Fremdarbeiter auf einem Bauernhof

 Am 6. März 1945 sind die Russen bei uns einmarschiert und suchten nun nach Fremdarbeiter. Die wussten ganz genau Bescheid, wer hier zum Haus gehörte. Die Russen, die zogen nur durch, wir haben auch eigentlich nie Konkretes erfahren – weil wir kein Radio hatten, Strom gab es auch keinen mehr. Unsere  einzige Informationsquelle waren Leute, die so durch die Lande zogen, und die sagten uns, wie es im Westen aussah.

 Auch hatten wir noch die Flüchtlinge aus Ostpreußen auf dem Hof, die nicht weiterkonnten, weil bei uns schon die Odergrenze war. „Da war der Sack zugemacht“, wie wir früher sagten. Das war recht bald schon so, dass da keiner mehr rüberging. Wir hatten 30 Flüchtlinge. Ich glaube, es waren 5 Familien, die aus Ostpreußen geflüchtet waren. Sie hatten aber kein Pferd und Wagen, sie waren mit dem Zug bis Kolberg gekommen oder bis Treptow, jedenfalls bis zur nächsten Stadt, und landeten dann bei uns auf dem Hof.

Ruthilde Anders, Lesung zum Thema: Fremdarbeiter und Ostarbeiter in Pommern, 1940 – 1945

Im Herbst 1945 kamen die Polen und wiesen alle überflüssigen Menschen, die in den Häusern wohnten, aus. Es durfte nur eine Familie in jedem Haus bleiben. Die anderen wurden zur Bahn gebracht, getrieben muss man sagen, sie mussten marschieren. Kranke wurden auf einen Wagen geladen, und die kamen dann zum Zug in den Westen. Danach war alles weniger bevölkert.

Wir wurden erst 1946 ausgesiedelt, das heißt, wir sind freiwillig gegangen. Meine Mutter war immer die treibende Kraft bei uns in der Familie, die hat gesagt, die Kinder müssen in die Schule, also wir müssen hier weg. Wir haben hier keine Zukunft. 

 Auf jeden Hof kam eine polnische Familie, die kriegten alles geschenkt, dafür hatte man ihnen ja in Ostpolen alles weggenommen. Wir dachten, die kommen von irgendwoher und bemächtigen sich jetzt unserer Sachen. Aber dass ihnen das versprochen war, das wussten wir alle nicht, weil wir nicht informiert waren. Die Frau dieser Familie sagte immer: Wenn ihr weggeht, sagt Bescheid, ich gebe Essen mit.

Meine Mutter fand dann eine Möglichkeit zur Fahrt, und die Polen brachten uns mit dem Wagen zum Bahnhof. Es gab ein kleines Flüchtlingskind,  die 2-jährige Bärbel, deren Mutter war mit ihren 5 Kindern geflüchtet. Als die 1945 die Russen kamen war die Mutter bei einer Tochter, die mit einem polnischen Offizier verbandelt war.

 Außerdem war bei uns eine große Typhusepidemie und da starb Mutti’s Freundin. Meine Mutter nahm ihren Sohn auf, der war jetzt auch bei uns in der Familie. Meine Eltern hatten nicht nur 3, sie hatten nun 5 Kinder – das machte das Leben aber auch nicht einfacher. Aber Mutti sagte, sie nimmt alles mit, was so kommt – bloß raus hier! Wir müssen hier weg, wir gehören hier nicht mehr hin. So wurden wir dann zum Bahnhof nach Stettin gefahren. Von dort kamen wir mit dem Zug mit Stationen in Vor- und Hauptlagern im Herbst 1946 nach Schleswig-Holstein. 

Zu dieser Pella hatten wir ja ein besonders nettes Verhältnis, sie hat uns geschrieben, denn sie hat unsere Adresse gefunden. Für die Zeit, in der sie bei uns im Hause war, hat sie später wohl eine Entschädigung bekommen. Zuvor hatte sie uns schriftlich gebeten, ob wir ihr das bescheinigen könnten. Zu dem Zeitpunkt waren meine Eltern schon verstorben. Mein Bruder  hat zu mir gesagt, du weißt darüber besser Bescheid, dann setzt du dich mit ihr in Verbindung. Ich habe geantwortet und den Aufenthalt bestätigt.

 Als wir viele Jahre später als Urlauber nach Kolberg gefahren sind, sind wir auch nach Danzig gefahren und haben sie besucht. Das war wirklich  ein sehr, sehr schönes Wiedersehen. Sie war inzwischen eine ganz alte Frau. 

Was ich noch so lustig fand: Wir sprachen in Pommern ja einen so breiten Dialekt, das r wurde so gerollt, und als wir dann bei ihr waren, dann sagte sie: Was sagt denn der Gerrrad? Also, das war für uns nun mittlerweile ganz fremd, unsere alte pommersche Muttersprache – sie war uns so fremd geworden. – Die Pella lebt nicht mehr.

 Ein ganz schlimmes Erlebnis aus dieser Zeit war für uns alle die Bestrafung eines Polen, der mit der Tochter eines Bauern ein Verhältnis hatte. Die Mutter überraschte die beiden und zeigte den Polen an. Aber sie hat nicht an die Folgen gedacht. Der Pole wurde zum Tode verurteilt, und alle Polen, die da bei uns herum beschäftigt waren, mussten dahin gehen und zusehen, wie er in einem kleinen Wäldchen erhängt wurde. Mein Vater sollte auch mitgehen und diese polnischen Arbeiter begleiten, aber das hätte meinen Vater umgebracht. Er sagte dann, er könne nicht,  da er keinen vorschriftsmäßigen Anzug hätte. Er hätte nur eine Feuerwehruniform und Halbschuhe, so könne er den Zug nicht begleiten. So ist er davon gekommen, aber wir waren wirklich alle sehr betroffen.

  1. heute: Golub-Dobrzyń
  2. siehe hierzu:http://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/dokumente/texte/00353/index.html
  3. zur Abgrenzung Volksdeutscher und deutscher Volkszugehöriger/Reichsbürger siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Volksdeutsche)
  4. Die Beschaffung von Textilien für Ostarbeiter wurde im Laufe des Krieges immer schwieriger bis miserabel.
Letzte Artikel von Ruthilde Anders (Alle anzeigen)

Schreiben Sie einen Kommentar