Zivilarbeiterinnen in Österreich

Was geschah mit Ihnen nach 1945?

Zuerst ein paar Worte zu den Begriffen. Man unterscheidet die zahlenmäßig kleinere Menge der Fremdarbeiter von der großen Masse der Zwangsarbeiter. Fremdarbeiter wurden zu Beginn der Krieges in den besiegten Ländern Westeuropas (Frankreich, Belgien etc.) angeworben mit dem Versprechen auf gleichen Lohn und gleiche Behandlung, die auch für die deutschen Arbeiter galten. Die Enttäuschung an den Bedingungen der Realität war bald groß.

Als man 1942 feststellte, mit den Blitzsiegen ist es vorbei, der Krieg wird ein langer Abnutzungskrieg, hat man die Rüstungsproduktion schnell enorm hochgefahren. Man brauchte also Millionen Arbeitskräfte, um die Produktionen zu bewerkstelligen. Hinzu kam, dass ab 1943 ein guter Teil der kriegswichtigen Betriebe der deutschen Industrie in Berge verlagert wurde, um den alliierten Fliegerangriffen zu entkommen. Also, mussten in die Berge riesige Stollen und Kavernen geschlagen werden.

Wer macht das? Zwangsarbeiter! Der klassische Fall, der wahrscheinlich am ehesten bekannt ist, ist das berühmt, berüchtigte Mittelwerk-Dora in Thüringen1, ein Konzentrationslager nördlich von Nordhausen, in der V2 (V= Vergeltungswaffe) montiert werden sollte. Man kann sich vorstellen, wie groß die erforderlichen Aushöhlungen im Berg waren, um diese riesigen Raketen zu montieren. Wer das Pech hatte,  zu so einem Einsatz abkommandiert zu werden, der hatte ganz schlechte Karten. Um diese Menschenmassen aufzutreiben und zu organisieren, war mit Anwerbung natürlich nichts mehr. Daher man hat begonnen, landstrichweise die arbeitsfähige Bevölkerung zu deportieren, sozusagen mit vorgehaltener Waffe in die Züge zu bringen. Für diesen Personenkreis – das war sicherlich die Mehrheit – trifft der Begriff Zwangsarbeiter zu, weil … die wollten ja nicht, die waren ja gezwungen. An den Zwangsarbeitern, gerade wenn sie aus der Sowjetunion kamen, hat man oft das Prinzip ‚Vernichtung durch Arbeit‘ angewendet. Man hat die schuften lassen, 10, 12 Stunden am Tag bei praktisch Null Verpflegung, entsetzlichen Arbeitsbedingungen, und wenn die Leute dann an Krankheiten erschöpft und gestorben sind – kein Problem: Man hatte ja genug in Reserve, zumindest am Anfang. Das ist ein Genozid.

Zusatzinformation: In Mülheim gab es 48 Zwangsarbeiterlager, teils nur mit 50 Menschen, die sind dann beispielsweise in einem Saal eines Wirtshaus untergebracht worden, aber auch Lager mit 5 bis 10 Tausend Beschäftigten/Insassen, also Zwangsarbeitern. Im Bereich Mülheim/Oberhausen – sagt Dr. Google – gab es in den Spitzenzeiten 20.000  Zwangsarbeiter, die natürlich primär in der Montanindustrie beschäftigt waren. 

Es waren aber nicht alle einem so höchst menschenverachtendem Schicksal unterworfen. Generell – da schwanken auch die Zahlen, weil so genaue Statistiken gab es natürlich nicht – aber so um die 40/45 Prozent der Gesamtzahl war in der Landwirtschaft zwangsbeschäftigt. Die Männer an der Front fehlten für die Produktion von Lebensmitteln, also wurden Zwangsarbeiter zum Teil in diesen kleineren Betrieben, zum Teil auch in Haushalten als Haushaltshilfen beschäftigt.

 Aus diesem Personenkreis kommen zwei der drei Geschichten, die ich heute hier vortrage.

Meine Eltern hatten – wie man unschwer hört, bin ich in den Bergen aufgewachsen, irgendwo im Alpenvorland – eine Gastwirtschaft mit Hotel. Damals hatte der Betrieb etwa 10 Angestellte/Beschäftigte, davon waren zwei Ukrainerinnen, Mitte bis Ende 20. Sie waren eingesetzt fürs Putzen, Waschen, Kochen, Bügeln – was in dieser Betriebsart an Arbeit so anfällt. Untergebracht  waren sie im Hotelgebäude in einem Dachkämmerlein, also nicht in einem Lager. Das war für die Lebensbedingungen schon mal ungleich freundlicher. Sie haben dasselbe zu essen bekommen wie wir, nämlich wenig, wobei ich fairerweise erwähnen muss, im ländlichen Raum wurde weniger gehungert als im Ruhrgebiet.

Dann war der Krieg zu Ende. Der Ort, indem ich aufgewachsen bin, lag glücklicherweise in der amerikanischen Zone. Das war schon mal viel wert.

 Nachdem sich die allgemeine Situation ein bisschen normalisiert hatte, hatten die lokalen Behörden jedes Interesse daran, möglichst schnell und möglichst viele von den Fremdarbeitern, Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen loszuwerden, denn jeder der ging, war ein Esser weniger, was 1945 natürlich ein Riesenthema war.

 Unsere beiden Ukrainerinnen taten aber alles, um nicht abgeschoben zu werden. Warum? – Jetzt muss ich wieder kurz in der Geschichte ausholen. Gerade die Ukraine hatte unter der stalinistischen Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in den 20er und 30er Jahren ungeheuer gelitten. Da gab es dann Hungersnöte mit 2 – 3 Millionen Toten, aber das ist nicht das Thema hier. Viele Ukrainer hatten zum Sowjetregime daher ein stark gebrochenes Verhältnis, wenn nicht sogar eine strikte Oppositionshaltung. Ob unsere beiden Ukrainerinnen, deportierte Zwangsarbeiterinnen waren oder freiwillig gemeldete Fremdarbeiterinnen waren, hat sich nicht erhalten, kann ich nicht sagen.

Warum aber haben sie  sich geweigert zurückzugehen? Da muss man einen Blick auf die Philosophie des stalinistischen Sowjetkommunismus werfen. Die damaligen Machthaber haben doch tatsächlich jeden Kriegsgefangenen als halben Deserteur betrachtet, denn: Er hatte ja nicht bis zum letzten Blutstropfen gegen den Feind, nämlich Nazideutschland gekämpft. Wenn einer jetzt Zwangsarbeiter war, dann hat er ja mit seiner Arbeitskraft der Wirtschaftskraft des Feindes geholfen, und wenn er gar Fremdarbeiter war, sich am Beginn also freiwillig gemeldet hatte, da war der sowieso ein klarer Gegner des Regimes. Außerdem haben diese Arbeiter ja gesehen, wie man im Westen, also Zentraleuropa, lebte und wie man miteinander umging, natürlich unter Kriegsbedingungen, aber dennoch. Die waren also für die Ideologie der Sowjetunion fürs erste mal „versaut“. Sie hätten ja neue Gedanken und Ideen gehabt haben können. Diese Philosophie führte dazu, dass von denen, die zurückgingen und zurückgeschickt wurden, die Mehrheit für 3 – 5 Jahre in einem der zahlreichen Lager des Gulags verschwanden, irgendwo in Sibirien, mit den entsprechenden Todesraten, um sie wieder im sowjetischen Sinn auf Vordermann zu bringen. Ob unsere beiden Ukrainerinnen das wussten oder nur ahnten, ist unbekannt, hat sich nicht erhalten. Aber sie haben es geschafft, so um 1948/49 ein Visum in die USA (oder nach Kanada) zu bekommen – und weg waren sie. Aber sie hatten jedenfalls das Glück, nicht zurückgeschickt zu werden. Das war Fall I.

Wolf Dietrich Hausmann in der Lesung zum Thema Zwangsarbeiter

 Fall II, hier in Mülheim: Eine Unternehmerfamilie hatte eine Haushaltshilfe aus der Sowjetunion bekommen, wahrscheinlich eine Russin, woher sie immer war, ist ja unerheblich. So eine Haushaltshilfe in einem privaten Haushalt wurde natürlich ganz anders behandelt wie jemand, der im Bergwerk in 500 Meter Tiefe Kohlen schippen musste. Da fängt es also an zu menscheln, ganz klar. Als der Krieg zu Ende war, ist sie zurückgegangen in ihr Heimatdorf. Mitte der 50er Jahre kam dann ein Brief: Hurra, ich lebe noch, und wie geht’s euch? Da gingen Briefe hin und her, die Unternehmerfamilie hat dann dieser Frau Lebensmittelpakete, Carepakete, geschickt. Als die Sowjetunion zerbrach und sie reisen konnte, wurde sie hierher in den Westen eingeladen, und es entspann sich richtig eine menschliche Freundschaft zu dieser dann schon alten Frau. Ich weiß, das ist sicherlich ein Einzelfall, ein realer Einzelfall bei der Masse der doch sehr tragischen und brutalen Schicksale, die im Zuge dieses Themas passiert sind. Aber es war so – also ich kann das berichten.

 Jetzt kommen wir zum III. Punkt. Im Jahre 1999 trug mich die Liebe des Volkes in den Rat der Stadt Mülheim, für eine kleine, aber intelligente Partei – nicht mehr politische Werbung soll sein. Im Jahre 2000 stand bei irgendeiner Ratssitzung ein Tagesordnungspunkt: Beitritt der Stadt Mülheim zur Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘, landläufig bekannt unter dem Namen ‚Zwangsarbeiterstiftung‘. Diese Stiftung wurde ins Leben gerufen, und die größeren Kommunen haben sich dann letztendlich beteiligt. Es gab natürlich viele Zwangsarbeiter in den Kommunen, beim Herrichten der zerstörten Infrastruktur und der Beseitigung der Trümmer usw. Dazu etwa 20 Großbetriebe der deutschen Industrie, die ganzen klassischen Namen wie Thyssen, Krupp und Siemens, Porsche und was wir alles haben. Die Stiftungsmitglieder haben sich dann auf eine Summe geeinigt, und diese Summe wurde vom Bund, vom Vater Staat, verdoppelt. So wurde das Kapital für die Stiftung Zwangsarbeiter gesammelt. Weil das für Mülheim Geld kostete, brauchte man den Ratsbeschluss. Wir haben am Anfang ein bisschen diskutiert, aber sehr rasch wurde beschlossen, dieser Resolution zu folgen. Der Beschluss ging dann einstimmig durch. – Und die Stiftung hat im Jahre 2000 mit dem Auszahlungsentschädigungsverfahren für die Zwangsarbeiter begonnen. Im Jahre 2007 wurde diese Aktion abgeschlossen. Zum Schluß gab es eine große Veranstaltung und gegenseitiges Schulterklopfen. Die Stiftung gibt es immer noch, die beschäftigt sich jetzt mit Forschungsaufträgen, Stipendien, Jugendarbeit usw. Aber gut, ich war dabei, als das in Mülheim beschlossen wurde.


Wolf Dietrich Hausmann
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