Sprache und Dialekte

Gewisse Phänomene in der Umgangssprache wiederholen sich. Die Sprachbildung findet ihren Ursprung während der Kindheit bereits mit der Sprachübung der Kleinkinder in etwa parallel mit den Bewegungsübungen. Hierbei ist sicherlich die Art und Weise maßgebend, in welcher Form jene Erwachsenen, in der Regel die Mutter, sich mit dem Kleinkind in diesen Disziplinen beschäftigen. Defizite beim Kleinkind sind in diesen Bereichen leicht feststellbar. Ohne Frage sind allerdings Fehlausbildungen auch auf körperlich wachstumsbedingte Nachteile rückführbar. Ich beschränke mich in meinen Ausführungen jedoch auf Normalfälle.

Ohne Frage ist in der Sprachausbildung die Sprechweise der Erzieher, also der Eltern hauptsächlich, prägend. Folgende Beispiele mögen dafür einmal herhalten: In meiner Familie ergab sich zunächst von den Großeltern her eine Unterscheidung, dass im Umgang mit dem  Großvater väterlicherseits nur hochdeutsch gesprochen wurde, weil dieser aus dem Westmünsterland stammte und Duisburger Platt nicht gebrauchte. Anders war es in der Familie mütterlicherseits. Hier übertrug sich der Sprachgebrauch des Großvaters zunächst auf seine Kinder. 

War es abends nach dem Zubettgehen im Kinderzimmer im Obergeschoss zu lebhaft, trat der Hausvater an die Treppe und fragte: „Soll ich es erop komme?“ – Ein mutiges Kind musste antworten: „Nä, Pappa, brucks nit rop to komme!“

Da die Großmutter früh verstorben war, ergab sich ein Sprachgebrauch zunächst nur auf Duisburger Platt und das übertrug sich in starkem Maße auf die beiden ältesten Töchter Johanna und Wilhelmine. 

Die Söhne von Wilhelmine brüten über ihre Hausaufgaben. Frage des einen: „Säch mol, wett Rhin met H geschrewe?“ Antwort des anderen mit logischer Untermauerung: “ Jo, leet doch an dä Have!

Die Söhne Hans und Willi sprachen nur platt. Vor Beginn der Schulpflicht stellte das noch kein Problem dar, allerdings mit der Einschränkung, dass sie in der Öffentlichkeit mit einem absoluten Sprechverbot belegt waren. 

Drohung der Mutter: „Wi fahre met de Elektrische in de Stadt. Datt mich kinner von üch die Mull op maäk!“ 

Auf der Rückfahrt wurde es Abend und die Dunkelheit brach herein, so dass der Schaffner die Deckenbeleuchtung einschaltete. 

Willi konnte nicht mehr an sich halten: „Mamma, kik mol Lämpke aan, noch en Lämpke an, alle mole Lämpkes aan!

Bei den altersmäßig jüngeren Schwestern Sofie und Josefine schien sich der Gebrauch des Hochdeutschen früher und nachhaltiger eingestellt zu haben, was man wohl mit dem Heranwachsen und damit verbundenen Umgang im Alltag und der Erweiterung des Bekanntenkreises sehen muss. Bei unserer Mutter Sofie trat eine derartige Stabilisierung der Sprachbildung mit Gewissheit nach dem Verlassen der Volksschule im Alter von 14 Jahren ein, denn sie ging zu einer gut bürgerlichen Familie mit Geschäftsbetrieb (Uhren und Schmuck) – eines der ersten Häuser am Platze in der Duisburger City – als Haushaltshilfe mit Kost und Logis in Stellung, wie es im seinerzeitigen Sprachgebrauch hieß. Die Geschäftsfamilie stammte aus Köln, so dass Duisburger Platt grundsätzlich kein Thema war, was sich auf den Sprachgebrauch unserer Mutter in ihrem derzeit jugendlichen Alter nachhaltig positiv auswirkte. Unsere Mutter sprach später mit uns Kindern ausnahmslos Hochdeutsch.

Die oben erwähnte ältere Schwester unserer Mutter äußerte sich anlässlich eines Geburtstagsbesuches mit der Bemerkung: „Wat et fein sprick!“, als meine Schwester sich mal zu Wort gemeldet hatte.

Bemerkenswert finde ich die Unterschiede zwischen dem Duisburger und dem Mülheimer Platt, obwohl der Abstand zwischen den Altstadtzentren beider Städte, gemessen von Salvatorkirche (Duisburg) bis Petrikirche (Mülheim an der Ruhr) nur etwa achteinhalb Kilometer beträgt. Man kann davon ausgehen, dass bei dieser Nähe ein reger sprachlicher  Austausch im privaten und geschäftlichen Verkehr stattgefunden hatte. Weiterhin ist interessant, dass das Mülheimer Platt sogar vermehrt sprachliche Elemente aus dem Niederländischen enthält, obwohl in Duisburg mit Blick auf die lange Tradition der Rheinschifffahrt die sprachlichen Verbindungen zumindest den gleichen Umfang einnahmen wie in Mülheim.

An dieser Stelle ein kurzer Ausflug ins Mülheimer Platt, was der Spaziergänger an den Eingängen zu den Wald- und Grünbereichen unserer Stadt als Hinweisschilder findet und dort nachlesen kann:

Wes Du em Wald spaziere chohn,  
mär lat de Böhm un Strüker stohn,               
soss kömp en Kärl un schrief sche op,
dann steisse do mem dicken Kopp!

Die zweite Zeile beginnt mit: mär lot…., was aus dem niederländischen ‚aber’ entlehnt ist.

Wo aber findet der Sprachgebrauch des Plattdeutschen überhaupt noch statt? Nach meiner Feststellung bei familiären Zusammenkünften, wenn die Großfamilie unter sich ist, also bei Geburtstagsfeiern, an christlichen Feiertagen, auf Trauerfeiern usw. Diese Tatsache trifft sowohl bei meiner Duisburger Familie als auch für die Mülheimer Familie meiner Frau zu.

Es existieren jedoch noch regelrechte geografische Sprachgrenzen, was offenbar mit uralten territorialen Grenzen zu tun hat. Ich meine, dass ein gewisser Unterschied in der Sprachmelodik im Duisburger Süden feststellbar war, d. h. südlich des beschriebenen Grenzverlaufes, insbesondere auf den Ortsteil Huckingen bezogen, im Sprachgebrauch Huckem gesprochen. 

Hier begann eine dem Düsseldorfer Platt ähnliche Sprachmelodik, die wir noch durch einen zufällig im Treppenhaus unserer ersten Wohnung, Johanniterstraße 82, auffingen. Die Mutter einer aus Huckingen stammenden Familie fragte aus dem Toilettenraum ihre Tochter: „Marie, wer hät he-i langes de Brill jesick?“

Aus einer Nachzeichnung nach alten Flurkarten aus dem 18. Jahrhundert des Duisburger Stadtgebietes ist ein Grenzverlauf beginnend am Rhein zwischen Wanheimerort und Wanheim an der Ortsbezeichnung Eichelskamp, verlaufend im Zuge der Neuenhofstraße, an der Rückseite des Neuen Friedhofs im Zuge der Wedauer Straße, am Fuße der Regattabahn vorbei, unterbrochen durch das Eisenbahngelände am Wedauer Bahnhof, weiter geführt über den Worringer Reitweg, übergehend in den Rundweg, ab Kreuzung Nachtigallental, dann Grenzweg genannt, und damit auch die Stadtgrenze zwischen Duisburg und Mülheim bildend, ab Kreuzung Duisburger Straße an der Monning dann Monningstraße genannt, die sich dann im Auenbereich der Ruhr verliert. Man kann davon ausgehen, dass diese eingezeichnete Linie die Grenze zwischen den Herzogtümern  Berg mit Zentrum Schloss Burg an der Wupper und dem Herzogtum Kleve markiert. Im südlichen Bereich dieser möglichen Begrenzung herrscht, wie weiter oben beschrieben, die rheinische Sprachmelodik vor, während in der nördlichen Sprechweise das Duisburger Platt seine Heimat hat. 

Dafür gibt es lebende Beispiele wie den letzten Aalfischer Theo Hell aus Grieth bei Kalkar, mehrmals im WDR 3 interviewt, und ebenso Steffi Neu aus Kleve, eine TV-Ansagerin im WDR 3 in Köln. In östlicher Richtung ergeben sich kaum deutliche Spuren von Plattdeutscher Mundart. Dies ist  Folge der seit vielen Jahrzehnten anhaltenden Zuwanderung osteuropäischer Bevölkerungsgruppen, ausgelöst durch den außergewöhnlichen Personalbedarf der neu entstandenen und ständig gewachsenen Industrien, die eine umfangreiche Sprachdurchmischung bewirkt hat. Dort wird Platt sicherlich nur noch in lokalen Heimatvereinen gesprochen.

Immerhin verursachen Sprachdefizite in jüngeren Generationen verursacht durch ortsgebundene Spracheigentümlichkeiten wie Platt oder durch Assimilation fremdländischer Völkergruppen weiterhin in der schulischen Bildung allenthalben zumindest in den Grundschulen gewisse Probleme. Prominentes Beispiel hierzu existiert in der Gestalt des kürzlich erst verstorbenen Nachrichtensprechers Wilhelm Wieben, der nach eigener Bekundung bis zur Schulzeit nur Dithmarscher Platt kannte, dann aber über Schulbildung und Schauspiel- sowie beruflicher Sprachschulung zu seiner in dieser Hinsicht exponierten Berufsausübung gelangte.

Zum krönenden Abschluss noch ein kleines Gedicht auf Duisburger Platt:

Bi Meiers op dä Meddagsdesch 
do dämp en lecker Süppken. 
On ongeduldich sitt am Desch datt Jüppken. 
He nemp dä Löpel all en de Hand un fänk all an te äte,
do säht die Moder, Jüppken, Du därfs dat bä-e nit vergäte.
Do dä dat Jüppken mol gründlich överlägge, un säht:
Wenn ek jetz bät: Komm lewen Här, un dä deht wirklich komme,
dann köms Du met din Supp nit ut
un wi wöre all die Domme!

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