Nach Corona – Digitalisierung braucht Netzwerke

Wir erkennen, wir haben den Anschluss im öffentlichen Leben versäumt und hecheln der Entwicklung hinterher. Gesetze verabschieden hilft wenig. Wo bleiben die systematischen Auswertungen, die Hinweise auf Fehler oder falsche Pfade?

Wer die Presse verfolgt, meint die Digitalisierung sei erst gestern erfunden worden. Am 01.07.2021 hat die Einführung der Elektronischen Patientenakte einen weiteren Meilenstein erreicht. Diese technische Etappe kann ein Anlass für Verbraucherinnen und Verbraucher sein, über einen Umstieg auf die elektronische Patientenakte (ePA) und dem damit verbundenen möglichen Nutzen, aber auch den gegebenen Risiken nachzudenken. Damit eine fundierte Entscheidung unter Abwägung aller Risiken und Nutzen getroffen werden kann, sind ausreichende und einfach zugängliche Informationen über den technischen Stand und mögliche Bestrebungen im Hintergrund dringend erforderlich.

Die öffentlichen Mittel für Industrie, Verwaltung und Wohlfahrtsbehörden scheinen unerschöpflich. Wer kennt nicht die Anfänge von Commodore 64 in den 80igern. Überall auf der Welt lassen sich Anwendungen der Informationstechnologie (IT) finden. Wenn Amazon und Google für jedermann sichtbar auch in die Sozialwirtschaft einsteigen, wird man sehen, dass die Vorteile der hiesigen Sozialwirtschaft nicht in der Technik liegen, sondern in der human-aufgeklärten Weise, mit der man dem „Kunden“ entgegentritt und wirkliche personale Hilfe anbietet, wer hat noch nicht von Alexa und den anderen „Hilfen“ gehört. Die Verlockungen des Geldes lässt Träume erscheinen.

Es entsteht eine schöne neue, soziale Welt, wenn die Informationstechnik in all ihren Varianten und Möglichkeiten die Köpfe des Managements und auch die Familien belegt und die Wirklichkeit des Handelns und Denkens bestimmt. Betrachten wir den Ausschnitt der Pflege in den Familien und den Heimen, den Wohngemeinschaften.

Was gewinnen wir?

Zeit für Gespräche, für Zuwendung und Empathie, für das Zuhören und das freundliche Miteinander werden schon deshalb schrumpfen, weil es keine Mitarbeiter, keine Hilfen mehr gibt, die solche Techniken verinnerlicht haben und anzuwenden wissen. Es droht uns die schlechteste Hilfe für die Hilfebedürftigen, dies aber auf bestem IT-Niveau. Wagen wir den Blick in ein Krankenhaus, eine Pflegeeinrichtung.

Die heute zentralen Regulierungshebel des Gesundheitswesens – Vergütungssysteme, Kapazitäts- und Bedarfsplanung, Qualitätssicherung – werden in ihrer jetzigen Form im Jahr 2025 überholt sein. Maßgeblicher Treiber dafür ist die Vernetzung von Daten mit der dadurch entstehenden Transparenz über das Versorgungsgeschehen und die Ausdifferenzierung des Leistungsspektrums durch datenbasierte Personalisierung der Versorgung. Es werden einige wenige Plattformen entstehen, die Versorgungspfade der Patienten und die Investitionen und Geldanlagen der Leistungserbringer steuern werden.

Ein erheblicher Teil der Prävention, Diagnostik und Versorgung (Gesundheit & Krankheit) wird durch Algorithmen gestützt stattfinden. Analoge Versorgung im Krankenhaus, im Labor, in der Apotheke und in der Arztpraxis wird durch künstliche Intelligenz (KI)-basierte Assistenzsysteme ergänzt oder gar ersetzt.

Bereits heute sehen wir zahlreiche Beispiele: Google Health, Fitnesstrecker etc.

Beschlossen und umgesetzt werden unter dem Aspekt: „Die Versorgung wird in Zukunft noch mehr „Gesunderhaltung“ bedeuten.“ Die elektronische Patientenakte (ePA) wird zu einer Gesundheitsakte weiterentwickelt. Sie soll, neben Krankheits- auch Gesundheitsdaten des Arztes, auch die Daten, die über Apps mit dem Smartphone gesammelt werden, enthalten und für die Gesunderhaltung und Versorgung im Krankheitsfall genutzt werden. Die ePA bildet dabei ein Ökosystem für die vielfältigen Anwendungen und Lösungen, die wir uns heute gegebenenfalls noch gar nicht vorstellen können.

Gesundheit als Wirtschaftsfaktor

Das noch funktionierende Solidarprinzip der Gesetzlichen Krankenversicherung läuft Gefahr, weiter durch Wirtschaftlichkeitsaspekte unterminiert zu werden: Die Errichtung notwendiger Infrastruktur, die Bereithaltung von Kapazitäten für Auslastungsspitzen, die Finanzierung von Freihaltepauschalen für Intensivbetten, die zeitlichen Ressourcen zur Generierung wertvoller Gesundheitsdaten (Abrechnungsdaten, klinische Daten etc.) durch die Leistungserbringer – all das sind Kosten, die vom Solidarsystem für alle getragen werden. Doch Mittel drohen den Kreislauf der solidarischen Finanzierung der Gesundheitsversorgung zukünftig schneller und stärker zu verlassen. Eine ganz neue Dimension wird dieser Aspekt erfahren, wenn Akteure ins System eintreten, die auf Basis der Gesundheitsdaten ganz neue, datenbasierte Geschäftsmodelle anbieten und mit der Besetzung der Kundenschnittstelle eine kaum angreifbare Marktposition einnehmen. Sind die Daten sicher und geschützt?

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor unseres Sozialsystems ist es noch, dass es zwischen den Playern (Kassen und Leistungsanbieter, ohne Beteiligung der Versicherten) einerseits eine Balance zwischen Koordinierung und Konsensfindung („koordinativer Korporatismus“) gibt. Es fehlt andererseits das Risiko und der Wettbewerb im Gesundheits- und Pflegemarkt, er verspricht den Leistungsanbietern sichere Erlöse. Mit zahlreichen Neuregelungen soll die digitale Gesundheitsversorgung systematisch ausgebaut werden. Nun kommen bewußt indirekte Leistunganbieter der Kommunikation, der IT-Branche als Kostenträger ins Sozialsystem und erhalten gesicherte Erlöse aus den Sozialkassen. Sind die Daten sicher und geschützt?

Das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) sieht eine Weiterentwicklung digitaler Gesundheitsanwendungen, den Ausbau der Telemedizin, zusätzliche Einsatzmöglichkeiten in der Telematikinfrastruktur (TI) und eine Förderung der digitalen Vernetzung vor. Das Gesetz 19/27652 wurde am 6. Mai 2021 im Bundestag verabschiedet und kann in Kraft treten. Geregelt werden damit: Digitale Pflegeanwendungen (DiPAs), digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGAs), Telemedizin, Telematikinfrastruktur (TI), Video- oder Messagingdienst, elektronische Gesundheitskarte, elektronische Rezept (E-Rezept), der bunte Straus liest sich wie ein Wunschzettel.

Wie die Einführung der elektronischen Patientenakte zeigt, kann die Digitalisierung weder zentral verordnet werden, noch kann sie, wie die Erfahrung zeigt, an Runden Tischen ausgehandelt werden. Stattdessen müssen an entscheidenden Stellen im System die Chancen der Veränderungsmöglichkeit zur Akzeptanz der Beteiligten transparent frühzeitig vermittelt werden:

  • Stärkere Ausrichtung auf die Nutzer/Patienten durch eine wertbasierte Vergütung von gesundheitlichen Leistungen.
  • Mehr Ideen: Die Universitäten und Weiterbildungseinrichtung sollten nationale und europäische Thinktanks/Plattformen für die Weiterentwicklung des Systems bilden.
  • Verbindliche technische und klare Datenstandards, damit Geschäftsmodelle, die auf einem Lock-in-Effekt basieren, möglichst eingeschränkt werden.
  • Eine klare Rollenaufteilung: (Sub-)Staatliche Institutionen sollten die Hoheit über die Festlegung von Rahmenbedingungen und Standards haben und gleichzeitig die relevanten Akteure, die Verbraucher eingeschlossen, transparent und verbindlich beteiligen, sowie weitere Instrumente erhalten, um diese effektiv durchzusetzen und grundlegende Infrastrukturen kontrolliert bereitzustellen. Oft vergessen die Möglichkeiten der paritätisch besetzten Gremien der Sozialversicherungen.
  • Die Entwicklung von Innovationen – Dienstleistungen, Produkten, neuen Geschäftsmodellen – innerhalb dieses Rahmens müssen wettbewerblich, kleinteilig erfolgen. Voraussetzung für Wettbewerb ist, dass es Unterschiede in Preis und/oder Qualität gibt. Die notwendigen Verträge, müssen bei Nichteinhaltung zu Sanktionen führen.
  • In der ganzen Aufzählung fehlen die Betroffenen, Versicherten, Patienten, die Bewohner.

Wer nimmt uns mit?

Ziel:

Mit der Vernetzung und Transparenz durch Datenströme ist formal die Voraussetzung gegeben, die Versorgung mehr an ihrer Qualität auszurichten und diese zu vergüten. Die seit langem diskutierte und mit dem 1.1.2022 im Pflegebereich umgesetzte halbjährliche Indikatoren Übermittlung soll mittelfristig zu qualitäts- und Out-come-basierte Vergütung und Steuerung führen. Sie kann einen echten Schub erzielen, wenn die gewählten Bewohnervertretung ein Kontrollrecht der übermittelten Daten erhalten, die Angehörigen- und Patientenbewertungen niedrigschwellig in die Versorgung sowie in die Vergütung einbezogen werden.

Das Solidarprinzip basiert darauf, dass alle – Gesunde wie Kranke und Pflegebedürftige – Beiträge bezahlen und damit für den Krankheits- und Pflegefall versichert sind. Dieses Solidarprinzip sollten wir in Zukunft weiterentwickeln für den nicht-kommerziellen Umgang mit Daten. Die beste Versorgung war schon immer und wird in Zukunft noch viel stärker eine auf der Basis empirisch zusammengetragener und bewerteter wissenschaftlicher Erkenntnisse von diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen und datenbasierte Versorgung sein. Das Versprechen der Digitalisierung, Menschenleben zu retten und zu schützen, kann nur erfüllt werden, wenn wir solidarisch mit unseren Daten umgehen und durch Zusammenführung und gezielte Auswertung unserer Versorgungsdaten – ähnlich wie mit unseren Versicherungsbeiträgen – zur Versorgung aller beitragen.

Eine gesellschaftliche Stabilisierung wird es auf Dauer nur geben, wenn sich alle Bürger der Solidarität, ohne Bemessungsgrenzen und ohne Standesvorteile, in einem System verpflichten. So kann der Kommerzialisierung der Gesundheitsdaten ein Nährboden entzogen werden.

Der kommende 20. Bundestag muss die Sicherung der Sozialgesetze umsetzen. Der  obige Wunschzettel zur Digitalisierung kann ein notwendiger Baustein sein. Versprechungen der letzten vier Regierungen für die Bürger scheiterten an der Lobby, weil Bürger den Abgeordneten vertrauten und das Abstimmungsverhalten nicht hinterfragten.  Corona wird uns wie die jährliche Grippe begleiten. Gesundheit und Klima sind unzertrennlich verbunden. Wenn wir uns nicht einbringen, haben wir bereits verloren.

Mit diesem Beitrag wollen wir den Aktionismus in der Gesetzgebung aufzeigen. Das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) für Interessierte veröffentlichen und es aus dem stillen Kämmerlein der Lobbyisten ans Licht holen und gleichzeitig mögliche Gefahren aufzeigen. Was nutzen Gesetze, die zum Nachteil der Bürger gereichen, weil sie nur einen einseitigen Mehrwert hervorbringen, der aus den Sozialkassen geleistet wird, die von den Arbeitgebern und Versicherten kontrolliert werden.

Die nächsten Sozialversicherungswahlen finden  2023 auch online statt. Alle Versicherten sind aufgerufen. Bisher fand selten eine Wahl statt, weil nur soviele kandidierten, wie Plätze zu vergeben waren.

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Wir freuen uns über Ihre STIMME beim Online-Voting unserer Bewerbung bei WIR IST Plural vom 9.7.- 8.8.202, mit dem Preisgeld finanzieren wir die zweite erweiterte und verbesserte Auflage „Der Bewohnerbeirat“. Schenken Sie uns Ihr und bleiben Sie gesund, dies wünschen allen Lesern Uwe und Siegfried

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