Reisen in und aus der DDR

Buchhandlung am Löhberg, 21. November 2019

Dieter Schilling

Waren Westreisekader Stasi-Begünstigte?

In allen Staaten der Erde ist es notwendig, dass sich Wissenschaftler, Ingenieure und Kulturschaffende in einen internationalen Erfahrungsaustausch begeben. Selbst diktatorische Staaten können es sich nicht leisten, z.B. Wissenschaftler von Tagungen, Kongressen und Industriemessen abzuhalten, da sie für den Fortbestand des Regimes notwendig sind. So war auch die DDR gezwungen, trotz aller Abschottungsmaßnahmen, Menschen die Möglichkeit zum internationalen Austausch reisen zu lassen.

Privat haben wir häufig Reisen in die sozialistischen Länder wie Ungarn, Bulgarien, Tschechoslowakei  u.a. unternommen. Diese Reisen waren für alle DDR-Bürger möglich. Diese Reisen konnte man mit viel Glück über das Reisebüro der DDR buchen. Privatreisen waren ein Geldproblem. Pro Reisender erhielt man Währung im Wert von 30,00 Mark pro Tag und Person ausgezahlt. Deshalb haben wir Reisen privat häufig mit einer Reisebüroreise gekoppelt. So sind wir z.B 4 Wochen nach Bulgarien mit dem PKW gereist. Mit kompletter Campingausrüstung ging es durch die CSSR, Ungarn und Rumänien. Wir haben 2 Tage im Zelt auf billigen Zeltplätzen übernachtet, manchmal auch wild, am 3. Tag dann in einem preiswerten Hotel. So ging es über die Karpaten in Richtung Sonnenstrand. Dort dann 12 Tage im Mittelklassehotel und dann wieder Richtung Heimat. Das waren zwar ärmliche Reisen, aber wir haben viel erlebt und gesehen.

Bis in die 60er Jahre waren Westreisen kaum möglich. Später wurden für Rentner oder aus humanitären Gründen Reisen in das westliche Ausland  nur für einige wenige möglich.

Nach meinem Studium wurde ich in einen Betrieb nach Weimar verpflichtet.Das war familiär eine Katastrophe. Da meine Frau schwanger war und im letzten Semester ihres Studiums, konnte sie jede Hilfe gebrauchen. Ich versuchte mehrfach, meinen Vertrag zu lösen, nach ca. 6 Monaten war es mir gelungen.

Zu dieser Zeit hatte die Regierung erkannt, dass in der Wirtschaft unbedingt eine Verbesserung der Rentabilität erreicht werden musste, zumal die Flucht von Menschen in den Westen den Arbeitskräftemangel und damit den Abschwung der Wirtschaft verstärkte. Es wurden technologische Zentren für die verschiedenen Fertigungsgebiete gegründet. So ein Zentrum gab es auch in meiner Heimatstadt. Aus der ehemaligen SLV Halle entstand ein „Zentralinstitut“. Für die neuen Aufgaben wurden Hoch- und Fachschulkräfte dringend benötigt, zumal auch hier die Fluchtwelle große Lücken hinterlassen hatte.

Im Frühjahr 1960 wurde ich als Assistent des ebenfalls neuen Forschungsdirektors eingestellt. Mit der neuen Struktur wurden auch erhöhte Sicherheitsanforderungen gestellt. Als Assistent des Forschungsdirektors hatte ich Zugang zu sensiblen Daten aus Forschung und aus der Industrie. Deshalb wurde ich zur „Vertraulichkeit“ verpflichtet. Mir war klar, dass ich bei den zuständigen staatlichen Stellen dafür überprüft wurde.

Eines Tages sprach ein Mitarbeiter mich an, da er einen ehemaligen Studienkollegen gesehen hatte, der persönlich vom Institutsdirektor durch das Institut geführt wurde. Wir fanden das sehr eigenartig. In der Folge wurden wir darüber informiert, dass das unser Bevollmächtigter der Staatssicherheit ist, der auch ein Büro in unseren Haus hat. Damit wurden auch häufig Kontrollen zur Sicherheit und den Umgang mit vertraulichen Dienstsachen durchgeführt. In den folgenden Jahren war ich häufig dienstlich in den Staaten des sozialistischen Wirtschaftsgebietes unterwegs und habe dort an Arbeitsgruppen oder Fachveranstaltungen teilgenommen.Später übernahm ich im Institut eine Abteilung, die sich mit der Überprüfung und der Zulassung von Schweißbetrieben befasste. Eine derartige Stelle gab es auch in der BRD, die ähnliche Aufgaben wahrnahm.

Zu dieser Zeit hatte die Regierung der DDR große Anstrengungen zur internationalen Anerkennung unternommen. Die Mitgliedschaft der DDR im internationalen Institut für Schweißtechnik war die Folge. Damit ergab sich, dass eine erhebliche Zahl von Mitarbeitern zu Westreisekadern ernannt werden mussten, um an Kongressen oder Arbeitsgruppen teilzunehmen. Eine Regelung des IIW führte dazu, dass bei Exporten sicherheitsrelevanter Erzeugnisse, eine Überprüfung und Zulassung der jeweiligen Hersteller des Lieferlandes notwendig wurde. Eine gegenseitige Anerkennung wurde ausgeschlossen. Damit mussten weitere Mitarbeiter für diese Aufgaben, die auch eine erhebliche Einnahme an Gebühren in DM erbrachten, vorgesehen werden.

Wie wurde man Westreisekader?

Ich kenne nicht die Regeln der Stasi, aber aus Befragungen konnte man entnehmen, dass eine Flucht des Ausreisenden in den Westen verhindert werden musste. Das bedeutete z.B., die Ehe muss intakt sein und Kinder in der Familie geben eine Sicherheit, dass der Ausreisende wieder zurück kommt. Wenn der Ausreisende keine Westverwandtschaft hat, ist das ein  weiterer Fakt. Die Parteimitgliedschaft in der SED war sicher nicht mehr so ausschlaggebend, weil eine Reihe von SED-Genossen das Weite gesucht hatten. Bis zum Mauerbau hatten über 2 Millionen Menschen das Land verlassen.Von einer Nachbarin wurde meine Frau darüber informiert, dass 2 Männer bei ihr um Auskunft über unsere Familienverhältnisse und unsere Einstellung zum Staat erfragt haben. Meine Frau war darüber nicht gerade amüsiert. Mein Kommentar dazu: Die arbeiten an meiner Zulassung als „Westreisekader“.

Die Genehmigung wurde zunächst durch eine Dienstreise ins damalige Jugoslawien erteilt. Danach erfolgten viele Dienstreisen nach Frankreich, Schweden, Westberlin und die Bundesrepublik.Zur Vorbereitung der Reisen wurden die Betriebe informiert, die Termine abgesprochen und der Reiseablauf festgelegt. Die Zusammenstellung der Reisegruppen erfolgte zunächst nach fachlicher Kompetenz. Die endgültige Zustimmung erfolgte dann durch das Okay der Sicherheitsstellen. Den grünen Reisepass der DDR erhielten die Dienstreisenden über unsere Reisestelle direkt aus Berlin zugestellt. Der Reisepass musste sofort nach Beendigung der Reise zurückgegeben werden. Die Verhaltensweise gegenüber den Besuchten waren in regelmäßigen Schulungen klar umrissen. Die Gespräche sollten ausschließlich zu fachlichen Themen geführt werden. Politische sowie private Gespräche sind zu unterlassen.

Nach Ende der Reise erfolgte die Auswertung. So wurde ein sogenannter24-Stunden Bericht verlangt. Nach Rückreise am Samstag musste dieser Bericht beim zuständigen Bevollmächtigen der Staatssicherheit spätestens bis 8.00 Uhr am nächsten Werktag vorgelegt werden. Der Bericht wurde von jedem Dienstreisenden auf einem einheitlichen Formular erstellt, wobei jeder über den Mitreisenden berichtete. In dem Bericht wurden gezielte Fragen gestellt, z.B.      

  • Wer hat das Hotel bestellt? – Name u. Anschrift, Zimmer-Nr.
  • Wurde von den Mitreisenden privat telefoniert oder ein Brief verschickt?
  • Hat sich der Mitreisende von der Reisegruppe getrennt aufgehalten?
  • Hat der Mitreisende Geschenke erhalten? Welche?
  • Wurden abfällige Äußerungen über die DDR und deren Staatsorgane  getätigt? usw.

Nach der Abgabe der Berichte erfolgte häufig eine persönliche Befragung. Die Reisen waren für mich insofern positiv, da man durch die Vielzahl der besuchten Betriebe seine technischen und technologischen Kenntnisse erweitern konnte. Negativ war, dass die in den Jahren gewachsene Zahl der Neider sich natürlich vergrößerte. Am allerschlimmsten war aber, dass der häufige Kontakt zur Stasi bei Freunden und Kollegen zu Misstrauen führte.

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