Lesung: Wie sich die Nationalsozialisten ihrer Jugend bemächtigte

Das Motto „Jugend führt Jugend“ hört sich nach heutigen Maßstab nicht ganz unmodern an. Denn welches Kind, welcher Jugendliche lernt nicht gern von Größeren oder erlebt einen größeren Wert seiner Selbst, wenn er etwas zu sagen hat. Auch heute noch macht sich die Pädagogik diese menschlichen Eigenschaften zunutze.

Dass man aus Kindern auf die gleiche Art und Weise auch glühende Nazis machen kann, zeigt die ideologische Erziehung zu Zeiten Hitlerdeutschlands.

Wie sich das Dritte Reich seiner Jugend bemächtigte
Wie sich das Dritte Reich seiner Jugend bemächtigte

Denn kommen zu den oben genannten Prinzipien noch Sport, Zeltlager mit Lagerfeuer, Gemeinschaftserlebnisse, Mutproben bestehen, Fahrten, Heimabende, Lieder, Wettkämpfe, Wandern und Singen, Wertevermittlung wie Kameradschaft (heute: Freundschaft), sich gegenseitig helfen und beistehen usw. dazu, ist der Weg nicht mehr weit zu Pflichtbewusstsein, Liebe zum Führer und dem freiwilligen Einsatz seines eigenen Lebens für die Idee des Nationalsozialismus, wie es mindestens 70% des Jahrgangs 1928 zeigten, als sie sich (mehr oder weniger) freiwillig für den sogenannten Volkssturm gemeldet hatten, um das vom Untergang bedrohte Deutschland in letzter Minute noch zu retten, wobei ca. 70.000 15-17-Jährige den Tod fanden.

In einer Verordnung von 1934 heißt es: “Diese charakteristische Schulung des jungen Deutschen findet in der HJ ihren äußeren Ausdruck in seiner freiwilligen Unterordnung, seinem Gehorsam gegenüber seinen Führern, in seinem Pflichtbewusstsein, seiner Kameradschaftlichkeit, seiner Liebe zu seinem Führer, seinen Volksgenossen und seinem Vaterland, in dem jederzeit freiwilligen Einsatz des eigenen Lebens für die Idee des Nationalsozialismus.“

Dabei hat die Überführung der Kinder und Jugendlichen in die Reihen der HJ recht lange gedauert, boten die traditionellen Jugendverbände doch zum Teil erhebliche Widerstände. Erst 1936 wurde die Sportjugend gleichgeschaltet, im selben Jahr wurde dann auch die gesamte HJ zur Pflichtjugendorganisation erklärt: „Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitler-Jugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen.“ (Gesetz über Hitlerjugend vom 01.12.1936)

Dennoch waren Anfang 1938 immer noch 1,95 Millionen Jugendliche im Alter zwischen 10 und 18 Jahren nicht in der NS-Reichsjugendführung. Erst mit der „Jugend-Dienstverordnung“ vom 25. März 1939 war die HJ-Mitgliedschaft unumstößliche Pflicht: von 10  bis 14 Jahren im Deutschen Jungvolk bzw. Jungmädelbund, über dieser Altersgrenze hinaus in der HJ bzw. dem BDM. Diese damals 8,7 Millionen Jugendlichen waren das wesentliche Mittel zur Herrschaftserhaltung des NS-Regimes. – Es gab auch 1939 immer noch Eltern, die nicht gerne sahen, dass ihre Kinder  in die HJ gehen wollten; aber mit diesem Gesetz drohte ihnen eine Geld- oder Gefängnisstrafe. Notfalls wurde die Dienstpflicht mit Polizeigewalt durchgesetzt.

Sowohl in der HJ als auch beim BDM galt das Führerprinzip: Die jeweiligen Führerinnen und Führer hatten über die ihnen zugewiesenen Jungen und Mädchen Befehlsgewalt, wurden nicht gewählt, sondern von einer höheren Hierachieebene eingesetzt. Diese Hierachiestufen waren sehr attraktiv für die damaligen Jugendlichen, eröffneten aber auch Tor und Tür für Inkompetenz, Missbrauch und Korruption.

Beim BDM gab neben der Einteilung in 34 regionale Obergaue noch 34 Untergaue, wobei die Mädelschaften die kleinste Organisationseinheit bildeten. Insgesamt gab es 8 Hierachiestufen vom einfachen Mädel über die Mädelringführerin zur Hauptmädelführerin. – Bei der HJ gab es ebenso regionale Einteilungen: Unterbann, Stamm, Gefolgschaft, Schar, Kameradschaft. Zudem gab es 19 Dienstgrade, angefangen vom Hitlerjungen über den Kameradschaftsführer, Oberscharführer, Stammführer, Gebietsführer bis hin zum  Reichsjugendführer, daneben noch Sondereinheiten, wie beispielsweise Nachrichten-HJ, Spielscharen (Chöre) und an Höheren Schulen den HJ-Schulführer.

Jeder Junge und jedes Mädchen bekam eine Uniform und wurde feierlich in den jeweiligen Verband eigeführt. Das nationalsozialistische Gedankengut stand auf der Tagesordnung. Jungen wie Mädchen wurden auf den Krieg vorbereitet. Krieg war etwas, wo die Jungen ihren Mut beweisen konnten, zum ganzen Mann werden konnten; und die Mädchen standen den künftigen Soldaten hilfreich zur Seite. Spielerisch gelernt wurde dies bei Sammelaktionen (Winterhilfswerk), als Luftwaffenhelfer/-in, im Umgang mit der Waffe, später der Panzerfaust. 1943 waren die meisten Flakgeschütze mit Hitlerjungen besetzt. Das Notabitur wurde 1943 mit dem „Totalen Krieg“ eingeführt, damit auch Halbwüchsige in den Krieg ziehen können. In Wehrertüchtigungslagern wurden Jugendliche für den „Endsieg“ mobilisiert. Gegen Ende des Krieges bildete die HJ gemeinsam mit Männern (bis 60 Jahre) den Volkssturm.

Spätestens seit 1942 gab es jedoch immer wieder Sprünge in dieser verordneten Sozialisation, der Widerspruchsgeist der Jugend war noch nicht ganz gebrochen. Selbst in der HJ formte sich Widerstand (Europäischer Jugendkongress 1942). Es gab Trachten-  und Balalaika-Gruppen, die sog. „Swing-Jugend“ (Hamburg), die westliche Jugendkultur in großbürgerlichen Kreisen, weiterhin verbotene Arbeiterjugendverbände, auch kirchliche Jugendkreise, wilde Gruppen (Edelweißpiraten) und offene Widerstände (Sophie Scholl). Das Regime reagierte brutal, Todesstrafe war dann oft die Folge.

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