Kindheit im „Dritten Reich“

Foto: Piano Piano!

Ja, wie war es denn in meiner Jugendzeit im sog. Dritten Reich – als Kind? Sicher nicht viel anders als heute, abgesehen von der Tatsache, dass wir früher viel ärmer waren und unsere Spiele mit viel Lärm verbunden waren. Mangels Spielzeug bastelten wir uns unsere Spiele phantasievoll selbst zusammen.

Obwohl seit 1933 die Nazis an der Macht waren, merkte ich logischerweise als kleines Kind nichts davon. Bis ich dann in die Schule kam  – mit einem Schultornister, in dem sich eine Schiefertafel, Griffel, Griffelmäppchen, Schwamm und ein kleines Tuch zum Trocknen der Tafel befand. Als erstes wurde uns über unsere Begrüßung beigebracht: Statt“ Guten Morgen, Herr Lehrer“ sagten wir „Heil Hitler, Herr Lehrer“. Wir waren als Kinder ja stolz auf unseren „Führer“ – wie der größte Teil der deutschen Volksgenossen damals. In der Schule lernten wir schreiben mit der Sütterlinschrift, angefangen mit dem i, dann n, m, und so weiter. Erst nach einem halben Jahr schrieben wir die ersten Worte und ab dem zweiten Schuljahr ganze Sätze. Im dritten Schuljahr konnten wir die gelernte Sütterlinschrift vergessen. Ab da wurde nur in lateinischen Buchstaben geschrieben.

Ab einem Alter von acht Jahren begann ich mich für das Jungvolk und die Hitlerjugend zu interessieren. Wir Jüngeren hängten uns an marschierende Kolonnen des Jungvolks an und versuchten Gleichschritt zu halten. Ab dem zehnten Lebensjahr wurde man in das Jungvolk aufgenommen. Es war keine Pflicht, aber wer nicht mitmachen wollte oder durfte, wurde links liegen gelassen, er gehörte nicht dazu.

Ich bekam mit zehn Jahren eine Uniform und war sehr stolz, diese zu tragen. Die zehn bis vierzehnjährigen Jungen bildeten das Jungvolk (DJ). Die vierzehn bis achtzehnjährigen Jungen waren die Hitlerjugend (HJ). Die Mädchen von zehn bis vierzehn Jahren waren im Jungmädelbund; die vierzehn bis achtzehnjährigen Mädel bildeten den Bund der deutschen Mädel (BDM).

Es wurden Heimabende in eigenen HJ-Heimen abgehalten mit Geschichten über unsere ach so tapferen Ahnen, den Germanen, wir lernten markige Lieder und nicht zu vergessen den Lebenslauf Adolf Hitlers, den wir auf Befehl runterspulten wie das Vaterunser.

In jedem Klassenzimmer hing über dem Lehrerpult ein Bild Adolf Hitlers. Auch in den Wohnungen hingen Bilder des „Führers“, ob man ihn mochte oder nicht. Mochte man ihn nicht, so hing man trotzdem ein Bild von ihm an die Wand, denn es gab viele Parteigenossen, die jene, welche nicht an Adolf Hitler glaubten, denunzierten.

Feiertage, wie der erste Mai, der Tag der Arbeit waren bei uns sehr beliebt, durften wir doch als Jungvolk mitmarschieren zum Festplatz, der mit jeder Menge Birkengrün und unzähligen Fahnen geschmückt war. Fahnen hingen nicht nur auf dem Festplatz, sondern auch aus fast allen Fenstern in der Stadt. Ein Parteigenosse höheren Ranges hielt eine markige Rede und alle schrieen: “ Heil dem Führer Adolf Hitler!“ Vor dem 1. Mai aber wurde am zwanzigsten April der Geburtstag Adolf Hitlers mit noch größerem Trara gefeiert. Egal, wie man das heute sieht, wir glaubten an den Führer. Wir wurden so erzogen, um nicht zu sagen, gleichgeschaltet. Aus heutiger Sicht frage ich mich, wie war es möglich ein ganzes Volk so zu fanatisieren?

Nachdem der Krieg 1939 ausgebrochen war, siegte unsere Wehrmacht an allen Fronten, was auch uns Kinder jubeln ließ. In fast jeder Wohnung gab es einen Rundfunkempfänger aus schwarzem Bakelit, der sogenannte Volksempfänger. Fast täglich ertönte aus dem Radio die Siegesfanfare, um wieder einen glorreichen Sieg zu vermelden. Stand eine Rede des „Führers“ im Radio an, so waren die Straßen so leergefegt wie heute bei einem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft.

Unsere Ausbildung beim Jungvolk diente in erster Linie dazu, wehrtüchtige Männer aus uns zu machen. Sport hatte einen sehr hohen Stellenwert. Jedes Jahr wurden Reichsportveranstaltungen abgehalten, an dem jeder Junge teilzunehmen hatte. Diese Spiele bestanden aus drei Disziplinen. Weitsprung, 100-Meter-Lauf und Schlagball-Weitwurf. Es musste eine bestimmte Punktzahl erreicht werden, um ein Sportabzeichen in Bronze, Silber oder Gold zu erhalten. Ich nahm in jedem Jahr bis 1944 am Wettkampf teil und war stolz, eine Plakette zu erreichen.

Im Alter von zehn Jahren fuhr ich 1942 zum ersten Mal in ein KLV-Lager (Kinderlandverschickung) in das damalige Protektorat Böhmen und Mähren, heute Tschechien und Slowakei. Aber das ist eine andere Geschichte.

Horst R. im Mai 2015

Letzte Artikel von Brigitte Reuß (Alle anzeigen)

Schreiben Sie einen Kommentar