Alles wird gut

Die Fresswelle in beiden deutschen Staaten

Schaut man sich in Corona-Zeiten mal auf den Straßen im verbliebenen Rest der Bevölkerung um, so hat sie in keinster Weise an unserem in den letzten Jahren stark zugenommenen Leibesumfang etwas geändert. Im Gegenteil, manche Experten warnen schon davor, dass die Leibesfülle noch mehr zunehmen wird.

Das war vor sieben Jahrzehnten gar nicht vorstellbar. Hunger gehörte in der Nachkriegszeit genauso zum Alltag wie Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Krankheit und Angst vor der Zukunft. Sich endlich sattessen zu können, war das Credo nach den Hungerjahren, und so futterten sich in den 1950er und 1960er Jahren die Deutschen „Wohlstandsbäuche“ an.

Hüben wie drüben beklagten Sozialmediziner bereits zu Beginn der 1960er Jahre einen Mangel an Bewegung und sportlicher Betätigung, der in Gesellschaft mit viel Zucker und Fett zwangsläufig zu Herz-Kreislauferkrankungen führen würde – was ja auch eintraf … mit den gravierenden volkswirtschaftlichen Folgen bis heute.

Speckrollen waren das neue Statussymbol. Nichts sollte mehr an die Zeit des Elends erinnern. 

DDR Werbefilm mit Aufruf zu anderer Ernährung und sportlicher Betätigung

Die fünf Wellen

Die Kosumentwicklung mit Beginn der 1950er Jahren kennt im Westen und zeitversetzt im Osten 5 Wellen:

  1. Fresswelle (frühe 1950er Jahre)
  2. Kleidungsgrundkonsum (1949 – 1952)
  3. Hausrat (1952 – 1957)
  4. Verkehr (1960 – 1979)
  5. Reisen (1962 – 1966)

Soziale Marktwirtschaft versus Planwirtschaft

Die Bürger im Westen lebten seit 1949 in einer neuen Staatsform, hatten bereits 1948 eine neue Währung bekommen und neue Verbündete. Die Industrie wurde gestützt, der Dienstleistungssektor ausgebaut, Landwirtschaft spielte nur noch eine Nebenrolle. Die Zeit des Wiederaufbaus, die einherging mit dem Zwang zur Modernisierung, eröffnete durch Marschall-Plan und Gründer-Krediten (ERP-Kredite: European Recovery Program; heute Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW) enorme Exportchancen. Die Soziale Marktwirtschaft war geboren. 

Statt Sozialer Marktwirtschaft setzte man in der neu gegründeten DDR auf die Planwirtschaft. Die Demontage als Reparation für angerichtete Schäden in der sowjetisch besetzten Zone war weitaus größer als die Schäden durch Kriegseinflüsse. Hinzu kamen Bodenreform, Enteignung, Gründung von LPGs und der Stasi – auf Grund der einsetzenden Fluchtwellen. Die Schwerindustrie wurde gefördert, zu Konsumverzicht aufgerufen, sparsamer Umgang und hohe Preise waren die Folge. Es wurden noch lange nach dem Krieg die Lebensmittel rationiert. Hohe Arbeitsnorm und überhöhte Preise in den HO-Läden führten 1953 zum Volksaufstand, und erst 1958 verschwanden dann auch die Lebensmittelmarken (1950 in der BRD). Die Ernährungssituation hatte sich erst Anfang der 1960er Jahre stabilisiert. Die DDR erlebte sodann eine ähnliche Fresswelle wie die BRD.

Die „Fresswelle“ wurde im Westen zusätzlich noch beflügelt durch die Werbekampagnen einer bestimmten Partei. „Lass den Dicken ran“, war auf Plakaten der CSU 1963 zu lesen, die Ludwig Erhard als Nachfolger von Konrad Adenauer sahen. Die Schaumburger Hofsänger besangen dies in einem Karnevalshit.

Lebensmittel

Weizenmehl wurde im Westen nunmehr auch für Brot verbacken statt nur im Sonntagskuchen. „Gute Butter“ kam genauso auf den Tisch wie die Verwendung von Kokosfett (Palmin) in der Essenszubereitung. Es gab ausländische Produkte wie Ketchup und Mixed Pickels. Kondensmilch wurde gerne von Kindern getrunken, und die preisgünstige Margarine kam auf den Tisch.

Zigaretten und Alkohol gehörten bei den Erwachsenen zum guten Ton, wurde durchaus verschenkt oder als Trinkgeld gegeben. Obst und Gemüse gab es den Jahreszeiten entsprechend. Es wurde viel eingekocht und eingeweckt.

Bonbons für die Kinder waren an den Buden für Pfennigbeträge zu haben. 

Der Nahrungsmittelverbrauch im Osten war an detaillierte Planvorgaben gebunden und führte zwangsläufig zu Versorgungsproblemen mit manchmal kuriosen Aufforderungen, z. B. wegen eines zu hohen Aufkommens an Eiern. Da hieß es dann in der Werbung:

Nimm ein Ei mehr!

Lebensmitteleinkauf

Einkäufe in den Tante-Emma-Läden des Westens dauerten in der Regel 30 Minuten (anstehen, abwiegen, kassieren), ausgenommen freitags, da war Zahltag und dementsprechend dauerten die Einkäufe noch länger. Jeder Einkauf diente auch der Kommunikation. Noch hatte nicht jeder einen Kühlschrank, so dass fast täglich eingekauft werden musste. Es gab aber auch den Eier-, Kartoffel-, Kohle- und Milchmann, die alle mit ihren Wägen von Haus zu Haus fuhren. 

1951 gab es im Westen bereits 30 Selbstbedienungsläden nach amerikanischem Vorbild. Die Inhaber sparten Zeit und Personal und stellten 30% mehr Umsatz fest. Trotzdem überlegte man zwischendurch, ob es nicht besser wäre, der Hausfrau einen Ausweis für das unbewachte Betreten des Ladens ausstellen zu müssen, hielt sich dann aber wegen der ‚Diszipliniertheit der deutschen Frau‘ zurück.

Die ANUGA stellte der Welt in Köln erstmals 1955 Tiefkühlkost vor, 1957 gab es die ersten Tiefkühlwaren im Geschäft und 1958 die ersten Ravioli aus der Dose.

In der DDR stieg der Fleischkonsum enorm. Es wurden fortan Schweine mit weniger Lebendgewicht, dafür aber mit weniger Fett gezüchtet. Bei Obst und Gemüse beschränkte sich der Konsum auf heimische Sorten.

Die DDR blieb verschont mit den kulinarischen Genüssen aus dem westlichen Ausland, dafür gab es Gerichte aus den Ostblockstaaten. Zwar wurde eher weiterhin der Mangel verwaltet, auch was das Essen betraf, jedoch wuchs der Butter- und Fleischkonsum enorm an: Würzfleisch, Kesselfleisch, Kasseler oder Rinderroulade. Fortan gediehen auch in der DDR die Bäuche. Die Ausgaben für Lebensmittel machten 44 % des Einkommens der Bevölkerung der DDR aus.

Das westdeutsche Frauenbild kann man in dieser Zeit im Spiegel von zeitgenössischen Zeitschriften und Werbung betrachten. – Frauengold beispielsweise – ein Getränk mit 16,5 % Alkohol – konnte in Drogerien und Apotheken erworben werden. Frauengold erleichterte die Rückkehr der „Trümmerfrauen“ in die traditionelle Hausfrauenrolle.

Mit Frauengold wurde die Frau im Westen in die tradierte Hausfrauenrolle geschickt

Die DDR wünscht sich diesbezüglich eine „formschöne Werbung im sozialistischen Geiste“, die Dinge von herausragender Qualität anpreist und die von den Interessen der Werktätigen selbst ausgeht.

Essgewohnheiten

Vorbei war es mit Rindenbrot und Steckrüben. Die neuen Lebensmittel hießen: Mayonaise und Ananas, und diese wurden vom 1. Fernsehkoch Clemens Wilmenrod präsentiert.

In den Pausen auf den Schulhöfen wurden Butterbrote verzehrt, heute nennt man das Pausensnack. Auch die Männer nahmen Butterbrote mit, manche auch einen Henkelmann mit einer warmen Mahlzeit. Mittags wurden Eintöpfe (meist freitags oder samstags), Pfannkuchen, Kartoffel mit Spinat und Ei, Kartoffelpuffer usw. gegessen. Was übrig blieb, wurde aufgehoben und am nächsten Tag wiederverwendet. Sonn- und Feiertags gab es den berühmten Sonntagsbraten. 

Man aß immer mehr Tiefgekühltes. Die Konserve löste im Westen langsam die Frischkost aus dem Garten ab, während in der DDR der Schrebergarten noch lange erhalten blieb.

Hamsterkäufe

Die langjährigen Erfahrungen mit der Lebensmittelrationierung führte dazu, dass die deutsche Bevölkerung bis heute gerne in Krisenzeiten mit Hamsterkäufen reagiert. Dieses Phänomen ist spätestens seit der Spanischen Grippe (1918) bekannt, als Menschen versuchten, mit ihren Unsicherheiten während der Epidemie umzugehen. Mit Beginn des Koreakrieges (1950) waren hierzulande in kürzester Zeit Fett und Zucker ausverkauft, während der Kubakrise (1962) hieß der Vorratsschrank sogar Kubakrise. In der DDR provozierte schon ein Hinweisschild „Bitte nicht mehr als zweimal Weizenmehl entnehmen“ zu Hamsterkäufen von Weizenmehl, Scheuermittel, Toilettenpapier, Butter oder Rübenzucker.

1961 empfahl das damalige Bundesernährungsministerium mitten im Kalten Krieg und wenige Monate vor dem Bau der Berliner Mauer der Bevölkerung eine umfassende private Notfall-Vorsorge für Krisenzeiten, die 2016 von der Bundesregierung noch einmal neu beschlossen wurde.

Unsere derzeitige Klopapierkrise in Deutschland hatte bereits 1973 einen Vorläufer in den USA. Dort wurde das Toilettenpapier nach einer Late Night Show gehortet. Es war die Zeit der Ölkrise, und in der Show wurde vom Moderator (schmunzelnd) der Slogan ausgegeben: Nicht nur das Öl wird knapp! Man möge das Toilettenpapier nicht mehr zum Schreiben benutzen. – Am nächsten Tag hatte die USA ihre Klopapierkrise.

Die Ironie an der Geschichte ist, dass es ohne Hamsterkäufe keinen Grund für Hamsterkäufe gäbe. Nur die plötzlich massenhafte Hortung bestimmter Waren sorgt für leere Regale. Und die Bibel empfahl schon zu Urzeiten die Hortung, da auf sieben fetten Jahren garantiert magere Jahre folgen würden.

Hier geht es zu einer sehenswerten Präsentation BRD/DDR in den 1950er Jahren:

https://prezi.com/xfi0captvfwm/1950er-jahre/

Schreibimpuls

An unsere Zeitzeugen ergeht die Bitte, sich doch noch einmal in diese Zeit hineinzuversetzen:

  • Wie sah es bei Ihnen zu Hause mit dem Essen in dieser Zeit aus?
  • Was kam auf den Tisch?
  • Wie war der Einkauf?
  • Was wurde/konnte eingekauft/werden?
  • Gab es bestimmte Sitten und Bräuche bei den Mahlzeiten?

Mögliche Überschriften

Hier einige Anregungen zu Thema Ernährung in den 1950er Jahren, was die Überschriften betrifft:

  • Unser Speiseplan in den 1950er Jahren
  • So haben wir gegessen
  • Tradierte Alltagskost
  • Ananas aus der Dose
  • Exotik aus Konserven
  • Rezepte aus Italien
  • Es ist wieder alles zu haben
  • Vom Eicheln-Lebkuchen zur Buttercremetorte
  • Als Zigaretten noch zu Weihnachten verschenkt wurden
  • Fett und schwer
  • Kalte Schnauze und Toast Hawaii

Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften

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