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Hauptstreitpunkt ist, dass der Vorschlag des Bundesarbeitsministers  auf eine aufwendige Bedürftigkeitsprüfung verzichtet. Nicht nur das macht seinen Vorschlag ungerecht, ineffizient,  selbst wenn die Bedürftigkeit geprüft würde, wäre die Grundrente ein falscher Ansatz, der mehr Probleme schafft, als löst. Es ist erstaunlich, wie wenig lernfähig die Politik ist. Nachdem die Vorgängermodelle die Zuschuss und die Lebensleistungsrente im Jahre 2012 der damaligen Bundesministerin für Arbeit und Soziales Ursula von der Leyen und die Solidarrente bzw. Zuschussrente ihrer Nachfolgerin Andrea Nahles wegen nicht auflösbarer Systemwidersprüche gescheitert sind, hat nun auch Hubertus Heil mit Zustimmung der SPD Gremien die Einführung einer Grundrente vorgeschlagen. Das Grundkonzept seiner Respektrente ist mit den Vorgängermodellen vergleichbar, der begünstigte Personenkreis wird jedoch erheblich ausgeweitet, was den Vorschlag viel teurer macht, und neu sind Details der Durchführung, insbesondere der völlige Verzicht, auf die Bedürftigkeitsprüfung.

Auch dieses Modell wird scheitern. Es trägt nichts zu Bekämpfung von Altersarmut bei. Erhalten wird die Grundrente ein Personenkreis, der von Ausnahmen abgesehen, nicht arm ist. Die meisten der Rentner, die sie brauchen könnten, bekommen sie nicht, weil sie die zeitlichen Voraussetzungen der Grundrente nicht erfüllen. Dass sie im Ergebnis gesetzlich Pflichtversicherte gegenüber Personen, die betrieblich oder privat vorgesorgt haben, benachteiligt, ist verfassungswidrig. Das Modell ist auch zu teuer, weil die Grundrente in das EU-Ausland exportiert werden muss und Pflichtversicherungszeiten im EU-Ausland angerechnet werden. Die Gefahr ist groß, dass die Koalition sich auf einer teuren und abgespeckten Version einigt.

Demjenigen der die Voraussetzungen für die Grundrente erfüllt, soll zudem bei der Ermittlung des Wohngeldes ein pauschaler Freibetrag eingeräumt werden. Auch in der Grundsicherung soll er einen Freibetrag von bis zu 106 Euro erhalten. Mit diesen Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass das Alterseinkommen langjährig Versicherter oberhalb der Grundsicherung liegt. Bei Grundrente soll es keine Bedürftigkeitsprüfung geben, die aber zu erfolgen hat, wenn Wohngeld oder ergänzend Leistungen der Grundsicherung in Anspruch genommen werden. Die Neuregelung soll auch für den Rentenbestand gelten. Während das Faktenpapier des Bundesarbeitsministeriums eine Finanzierung durch die Beitragszahler andeutet, denn es sei Aufgabe der Solidargemeinschaft, sicherzustellen, dass sich Arbeit lohnt, ist in dem Papier der SPD von einer Steuerfinanzierung die Rede, denn es sei eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft, kleine Renten aufzustocken. Das Ministerium rechnet mit Kosten von einem mittleren einstelligen Milliardenbetrag pro Jahr.

Warum der Grundrentenvorschlag nicht leistungsfähig ist

Der Minister betont, mit seinem Vorschlag auch Altersarmut bekämpfen zu wollen. Dieses Ziel wird aber völlig verfehlt. Von der Grundrente sollten, so das Ministerium, 3 Millionen, bis 4 Millionen, Menschen profitieren. 2017 haben aber aus Scham nur etwa mehr als 421.000 Personen, 2,7% aller Altersrentner, ergänzend zur Rente Leistungen der Grundsicherung bezogen. Nun sind es 1 bis 1,5 Millionen. Das wären maximal 14% bzw. 10,5% der potenziell Anspruchsberechtigten. Doch die meisten dieser Versicherten hätten schon deshalb keinen Anspruch auf die Grundrente, weil sie keine 35 Jahre mit Grundrentenzeit zurückgelegt haben. Von den Versicherten, die mehr als 35 Versicherungsjahre aufweisen, bezieht nach dem Alterssicherungsbericht der Bundesregierung 2016 nur 1% ergänzend Leistungen der Grundsicherung. Diese Zahlen machen deutlich, dass es bei diesem Personenkreis praktisch keine Altersarmut und aus diesem Grund keinen Bedarf für eine zusätzliche Sicherung gibt. Das zeigt, dass die geplante Grundrente kein Instrument ist, Altersarmut zu bekämpfen, es gibt sie bei dem begünstigten Personenkreis nahezu nicht. Selbst wenn man eine Dunkelziffer von Fällen unterstellt, in denen die Grundsicherung nicht beantragt wird, wird erkennbar, in welchen groteskem Missverhältnis die Zahlen, der Bedarfsfälle zur Zahl der Anspruchsberechtigten steht.

Dagegen gibt es viele Rentner, die wegen der vorausgesetzten 35 Jahre mit Grundrentenzeiten nicht begünstigt werden, obwohl sie im Alter ergänzend auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind. Beschäftigte im Niedriglohnbereich, die weniger als 35 Jahre versichert waren, Erwerbsminderungsrentner, die mit 15,2% der Fälle mehr als fünfmal so häufig auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind wie Altersrentner, viele Versicherte, die in ihrem Leben abwechselnd abhängig beschäftigt bzw. selbständig tätig waren, Langzeitarbeitslose, die nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes nicht mehr versichert werden, alleinerziehende Frauen, die noch dadurch benachteiligt würden, wenn wie nach dem Faktenpapier geplant bis zu sieben Jahre Kinderberücksichtigungszeit je Kind auf die Grundrentenzeit nicht angerechnet werden sollten. Wie nun Kindererziehungszeiten und Pflegezeiten eingerechnet werden, bleibt zu prüfen. Für all die Gruppen, die sich in der Diskussion über Altersarmut als besonders gefährdet herausgestellt haben, bringt die neue Grundrente nahezu nichts. Weil sie in keiner Weise zielgenau ist, kann sie nicht als Instrument zur Bekämpfung von Altersarmut gerechtfertigt werden.

Warum der Grundrentenvorschlag ungerecht ist

Bundesarbeitsminister Heil will dies mit dem Respekt erklären, den wir der Lebensleistung dieser Menschen schulden. Das Grundgesetz verpflichtet uns, die Würde des in Not geratenen Mitmenschen zu achten, deshalb hat er Anspruch auf das zum Lebensunterhalt Notwendige. In der Achtung der Würde des Anderen ist auch der Anspruch auf Respekt ihm gegenüber eingeschlossen. Respekt aber ist allen geschudet. Warum soll er bei einer Teilgruppe ohne Vorleistung und ohne Not zu finanziellen Berechtigungen führen? Der Respekt ist kein anspruchsauslösender Grund, ihm fehlt jede Präzisierung, um finanzielle Ansprüche zu begründen. Er ist keine Gegenleistung, die sich an einer Vorleistung messen ließe. Er ist keine Hilfe, für die die Not Maßstab sein könnte. Alles was an Ansprüchen aus Respekt gefolgert wird, ist willkürlich, die Voraussetzungen der Grundrente sind hierfür ein Beispiel.

Das wird auch nicht präziser, wenn ein Respekt vor einer Lebensleistung eingefordert wird. Wie soll diese Leistung bewertet werden, um daraus Geldansprüche abzuleiten? Heils Vorschlag erkennt nur die Lebensleistung an, der 35 Jahre Versicherungspflicht wegen abhängiger Beschäftigung, Kindererziehung oder Pflege zugrunde liegen. Dabei ist es zunächst schon ungerecht, dass nicht zwischen Teilzeit und Vollzeitbeschäftigung unterschieden wird, was aber, weil die Daten fehlen, für die Vergangenheit nicht möglich wäre. Auf die Lebensleistung kommt es dem Vorschlag nach auch gar nicht an, im Gegenteil: War sie gemessen an dem wirtschaftlichen Erfolg ertragreich, wird sie nicht honoriert. Je niedriger ihr Ertrag ist, desto höher ist die Grundrente. Man kann aber, der Einwand wäre richtig, eine Lebensleistung nicht nur am Einkommen messen. Doch das spricht gegen das Modell.

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