Für Rosa und Hans

Wir waren auf der Flucht vor Krieg und Gewalt,
wir waren noch jung, zwölf oder dreizehn Jahre alt.
Wir marschierten bei Wind und Regen
der deutschen Grenze entgegen.

 

Wir waren erschöpft, wir hatten nichts zu essen,
wir haben rohe Kartoffeln gegessen,
die wir, ich sage es unverhohlen,
aus Kartoffelmieten gestohlen.

In Neukirchen-Balbini nahm die Flucht ein Ende,
unser Leben nahm eine neue Wende.
Auf Stroh zu schlafen im Gasthof Kraus,
hielten wir vierzehn Tage aus.

 

Wir machten uns auf, suchten einen neuen Hort,
wir fanden einen, Kitzenried hieß der Ort.
Ein kleiner Ort am Ende der Welt,
rings umgeben von Wald und Feld.

 

Wir klopft’n an die Tür des ersten Bauernhofs an
und boten unsere Hilfe an.
Als Lohn wollten wir nur Nahrung und Bett.
Können Sie uns brauchen? Das wäre nett.

 

Sie gaben uns zu essen und staunten nicht schlecht
wie viel wir verputzten, uns war es recht.
Familie Biebl, Retter in der Not,
gab uns Obdach, Wärme und Brot.

 

Ein Bett für uns zwei in einer kleinen Kammer,
das war für uns der absolute Hammer.
Beim ersten Hahnenschrei standen wir auf,
dann begann unser Tageslauf.
Stall ausmisten und neues Streu rein,
Sauberkeit im Stall musste ja sein.
Frau Biebl und Kathi molken die Kühe,
sie gaben sich die größte Mühe,
die armen Kühe nicht zu verletzen
und bearbeiteten sanft die Euterzitzen.
War das geschafft, dann gab es zum Glück,
auch für uns das ersehnte Frühstück.
Als nächstes lernten wir die Zentrifuge kennen,
mit der konnte man den Rahm von der Milch trennen.
Aus diesem Rahm wurde in einem Fass Butter.
Das Drehen des Fasses missfiel der Biebl Mutter
und so mussten wir fast eine Stunde lang drehen,
dann konnte man die Butter sehen.
Von der, wurde dann, oh Graus
die Hälfte abgeliefert aus dem Haus.
Das war zu der Zeit sogar Pflicht,
es nicht zu tun, das gab es nicht.
Frau Biebl konnte aber, es ist zum Lachen
aus fünf Pfund Butter, fünf Kilo Butter machen.
Es gab viel Arbeit auf dem Hof,
wir beide machten alles, wir waren ja nicht doof.
Nur einmal, es ist tatsächlich wahr,
schwebten wir beide in Lebensgefahr.
Klee zu mähen war uns aufgetragen,
wir fuhren los mit dem Ochsenwagen.
Wir mähten Klee und luden ihn auf,
in der Ferne zog ein Gewitter auf.
Und plötzlich prasselte der Regen,
der kam uns ziemlich ungelegen.
Wir suchten Schutz unter dem Wagen
und betrachteten mit Unbehagen
das Blitzen und das Donnerwetter.
Das ging auch gut für kurze Zeit,
doch plötzlich war es dann so weit.
Ein Blitz, ein Donner mit Getöse,
ich glaube Petrus war uns böse.
Denn wie von der Tarantel gestochen
sind die Ochsen ausgebrochen.
Sie rasten in den nahen Wald,
wie wild und total durchgeknallt.
Den Ochsen stand ein Baum im Wege
denn, sie hatten keine Säge.
Den Wagen hat es dann zerlegt,
wir waren total aufgeregt.
Das Zaumzeug war dann auch zerrissen,
die ganze Lage war beschissen.
Wir beide aber, nass bis auf die Haut
haben uns ganz blöde angeschaut.
Einen Schutzengel hatten wir, das ist klar,
sonst wären wir heute nicht mehr da.
Doch die Moral von der Geschicht’:
Bei Gewitter mäht man nicht!
So lebten wir bei Biebl ein halbes Jahr,
wir wollten heim, das ist doch klar.
Im Oktober platzte dann der Knoten,
eine Fahrt nach Nürnberg wurde uns angeboten.
Nach Nürnberg mit einem Ami LKW
eine grausame Fahrt, o je, o je.
Ab Nürnberg mit den Güterzügen
war zum Verrecken kein Vergnügen.
Fünf Tage dauerte die Reise,
ohne Wasser und sehr wenig Speise
kamen wir in Essen an.
Rings herum nur Trümmer, Mannomann.
Wir sahen aus, ich kann es euch nicht ersparen,
total verdreckt mit schulterlangen Haaren.
Die Bekleidung: Das waren nur noch Fetzen!
Meine Mutter wurde blass vor lauter Entsetzen.
So endet nun meine Geschichte
von Kitzenried, von der ich berichte.
Kitzenried ging mir nicht aus dem Sinn,
deswegen fuhren wir noch fünfmal hin,
um Ferien bei Rosa zu verleben.
Das war große Klasse, so ist das eben.
Dieses Gedicht habe ich für euch Biebls gemacht,
weil ich immer an euch gedacht.
Ich red‘ nun nicht mehr lange,
Ende der Fahnenstange!
HR

Der damals 12-jährige Horst R. war mit vielen anderen Jungen 1945 auf sich allein gestellt, als seine Schule in der damaligen Tschechoslowakei gegen Ende des Krieges aufgelöst wurde und es kriegsbedingt keine Möglichkeit gab, nach Hause zu gelangen.
Lesen Sie hier seinen Bericht: Flucht aus der Tschechoslowakei

Letzte Artikel von Brigitte Reuß (Alle anzeigen)

Schreiben Sie einen Kommentar