Einmarsch der Amerikaner

… in ein kleines Dorf im Solling am Harz 1945

Schoningen_1944_MitteWir schrieben inzwischen das Jahr 1945. Ich war 7 Jahre alt und schon länger als ein Jahr bei meinen Pflegeeltern in Schoningen. Von Bombardierungen blieben wir weiterhin verschont, aber von Flüchtlingsströmen nicht.

Zunächst flüchteten deutsche Soldaten vor den Amerikanern, die in unserem Dorf Zwischenstation machten und dabei um Übernachtung und etwas zu essen baten. Einen Soldaten nahmen auch meine Pflegeeltern auf. Ich kann mich erinnern, dass er nur kurze Zeit blieb. An einem Tag musste er ins Dorf, um etwas zu erledigen entweder für meine Pflegeeltern oder für sich, genau kann ich es nicht mehr sagen, jedenfalls durfte ich mit ihm gehen. Unterwegs sagte er ganz traurig zu mir: „Zu Hause habe ich auch so ein kleines Mädchen wie dich, das auf mich wartet und ihren Papa wieder sehen möchte. Ich hoffe, dass es eines Tages wahr wird“. Ich wünschte es ihm, er war so ein netter Mensch. Jeder sehnte sich zu der Zeit nach irgendeinem Angehörigen. Von meiner Situation wusste er ja auch.

Dann kam der Tag, an dem er weiter musste, denn die Amerikaner und Russen rückten immer näher, und man würde ihn sofort gefangen nehmen.

Nach den deutschen Soldaten folgten Flüchtlingsströme aus Ost-Berlin, Sachsen, Schlesien etc. Sie flüchteten vor den Russen und baten um Einquartierung und etwas zu essen. Die meisten kamen nur mit dem an, was sie am Körper trugen, nur wenige hatten noch einige Dinge, die sie von ihrer Heimat mitnehmen konnten. Sie hatten es sehr schwer.

Nun waren aber auch die Russen schon bis kurz vor Göttingen, so dass auch in unserem Dorf Angst herrschte, sie könnten hier einmarschieren. Meine Eltern hätten mich dann sofort wieder nach Essen geholt. Es hieß damals: „Die größte Gefahr kommt jetzt aus dem Osten.“ Aber es trat nicht ein. Die kriegerischen Auseinandersetzungen wurden Gott sei Dank im Mai 1945 beendet, und die Russen blieben im Osten, die Amerikaner im Westen, erfuhren wir. Wir hatten also Glück gehabt, dass wir noch zum Westen gehörten.

Im Sommer erfolgte dann der Einmarsch der Amerikaner mit ihren Panzern in unser kleines Dorf, immer auf der Suche nach deutschen Soldaten. Aber die waren ja schon alle wieder weiter gezogen. So besetzten die Amerikaner dann etliche Häuser in unserem Dorf, u. a. auch das Haus vom Vater meiner Pflegemutter. Vater und Bruder meiner Pflegemutter mit Familie mussten aus ihrem Haus raus, sie waren mit 5 Personen. Allerdings weiß ich nicht mehr so genau, ob alle bei uns mit einquartiert wurden oder nur teilweise. Jedenfalls war das Haus meiner Pflegeeltern überfüllt, weil meine Pflegeeltern auch noch Flüchtlinge, eine Mutter mit ihrer Tochter, aufgenommen hatten.

An eine nette Episode mit den Besatzern erinnere ich mich noch: In der Nähe des Hauses meiner Pflegeeltern hatten einige Amerikaner ihren Panzer abgestellt, und sie selbst standen daneben und unterhielten sich. Wir Kinder waren neugierig und wollten uns den Panzer mal von Nahem ansehen. So ein Ungetüm hatten wir doch noch nie gesehen. Also gingen wir zu den Amerikanern und sahen uns dieses Ungetüm an. Mir aber genügte es nicht, ich wollte den Panzer auch von innen sehen, also sprach ich einen der Amerikaner an, ob ich da nicht einmal drin sitzen dürfte. Meine Freundinnen und Freunde, wir waren ca. 5 Kinder, wollten mich zurückhalten. Aber ich ließ keine Ruhe, und dann stellte ich auf einmal fest, dass er eine ganz andere Sprache sprach als wir. Ich zeigte noch mal auf mich und den Panzer, und dann verstand er und hievte mich hoch in den Panzer, und ich stellte fest, dass es innen sehr warm war.

Für mich war es ein tolles Erlebnis mal in so einem Ungetüm gesessen zu haben. So sind nun mal Kinder. – Und trotzdem war es eine verlorene Kindheit. So sehe ich es heute.

C. Goller im September 2014

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