Politische Lügen in der Demokratie

Wahrheit und Lüge in der Politik!

Die meisten Menschen teilen vermutlich die Einschätzung, dass Politik ein schmutziges Geschäft sei. Die Affären Wulff, Nüßlein und van de Leyen haben dieses Urteil verstärkt, Täuschungen, Lügen und Manipulationen sind in der Politik häufig anzutreffen. Jeder Wahlkampf scheint zu bestätigen, dass Politiker geradezu systematisch von diesen Instrumenten Gebrauch machen. Die Lüge ist ein universelles Phänomen. Es gibt in der gesamten Menschheitsgeschichte keine bekannte Kultur, der das Lügen fremd gewesen wäre. Interessanterweise ist die Lüge aber nicht nur omnipräsent, sondern auch fast immer und überall verpönt. Lügen gilt als Sünde, als Laster, als schändliches Verhalten, und das in nahezu jedem Lebensbereich. Nach Georg Simmel hat Lügen gerade in modernen Gesellschaften einen ausgesprochen schlechten Ruf. Er erklärte dies damit, dass

  1. Wahrhaftigkeit eine besonders leicht zu erfüllende Tugend sei,
  2. die moderne Gesellschaft über weitaus mildere Mittel als Täuschung verfüge.

Paradoxerweise wird in modernen Gesellschaften natürlich ständig gelogen. Als besondere Vergehen wurde seit jeher die Lügen politischer Eliten erachtet. Die Lüge eines Politikers gegenüber der Bevölkerung widerspricht eklatant moralischen Tugenden, die bereits in der attischen Demokratie und im Mittelalter auch und gerade von der Obrigkeit erwartet wurden, nämlich, ehrlich zu sein und bei der Ausübung öffentlicher Ämter stets Wahrhaftigkeit walten zu lassen. Ideengeschichtlich betrachtet erfuhr die politische Lüge während der Renaissance eine gewisse Rehabilitation durch die Einsicht von Machiavelli. Spätestens mit dem unaufhaltsamen Siegeszug demokratischer Herrschaftssysteme in der jüngsten Neuzeit musste sich das Problem der politischen Lüge, das vermutlich ebenso alt ist wie die Menschheit selbst, jedoch aufs Neue und mit nie dagewesener Schärfe stellen.

Mit der Überwindung des Untertanentums zugunsten einer institutionalisierten Statusgleichheit von Regierenden und Regierten wird jedwede Anwendung manipulativer politischer Methoden fragwürdig und setzt sich zu Recht dem Verdacht des Machtmissbrauchs aus. Die Überzeugung, dass Politiker auch unter demokratischen Bedingungen regelmäßig lügen oder lügen müssen, ist ein weit verbreitetes Vorurteil, mit dem Politiker typischerweise zu kämpfen haben und das sie selbst aus nachvollziehbaren Gründen natürlich energisch bestreiten. Tatsächlich stellen Politiker eine Berufsgruppe dar, von der man regelrecht erwartet, belogen zu werden. Auch in Meinungsumfragen bestätigt sich regelmäßig, dass es in der Wahrnehmung der Bevölkerung um die Glaubwürdigkeit von Politikeraussagen äußerst schlecht bestellt ist.

Feststellung der Schuld bei Lügen

Der Versuch, Lügen aufzudecken und nachzuweisen, ist generell schwierig, selbst wenn die Wahrheitsinstanzen funktionieren. Dazu kommt, dass die Parteien gerade in Wahlkampfzeiten für ihre Positionen mit Propaganda auf die Unentschlossenen einwirken. „Propaganda wird üblicherweise so aufgefasst, dass sie mittels >>Lügenmärchen<< vorgehe, ein Netz aus Lügen und Falschmeldungen spinne und dass die Lüge notwendig sei.“ so Jacques Ellul in „Propaganda“ Seite 76. 

Üblicherweise greifen die Kontrollmechanismen erst im Nachhinein, wenn die Lüge bereits gewirkt hat. Das führt zu Problemen, zum Beispiel, dass überführte Lügner eventuell nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, weil sie nicht mehr im Amt sind (van de Leyen,). Auch kann es sein, dass durch die Lüge entstandener Schaden für den Bürger/innen nicht mehr behoben werden kann, weil auf der Grundlage der Lüge bereits Entscheidungen gefällt worden sind, die nicht rückgängig gemacht werden können. Zudem ist es schwer nachweisbar, dass jemand tatsächlich mit Täuschungsabsicht unwahrhaftig war. Bei der politischen Lüge wiegt die Last des Beweisens oft schwer als die Last des Beweises: Wie kann jemandem quasi gerichtsfest nachgewiesen werden, in einer spezifischen Situation bewusst gelogen zu haben? Die Ausreden sind bekanntlich: die Berater, die Gutachter oder gar das Vergessen.

War es nur Unwissen oder doch eine gezielte Falschaussage?

Was genau wussten die Akteure, die Wahrheitswidriges behauptet haben? Wurden sie selbst vielleicht Opfer von Falschinformationen? Stand vor der vermeintlichen Täuschung der einen die Täuschung  durch andere? Kann dann noch von Lüge die Rede sein oder handelt es sich um Irrtum? Hinter mancher politischen Lüge mögen dann doch konkrete politische Akteure stecken, die, wenn sie die Fake-Nachricht nicht in Auftrag gegeben, so doch zumindest gebilligt haben. Das nachzuweisen und nachzuverfolgen, erscheint im Dickicht des Internets aber kaum noch möglich. Doch manchmal werden getroffene geheime Absprachen der CDU, SPD und Grünen zur Vergabe von Führungspositionen aufgedeckt. Kölner Stadtanzeiger  

Die Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte im Jahr 2018, nachdem ihr diese Absprache bekannt geworden war, den Deal gestoppt und weitere Transparenzinitiativen gestartet, u.a. eine deutliche Verschärfung des Public Corporate Governance Kodex (Richtlinien zur Kontrolle und Führung von kommunalen Unternehmen für mehr Transparenz im Sinne des Gemeinwohls). In Kraft gesetzt worden war dieser Kodex in Köln schon im Jahr 2012. Er sieht vor, dass z.B. bei der Besetzung von Geschäftsführerposten eine Ausschreibung und transparente Kandidat:innenauswahl erfolgen soll.  Papier ist geduldig, aber auch hilfreich!

Chancen und Grenzen

Es ist offenkundig, dass die Auseinandersetzung über das, was wahr und unwahr ist, schwieriger geworden ist. Genau dies kennzeichnet womöglich die Lage von Lüge und Wahrheit, durch Verschweigen im in der deutschen Demokratie. Wenn falsche Informationen online generiert werden und sich in unglaublicher Geschwindigkeit viral verbreiten, wenn es keine allgemein anerkannten Instanzen der Wahrheit mehr gibt, wenn Parallelwelten und alternative Fakten koexistieren, dann zeigt sich vielleicht gerade darin eine neue Phase in der Auseinandersetzung mit der politischen Lüge, mit unabsehbaren Folgen und drohendem Schaden für die demokratische Kultur. Auch die politisch Verantwortlichen in Politik und Medien sind gefordert. Selbst wenn die Akteure nicht immer die Autoren der Lüge sein müssen, kommt ihnen eine besondere Verantwortung für eine politische Kultur der Ehrlichkeit zu, auch und gerade im Umgang mit Lügen, die ihnen selbst oder bewusst anderen nutzen, sei es durch Weglassen, Verdrehen von Fakten. Dabei gilt es, zu lernen, dass der Ehrliche nicht zwangsläufig der Dumme ist.

Damit sind wir bei den vielleicht wichtigsten Akteuren angelangt, den Bürgerinnen und Bürgern selbst. Eine Lüge funktioniert nur, wenn sich Leute finden, die sich belügen lassen. Bereits jetzt gibt es eine gesunde Skepsis gegenüber der politischen Kommunikation. Die Fähigkeit, die Informationsflut zu bewältigen, Nachrichten einzuordnen, unsichere Fakten als solche zu erkennen, wird im Zeitalter online basierter politische Kommunikation zu einer Schlüsselkompetenz für die Bürgerinnen und Bürger. Diese werden zu ihren eigenen Wahrheitsmanagern.

Kommunen haben sich wie Firmen ein Compliance-Code gegeben. Auch Ihre Gemeinde, Stadt?

Eine politische Medienkompetenz muss frühzeitig und umfassend vermittelt werden. Hier sind vor allem die Einrichtungen der schulischen und außerschulischen Bildung gefragt. In diesen Zeiten eine Kultur der Ehrlichkeit zu entwickeln, ist jedenfalls ein großes Projekt. Aber es ist eines, das verhindern kann, dass aus dem Zeitalter der Wahrheitskrise ein ehrliche, Demokratie wird. Dies in einer Zeit des Zerfalls der Volksparteien, der konkurrierenden Parteien um die Gunst der Wähler. Lassen wir uns nicht durch die modernen Informationsmittel zum freiwilligen Spielball und durch Konformität dienstbar werden. 

Lassen wir nicht für uns denken,

nehmen wir uns die Freiheit selbst zu denken.

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