Die unzerbrechlichen Vielzweckschüsseln

Wir schrieben das Jahr 1938. Der alte Kochherd, im Ruhezustand mit blank gescheuerter Kochfläche und auf Hochglanz polierten Nickelteilen, war kurz gesagt Prunkstück und wichtigstes Mobiliar in unserer Wohnküche, bis er durch einen in weißem Emaille gekleideten sogenannten Elektroherd Konkurrenz bekam. Dem Elektroherd schrieb man unzählige bisher nie gekannte Eigenschaften zu, beispielsweise war die Hausfrau in der Lage, nur durch Knopfdrehen Hitze zu erzeugen. Er entwickelte keine unangenehmen Gerüche. Die Kochhitze konnte reguliert werden etc. Die Tätigkeit des Kohleherdes beschränkte sich von da an nur noch auf Warmwasserzubereiten und Wärmespenden.

Unter vorgehaltener Hand munkelte man allerdings, dass die alten Gasherde, die gleichzeitig in den Haushaltungen durch den Elektroherd immer mehr verdrängt wurden, auch nicht sooo schlecht gewesen waren, wenn, ja wenn von ihnen nicht die Gefahren einer Explosion oder Gasvergiftung ausgehen würden.

Zu dem modernen Trend „Kochen mit Strom“ gehörten natürlich auch noch nützliche Zusatzgeräte wie kochfeste und unzerbrechliche keramikartige Schalen und Gefäße, die auch zum sogenannten Turmkochen geeignet waren. Da kam meiner Mutter der Besuch eines Vertreters von solchen Artikeln gerade recht. 

Seine Demonstration, dass die wunderschön bemalten Schalen jedem Schlag widerstehen und unzerbrechlich seien, war sehr überzeugend, so dass meine Mutter verschiedene Exemplare kaufte. Spontan klingelte sie bei unserer Nachbarin und schleppte sie unsere Küche, um ihr voller Stolz die neuen Errungenschaften vorzuführen: Turmkochfähigkeit, Hitzebeständigkeit und vor allem Unzerbrechlichkeit waren alles Gründe, um meinen Vater, der jeden Augenblick nach Hause kommen musste, den dafür bezahlten hohen Preis zu rechtfertigen. Der Wahrheitsnachweis sollte zusätzlich durch einen wirkungsvollen Überraschungsgag untermauert werden. 

Die beiden von Begeisterung und Spannung beseelten Hausfrauen verbargen, als sie hörten, wie mein Vater die Korridortür aufschloss, jeder von ihnen zwei der Wunderschüsseln unter ihren Schürzen. Und als der ahnungslose Mann die Küche betrat, wurde er mit dem Kommando empfangen: „Fertig, los!“ 

In diesem Augenblick flogen vier Schüsseln durch die Luft, stießen in Höhe der Spülsteinkante zusammen und donnerten in 1000 Einzelteile zersplittert – wie vom Schicksal gewollt – ganz in die Nähe des Müllverwertungseimers zusammen.

Abrupte Stille – erschreckte Minen – und dann der befreiende Ausbruch von Lachsalven. 

Danach folgte Vaters auf Mülheimer Platt gestellte obligatorische Frage: „Wat sool dat denn bedüe?“  (Was soll das denn bedeuten?)

Die nun folgende Erklärung in und Beteuerungen verfehlten alle ihre Wirkung auf den Überrumpelten, dessen lapidarer Kommentar am Ende so ähnlich lautete wie: „Wenn Wiever nix zu done häve, dann wäden se vom Düwel geridde.“ (Wenn Frauen nichts zu tun haben, werden sie vom Teufel geritten.)

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