Fähnlein 29, Bann 111 – Hitlers Kinder

Seinerzeit mußten wir, die  im Gau für die Napola ausersehenen Pimpfe, im Kurhaus Baden-Baden auf den Gauleiter aus Rastatt warten, der uns wohl markige Worte zu übermitteln gedachte. Kaum harrten wir erwartungsvoll in den heiligen Hallen des Kurhauses, da hatte ich schon mit einem Pimpfen aus Karlsruhe einen heftigen Streit, der, obwohl wir Uniformen trugen, zu einer Keilerei zwischen uns führte, die vom Fähnleinführer sofort unterbrochen wurde. Fußballerisch würde man heute sagen, wir bekamen die „Rote Karte“, denn es war grundsätzlich verboten, sich in Uniform zu schlagen.

Wider Erwarten kam der Gauleiter dann aber nicht, aus welchen Gründen auch immer. Und so habe ich ihn niemals kennengelernt. Das Thema „Napola“ war damit für mich erledigt.

Wenn ich nach über einem halben Jahrhundert heute über die damalige Zeit nachdenke, befallen mich zwiespältige Gefühle.

Einerseits gilt, dass ich angenehme Erinnerungen an mein Pimpf-Sein nicht abstreiten kann. Alle hatten die gleiche Uniform und soziale Unterschiede gab es nicht. Härte, Ausdauer  und körperliche  Leistungsfähigkeit machten den Siegertyp, wurden gefördert und  führten zur Beförderung. Man stieg in der Hierarchie auf.

Andererseits ist mir bewusst, dass das Gefühl „Wir  waren  plötzlich wer“ eine versteckte und eben doch vorhandene Magie beinhaltete.  Schon mit elf Jahren konnte ich als 
Hordenführer befehlen und die zur Horde gehörenden Jungen mussten sich fügen, ob sie wollten oder nicht. Kampf, Kommando und Faustrecht: Das vielbeschworene Recht des 
Stärkeren wurde honoriert. Es war verpönt, Schwachheit zu zeigen. Ein deutscher Junge weint nicht war ebenso unrealistisch, wie das Trugbild totaler Gleichheit unbeschadet von 
Klassenunterschieden. Geländespiele waren  nichts anderes als der Versuch, die Pimpfe wie Soldaten sich fühlen zu lassen, eine tückische Mixtur mit Langzeitwirkung. „Wir werden weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt“ war das Rüstzeug, das die Jugend sich erwerben sollte, um letzten Endes die Welt zu erschrecken.

Ernst van Megern

Juli 2017

(Diese  Ausführungen stehen so in meiner Autobiographie von 2001 zu dem Thema „Fähnlein 29, Bann 111 – Hitlers Kinder“. Auf den „Duisburger Heimatkalender 1942″und auf die „Ausbildungsvorschrift für die Ertüchtigung der deutschen Jugend“, die der nationalsozialistische Reichsjugendführer Baldur von Schirach 1935 verfasste, stieß ich im Duisburger Stadtarchiv.

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