Wir waren April 1945 aus Berlin weggegangen, kurz bevor die Russen kamen, und haben dann in Lauenburg an der Elbe in sehr primitiven Verhältnissen gelebt. Ich war 18, ich war jung, man war froh, dass der Krieg vorbei war. Und auf einmal habe ich gehört, in der Schifferbörse ist Tanz. Ja, mit 18 Jahren gibt es doch nichts Schöneres als tanzen zu gehen!
Ich hatte ein Paar Strümpfe – damals hatte man also kunstseidene Strümpfe – gehabt. Die habe ich immer gepflegt, damit ich die Strümpfe noch lange tragen konnte. Man konnte ja damals nichts kaufen. In der Schifferbörse gab es sogar etwas zu trinken: Im Winter ein rotes Heißgetränk und im Sommer ein kaltes Getränk. Sie glauben gar nicht, wie glücklich und froh wir alle waren! Wir hatten das alles hinter uns gebracht, und wir waren jung. Wir haben getanzt, es war wunderschön.
Und damals, da tanzte man Zitterfox. Das war wunderschön.
Eva Timm
20.07.2016
Im November 2011 war ich Mitbegründerin der Zeitzeugenbörse Mülheim an der Ruhr.
Eins meiner vielen Interessen war immer schon, das aktuelle politische Geschehen in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Was mit Einzelschicksalen in ihrer jeweiligen Zeit passiert, habe ich schon in die Wiege gelegt bekommen, denn beide Eltern waren nach dem 2. Weltkrieg Flüchtlingskinder, mein Vater sogar noch Kindersoldat. Erst nach meiner Pensionierung konnte ich mich mit den Folgen dieser schrecklichen Zeit in der deutschen Geschichte beschäftigen und damit auch mit den Ursachen.
Bei meiner Arbeit ist mir ganz wichtig, immer auf das Alter der Erzählenden zu achten und immer danach (auch der Zuhörer sich selbst in seiner Biografie) zu fragen, inwieweit das politische Bewusstsein schon vorhanden war; und das ist bei jedem Menschen verschieden. Ich möchte ein Mosaikstückchen dazu beitragen, dass junge Menschen ihr persönliches politisches Bewusstsein bilden können; deshalb ist mir die Arbeit an Schulen eine Herzensangelegenheit.
Die Zeitzeugen fühlen sich manchmal unverstanden, wenn aus dem Heute Rückschlüsse nach Gestern geschlossen werden, frei nach dem Motto Warum habt ihr nichts gemerkt?, Wie konnte das passieren?, usw. Und genau hier ist der Punkt, an dem ein Austausch mit der jüngeren Generation stattfinden kann. Indem es den Zeitzeugen gelingt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die damalige Zeit versuchen hineinzuversetzen, können auch Bilder für das eigene Leben, für die eigene Zukunft entstehen.