Sexualität in der Pflege

Liebe kann alles

Zwischen Tabu, Sex und Lebenslust in der Pflege

Alterssexualität ist nicht sexy und sehr schambehaftet. Um diesen Wunsch nach Zärtlichkeit offen kundzutun, braucht es viel Mut und Selbstbewusstsein. Auch die eigene sexuelle Sozialisation hat Auswirkungen auf mein Verhalten und Handeln im Alter.

Unsere Welt wirkt auf behinderte oder kognitiv eingeschränkte Personen ganz komplex. Sie sind deshalb oft nicht in der Lage diese Reize differenziert zu betrachten, beziehungsweise auf Situationen angemessen zu reagieren. Wer lässt sich im Alltag, in unserer wirtschaftlich orientierten Welt, schon auf den Menschen und seine Gefühle ein. Ist es nicht verpönt „Schwäche“ zu zeigen und über seine Bedürfnisse zu reden.

Was Pflegekräfte über Sexualität in der Pflege wissen sollten. Pflege zielt darauf ab, Menschen mit Pflegebedarf zu betreuen, Krankheiten zu lindern und Gesundheit zu fördern. Das umfasst die ganzheitliche Sorge um das Wohlbefinden und schließt somit – zumindest theoretisch auch das sexuelle Wohlbefinden als wichtigen Gesundheitsfaktor und Beitrag zur Lebensqualität ein. Doch wie, sieht die Praxis aus?

Warum ist Sexualität wichtig?

Sexuelles Wohlbefinden ist für die meisten Menschen ein Grundbedürfnis. Die große Bedeutung selbstbestimmt ausgelebter Sexualität wird nicht zuletzt von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt. Wohlbefinden ist als Teil der Gesundheit und sexuelles Wohlbefinden als ausdrücklichen Bestandteil Sexueller Gesundheit definiert. Sexuelle Gesundheit ist somit mehr als die Abwesenheit von sexuell übertragbaren Infektionen, sexuellen Funktionsstörungen und sexueller Gewalt, sondern schließt das im Rahmen der Möglichkeiten erreichbare Höchstmaß an sexuellem Wohlbefinden mit ein.

Muss sich die Pflege um sexuelles Wohlbefinden kümmern?

Menschen, die kurz – und insbesondere langfristig auf Pflege angewiesen sind, haben vor dem Hintergrund der international anerkannten Menschenrechte sowie der UN-Behindertenrechtskonvention genau wie alle anderen Menschen auch ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Teilhabe. Sexuelle Menschenrechte beziehen sich dabei sowohl auf Schutzrechte als auch auf Freiheitsrechte. Pflegekräfte und Pflegeeinrichtungen sind somit stark gefordert, für sexual freundliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Das bedeutet in der Theorie, dass Betreuten in der Pflege aktiv Möglichkeiten gegeben werden müssen, ihre Sexualitäten individuell selbstbestimmt auszuleben, das soll ohne Beeinträchtigung von Dritten geschehen, aber auch ohne Abwertung, Diskriminierung und moralische Sanktionierung durch Dritte.

Die Sexualität pflegebedürftiger Menschen führt häufig zu Missverständnissen und Ratlosigkeit.

Sex nicht als Tabu zu behandeln, sondern die professionelle Pflege bewusst an sexual freundlichen Werten zu orientieren, ist durchaus mit kirchlichen, karitativen  und humanistischen Werten vereinbar. Aktuelle Pflegekonzepte und Qualitätshandbücher von Einrichtungen der Altenhilfe integrieren zunehmend sexual freundliche Leitlinien zum Umgang mit Sexualität. Oft wird verwiesen auf das Qualitätshandbuch der Seniorenheime des Landkreises Oder-Spree (im Original nicht aufzufinden), dort sollen ausdrücklich die Rechte der Betreuten auf selbstbestimmte Sexualität festgeschrieben sein. Benennt konkret unter anderem Selbstbefriedigung, gegen- und gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte, Pornografie und Sexualassistenz. So auch im Handbuch der Barmherzigen Brüder von Trier als Literaturangabe.Gleichzeitig wird detailliert festgelegt, dass und wie die Intim- und Privatsphäre der Betreuten zu achten und wie damit umzugehen ist, insbesondere wenn Pflegehandlungen ungeplant sexuelle Erregung auslösen. Auch die Pflegeforschung treibt die Enttabuisierung von Sexualität stark voran. Dabei werden übereinstimmend zwei Bündel von sexual bezogenen Ansprüchen pflegebedürftiger Menschen identifiziert. Diese deckt sich mit den Forderungen, die in der politischen Alten- und Behindertenbewegung sowie in den entsprechenden Forschungsfeldern der Disability Studie allesamt in einem menschenrechtsorientierten Rahmen formuliert werden.

Pflegebedürftige Menschen mit Demenzerkrankungen werden nicht selten als sexuell enthemmt wahrgenommen, sie berühren Mitbewohner und Pflegende gegen deren Willen sexuell, bewegen sich unbekleidet in der Öffentlichkeit, auf dem Flur oder im Speisesaal. Hier geht es im Sinne von Prävention darum, eine angemessene Nähe Distanz Regulation zu erlernen, gemeinsame Hausregeln zu beschließen und durchzusetzen, das Pflegepersonal zu geeigneten Interventionen zu schulen. In Pflegeeinrichtungen kann Solosexualität nur genossen werden, wenn die notwendigen Rückzugsorte und -zeiten im Pflegeplan berücksichtigt sind und gewünschte Hilfsmittel wie erotische und pornografische Materialien oder Sexspielzeug beschafft und genutzt werden können. Im Sinne sexueller Selbstbestimmung sollten moralische Vorstellungen des Pflegepersonals nicht die Selbstbefriedigung der Gepflegten reglementieren, sofern diese in angemessenem Rahmen stattfindet. Sexualpädagogische Fachkräfte können hier begleitend tätig sein, die Pflegenden entlasten und mit den Gepflegten individuell passende Handlungsspielräume für die jeweiligen körperlichen Gegebenheiten erarbeiten. Oft mischen sich dann Zu- oder Angehörige ein, weil es schwerfällt die Mutter oder den Vater gar in einer neuen Beziehung zu sehen.

Zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gehört aus menschenrechtlicher Perspektive auch das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung. Auch wenn dieses Menschenrecht durch die UN-Behindertenrechtskonvention nochmals ausdrücklich für alle Menschen bekräftigt wurde, wird dies Menschen sehr oft noch vorenthalten. 

Was sind Sexualassistenten?   Antwort in der Sendung

Sexualität in der Pflege hat sich in den vergangenen Jahren vom Tabu zu einem in der Forschung, Praxis und breiter Öffentlichkeit immer stärker beachteten und differenzierter reflektierten Themengebiet entwickelt. Das aus menschenrechtlicher Perspektive alle Menschen mit Pflegebedarf dieselben sexuellen Schutzrechte und dieselben sexuellen Freiheitsrechte genießen wie andere Menschen auch, ist heute unbestritten. Dennoch besteht die dringende Notwendigkeit, bei der demografisch wachsenden Gruppen von Menschen mit altersbedingtem Pflegebedarf mehr für den Schutz vor sexueller Gewalt und mehr für die Freiheit zu selbstbestimmtem und vielfältigem sexuellen Ausdruck zu tun. Hierfür sind nachhaltige und integrale Maßnahmen bei den Diensten und Einrichtungen der Krankenpflege sowie der Altenpflege notwendig, und zwar auf drei Ebenen:

Die Institution muss für sich ein einrichtungsspezifisch ausgestaltetes, sexualfreundliches Leitbild und Konzept erarbeiten, das die sexuellen Schutz und Freiheitsrechte der von ihr Betreuten gleichermaßen berücksichtigt. Reine Schutzkonzepte, die nur auf die Gewaltprävention ausgerichtet sind, greifen zu kurz. Zu fordern sind Konzepte, die den Schutz vor sexueller Gewalt mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung vereinen. Bei der Konzeptentwicklung ist externe Expertise vor allem aus dem Bereich der Sexualpädagogik hinzuzuziehen. Der Prozess der Konzepterarbeitung ist partizipativ innerhalb der Einrichtung unter Mitwirkung aller Gruppen zu gestalten. Für  die Umsetzung des Konzepts ist die langfristige Zusammenarbeit mit externen lokalen Diensten der Sexualberatung, Sexualtherapie und Sexualbegleitung notwendig und auch eine entsprechende Struktur in der Einrichtung selbst zu schaffen, einschließlich enger Zusammenarbeit mit Angehörigen.

Pflegende benötigen

  • ausreichende und wiederholte Aus-, Fort-und Weiterbildung zu Fragen von Sexualität, damit sie ihre Moralvorstellungen und inneren Barrieren reflektieren lernen. Das wiederum ist notwendig, um die eigene Haltung zu klären, sexualfreundliche Handlungsweisen zu erlernen, sich selbst wahrnehmen und abgrenzen, und sich fachlich sicher zu fühlen.
  • Zudem muss es in Supervisionen sowie in Team- und Fallbesprechungen regelmäßig die Gelegenheit geben, aufkommende sexuelle Fragen lösungsorientiert zu erörtern. Dabei geht es um die Fürsorge für die Gepflegten und einen respektvollen Umgang mit ihren sexuellen Grenzen und Bedürfnissen.
  • Und es geht um die Selbstfürsorge der überwiegend weiblichen Pflegenden, die sich im Pflegealltag nicht selten vor sexuellen Grenzverletzungen schützen müssen.Eine sexualfreundlicher Ansatz beachtet die Rechte aller Beteiligten und spielt sie nicht gegeneinander aus.

Sex als Thema im Bewohnerbeirat, der Angehörigenarbeit

In Einrichtungen sollte es darüber hinaus Teilhabekonzepte geben, damit eine Mitbestimmung über sexuelle und sonstige Lebensbedingungen möglich ist und nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden wird. Es besteht kein Zweifel, dass dieses Vorgehen zweckmäßig ist, im Einklang mit der Rechtslage und dem bisherigen Forschungsstand steht sowie bei Pflegenden und Gepflegten prinzipiell auf Zustimmung stößt. Ergänzend zu den genannten Veränderungen in der professionellen Pflege ist auch eine Verbesserung der Fortbildungs- und Beratungsinfrastruktur für informell Pflegende notwendig, damit sie die Sexualitäten der von ihnen in häuslichen Bereich gepflegten sachgerecht begleiten können.

Gesellschaftlicher Gestaltungsbedarf besteht. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, angefangen damit, dass latent bestehende Probleme in den Einrichtungen angesprochen werden und den Pflegekräften Hilfestellungen im Rahmen der Fürsorgepflicht angeboten werden. Die Schere im Kopf klappert schon. Zur Ablenkung wird das Argument der Finanzierung kommen. Es ist auch ein ethisches Problem für den Arbeitgeber, den/die Personalverantwortlichen. Pflegekräfte dürfen nicht als Roboter und Kostenfaktor, müssen als Menschen wahrgenommen werden.  Der Pflegenotstand darf Sexualität in der Pflege nicht verdrängen oder als vermeintliches Luxusproblem abgetan werden.  Warum sich nicht mit den Gedanken des

Snoezelen (snuselen) dem  multifunktionales Konzept aus den Niederlanden auseinandersetzen? Sex ist mehr als körperliche Befriedigung: Es ist ein zentraler Aspekt des Menschseins.

Lesenswert ist das Handbuch der Barmherzigen Brüder Trier mit weiteren Literaturangaben. Der Beitrag soll Hilfestellung geben und zur weiteren Diskussion, insbesondere auch aus Sicht des Gepflegten anregen.

Beitrag wird fortgeführt  – Bewohnerbeirat –

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