Frau F.: Ich kann erst heute meinen Vater verstehen, wie es meinem Vater ergangen sein muss, als er im Krieg eingesetzt wurde. Er war Hobbysegelflieger, der ist schon als Kind, statt sonntags morgens in die Kirche zu gehen, in Bissingheim am Fliegerberg gewesen, und da sind die Segelflieger. Das war sein großer Traum. Wie er dann eingezogen wurde, hat er sich bei der Luftwaffe gemeldet hat, weil er wohl da seine Zukunft sah.
Aus Erzählungen weiß ich das. Wir haben auch Unterlagen dazu. Er ist ja auch in amerikanische Kriegsgefangenschaft gekommen. Als er nach Hause kam, musste er sehen, dass man sein Leben wieder aufbaute. Er ist auch nach Thyssen gegangen, ist in eine ganz andere Welt eingestiegen, um überhaupt die Familie zu ernähren, um überhaupt wieder Fuß zu fassen. Aber, er hat weiter an seine Träume geglaubt, aber erst lange nach dem Krieg. Da hat er alle diese Träume aufgehoben für später. Später ist er dann tatsächlich hier in Mülheim im Aeroclub gewesen, das war sein Hobby, hat sogar selber Flugzeuge gebaut. Aber er hat dann später die Segelfliegerei durch die Folgen des Krieges aufgeben müssen, und ist dann wahrscheinlich auch daran zerbrochen.
Frau F. im Mai 2014
Im November 2011 war ich Mitbegründerin der Zeitzeugenbörse Mülheim an der Ruhr.
Eins meiner vielen Interessen war immer schon, das aktuelle politische Geschehen in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Was mit Einzelschicksalen in ihrer jeweiligen Zeit passiert, habe ich schon in die Wiege gelegt bekommen, denn beide Eltern waren nach dem 2. Weltkrieg Flüchtlingskinder, mein Vater sogar noch Kindersoldat. Erst nach meiner Pensionierung konnte ich mich mit den Folgen dieser schrecklichen Zeit in der deutschen Geschichte beschäftigen und damit auch mit den Ursachen.
Bei meiner Arbeit ist mir ganz wichtig, immer auf das Alter der Erzählenden zu achten und immer danach (auch der Zuhörer sich selbst in seiner Biografie) zu fragen, inwieweit das politische Bewusstsein schon vorhanden war; und das ist bei jedem Menschen verschieden. Ich möchte ein Mosaikstückchen dazu beitragen, dass junge Menschen ihr persönliches politisches Bewusstsein bilden können; deshalb ist mir die Arbeit an Schulen eine Herzensangelegenheit.
Die Zeitzeugen fühlen sich manchmal unverstanden, wenn aus dem Heute Rückschlüsse nach Gestern geschlossen werden, frei nach dem Motto Warum habt ihr nichts gemerkt?, Wie konnte das passieren?, usw. Und genau hier ist der Punkt, an dem ein Austausch mit der jüngeren Generation stattfinden kann. Indem es den Zeitzeugen gelingt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die damalige Zeit versuchen hineinzuversetzen, können auch Bilder für das eigene Leben, für die eigene Zukunft entstehen.