Eine Freundschaft geht nie in Rente

Eine acht Jahrzehnte alte Freundschaft  ist in der Rückschau schon geheimnisvoll und zauberhaft. Die erste Liebe auch, nicht Peter? Ich erzähle es Dir.

„Kommt der kleine Junge zum Spielen?“ – Ja, das habe ich vor 80 Jahren, 1932, gefragt, als über uns eine neue Familie einzog. Es war ein altes schönes Haus in Berlin, gebaut im Jugendstil. Wir lieben es noch heute. Und Peter kam zum Spielen, ob auf den Hof oder mit anderen Kindern Völkerball auf der Straße. Wir sind zusammen auf Bäume geklettert, haben Froschlaich im nahen Fließ gefischt, haben Radtouren gemacht und sind schwimmen gegangen. Wir wurden mit 5 Jahren eben dicke  Freunde.

Wir gingen  zusammen zur Volksschule, damals – vor 80 Jahren! – in getrennten Klassen. Wir haben im Treppenhaus „Hochzeit“ gefeiert, Peter mit Vaters Zylinder, ich mit einer ausrangierten alten Gardine als Schleppe und  Fliederstrauß im Arm. Unsere Spielgefährten haben Blumen gestreut und waren Trauzeugen! Wer hat bloß  das schöne Bild von damals noch? Oh. du holde Kindheit, wo bist du nur geblieben? Wir haben die Olympiade in Berlin 1936 miterlebt. Konfirmiert wurden wir beide mit 15 Jahren am gleichen Tag. ½ Jahr Arbeitsdienst haben wir auch geleistet.

1944, als wir 17 waren, 1 Jahr vor dem Abi, musste Peter zur Flak, ich zur  Scheinwerferabteilung. Es war im Krieg und wir das letzte Aufgebot. Peter und ich haben die Kriegswirren überstanden, es gab ja zum Glück  Feldpostbriefe genug.

Kriegsende 1945: Wir haben den Krieg  ERLEBT und ÜBERLEBT! Dann: Wir waren wieder im Jugendstilhaus, gesund und munter! In dieser unserer „Jugendzeit“ räumten wir  mit  vielen anderen in Schubkarren die Steine  im bombardierten  Berlin weg!!! Aber in den Ruinen entstand eine Tanzschule. WAS war DAS eine schöne Zeit!! Wir vergaßen die“schlechten“ Jahre.

Es ist eben Freundschaft, sie kann man nicht in Gewichten messen. Aber für uns war sie wichtig, denn es wurde unsere „erste Liebe“; und  diese märchenhafte Zeit vergesse ich nicht. Peter studierte, und ich ging zur Modeschule, alles im kaputten Berlin. Warum ich einen Freund von ihm heiratete und er eine Freundin von mir … weiß der Kuckuck!  Beide Ehen von uns gingen auseinander. Jeder heiratete neu und in jeder Familie wurden 2 Kinder geboren.

Die Jahre vergingen, ohne uns zu fragen! Ilse, eine Tochter von mir, heiratete in Berlin. Als ich einmal  zu Besuch bei meinen Freundinnen war, rief Ilse Peter an. “Brigitte ist in Berlin, ich gebe dir die Telefonnummer.“ In Berlin dann dort ein Anruf: “Kann ich bitte ihre Frau Schwiegermutter sprechen?“, fragte Peter meinen Schwiegersohn. Das  bin ja ich, meine Güte! Eine bekannte Stimme fragte: „Rate mal, wer dran ist? … Dein alter Freund.“ – „ Meine Güte! Peter!“ – Ja, das ist wirklich mein treuer alter Freund.

Peter wohnt jetzt  in Bonn, ich in Mülheim an der Ruhr. Es gibt ja Telefon und die Post, Auto und die Bahn. Mein Mann starb und später Peters Frau. Und nun? Jeder wohnt in einer anderen Stadt. Diese Freundschaft aber bleibt, auch mit 85 Jahren, wir lieben beide immer noch das alte wunderschöne Jugendstil-Haus in Berlin, wo wir für uns die schönste Zeit erlebten. Wenn ich in Berlin bin, besuche ich es jedes Mal.

Mit Peter ist es eine tolle „Weißt-du-noch-Freundschaft“ – und unsere erste Liebe. Ich kenne ja seine Eltern noch, er kennt meine Eltern, wir haben immer noch die gleichen Bekannten in Berlin. Ich glaube, es ist einfach eine „Berliner Freundschaft“ seit 8o Jahren mit zauberhaften Erinnerungen; das Böse haben wir im Dorfteich versenkt. Die Welt ist aber etwas bunter und lebendiger mit einem Freund aus der Kindheit und  Jugendzeit. Es gibt immer noch viele wunderbare Tage und Stunden. Auch in der schnelllebigen Zeit. Aber die Seele läuft eben zu Fuß, und das ist manchmal gut so. Ach ja: Wenn ich Peter  umarme,  muss ich mich auf die Zehenspitzen stellen, er ist jetzt fast zwei  Köpfe größer als ich.  Nichts mehr mit „kleiner Junge“. Aber immer noch mein erster Freund und meine erste Liebe …

Brigitte Block

Dezember 2012
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