Wohnungsnot nach dem Krieg auch in Mülheim

§ 1  Zum Begriff der unterbelegten Wohnung

  1. Bei der Prüfung, ob die Zahl der Räume höher ist, als die Zahl der Wohnungsbenutzer, sind 2 Kinder unter 14 Jahren einer erwachsenen Person gleichzustellen. Einzelkinder von 1-14 Jahren haben Anspruch auf einen halben Raum. Stehen halbe Räume (Mansarden unter 10 qm) nicht zur Verfügung, ist im Zweifel zugunsten des Betroffenen zu rationieren.

  2. Bei der Berechnung der Größe einer Küche ist nicht von der Nutzfläche, sondern von der Bodenfläche auszugehen… Küchen über 10 qm sind Wohnräume…

Um die Wohnungsnot besser in den Griff zu bekommen, hieß es in einer Meldung:

„Für die Dringlichkeit wurde ein Punktsystem eingeführt. KZ-Häftlinge und andere politisch Geschädigte erhalten je nach dem Grund des zugefügten Unrechts 6 bzw. 3 Punkte. Schwerverletzte und Versehrte der Stufe 1 bekommen 3 Punkte, durch Alter und Krankheit Bevorzugte 2 Punkte, Schwangere und Versehrte der Stufen I und II 2 Punkte, Kinder unter 14 Jahren ebenfalls 2 Punkte. Jeder andere Wohnungssuchende wird mit einem Punkt notiert. Bei der Wohnungsbelegung gilt zur Zeit in Hamburg der Grundsatz: ein Wohnraum für anderthalb Mitglieder einer Familie. Einem Ehepaar, sofern es Wohnungsinhaber ist, werden 2 Zimmer zugestanden. Sonst kann auch ein Ehepaar nur einen Wohnraum beanspruchen“.

(Die Welt, 28.5.1946; aus Zeitlupe 20; Bundeszentrale für politische Bildung, Mai 1987)


Wie bereits beschrieben, waren viele Menschen unzureichend in Notunterkünften und Bunkern untergebracht. Aber auch sonst konnte man nicht von normalem Wohnen sprechen. Nur 7,4 Quadratmeter entfielen im statistischen Durchschnitt auf eine Person.

Folgender Bericht des „Westdeutschen Volksechos“ vom 30.07.1946 über die Situation im Hochbunker Hamborn-Bruckhausen zeigt das unbeschreibliche Wohnungselend in den Notquartieren:

 „…190 Personen, darunter allein 110 Kinder, wohnen seit Monaten, viele bereits seit einem Jahr, im Bunker… Der Kriegsinvalide Sp. lebt mit seiner sechsköpfigen Familie in einer Zelle, sie ist 6 x 2,5 m groß. Die Haut der Kinder ist wachsbleich und durchsichtig.

Hinter dem Bunker hat er sich aus Trümmermaterial einen besonderen Raum gebaut: „Wenn ich doch bloß einen Bezugsschein für einen kleinen Holzofen bekäme, dann könnten wir wenigstens tagsüber in einem Raum mit frischer Luft leben und brauchten nur nachts zum Schlafen in die Zelle. Hier draußen könnte ich mir sogar ein kleines Gärtchen anlegen“, sagte er und wies auf den Platz um den Bunker, den gleichgültige Bunkerinsassen als Abfallstätte benutzen.

Frau B. liegt mit Fieber auf der Pritsche. Der Arzt hat die Überführung ins Krankenhaus angeordnet, ihr Mann befindet sich noch in Gefangenschaft. „Ich habe meiner Mutter nach Dortmund geschrieben, daß sie nach hier kommen soll, um die fünf Kinder während meiner Abwesenheit zu betreuen. Eher gehe ich nicht ins Krankenhaus…“

Der Bunkerwart erzählt. Ein alter Mann ist vor kurzem hier glatt verhungert. Keiner kümmerte sich um ihn. Er hatte nichts als seine 1000 Kalorien. Eines Morgens lag er tot auf der Pritsche. Ein anderer, ein junger Mann noch, der im Krieg ein Bein verlor, hat keine Angehörigen und liegt den ganzen Tag kraftlos auf der Pritsche.“

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