Ein Heiliger Abend, an dem alles schief lief

In der zweiten Oktoberhälfte 1979 schlugen wir als frisch verheiratetes Ehepaar in Buenos Aires auf. Wir hatten ein kleines Häuschen in einem Vorort gemietet. Das Haus war praktisch leer, wir schliefen auf einer Schaumgummi-Matratze am Boden, die Küche funktionierte allerdings. Das war alles kein Problem, denn bald sollte unser Umzugscontainer eintreffen mit IKEA-Möbeln, Bekleidung, Büchern und natürlich auch dem ganzen Weihnachts-Equipment, einschließlich der Geschenke. Doch der Container verzögerte sich immer wieder, mal ein Hafenstreik da, eine Schiffsreparatur dort, etc. etc.

Am 21. Dezember realisierte ich, der Container würde  nicht mehr rechtzeitig zu Weihnachten ankommen. So war es dann auch, er wurde nämlich erst am 7. Jänner angeliefert. Was also tun an Heilig Abend?

Ein Blick in das Argentinische Tageblatt, die deutsche Tageszeitung, zeigte, dass in einer angemessenen Entfernung eine deutschsprachige evangelische Gemeinde am Nachmittag eine Messe feierte. Es war ein brüllend heißer Sommertag. In der S-Bahn guckten einige auf die beiden Gringos – wie Südamerikaner abfällig Personen bezeichnen, die nicht romanischer Herkunft sind –, die mit Schlips und Kragen und aufgebrezelt im Zug saßen. Natürlich, denn wir fuhren ja zur Weihnachtsmesse.

Die Kirche war ein kleiner, schmuckloser Bau, der den Charme einer Autogarage verströmte. Drinnen waren etwa 50 Gläubige. Die Messe begann, der Pastor hielt seine Weihnachtspredigt. Erkennbar am Dialekt gehörte er zu den Banater-Deutschen (ehemals deutsche Siedler im mittleren Donauraum). Er bot in seiner Predigt eine schauerliche Mischung aus Allgemeinplätzen und purem Unsinn. Auch das ging vorbei. Reichlich enttäuscht machten wir uns auf den Heimweg.

Daheim wurde ein Stück Fleisch in die Pfanne geworfen und eine Flasche Rotwein geöffnet. Der Abend ging dahin, dann hatte ich die vermeintlich gute Idee: „Schatz die Messe bei den Evangelen war ein Reinfall, gehen wir jetzt zu den Katholen, die können so etwas besser.“  Also brachen wir um 23:30 Uhr zu Fuß zur Kathedrale von San Isidro auf, in der festen Überzeugung, dass in jeder katholischen Kirche um Mitternacht des 24.12. eine Christmette gefeiert wird. San Isidro war der nächste Vorort von uns aus. Was etwas großspurig „Kathedrale“ hieß, war die Kirche dieses Vorortes, etwa so groß wir die Petrikirche in Mülheim. 

Auf dem Weg dorthin durch eine Einfamilienhaus-Wohngegend strömten aus vielen Gärten Asado-Düfte – die argentinische Bezeichnung für den Grill-Geruch – und eher fröhliche Musik. Nix mit „besinnlich“. 

10 Minuten vor Mitternacht standen wir vor der Kathedrale. Doch oh Schreck, alles finster, alles zu! Enttäuscht machten wir uns daher ohne geistlichen Beistand wieder auf den Heimweg. Die zweite Flasche Rotwein überlebte diesen Abend nicht.

Ein Jahr später kamen die Schwiegereltern über Weihnachten zu Besuch. Rechtzeitig erkundigte ich mich nach den Messeterminen. Um 21 Uhr fand die Christmette statt, in einer vollen Kirche und schön gefeiert. Es war ein Erlebnis, die ganze Kirche auf Spanisch das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ singen zu hören. Diese Messe war ein voller Erfolg.

Man soll eben im Ausland nicht gewohnte Bräuche und Zeitabläufe von daheim auf das andere Land übertragen! Genaue Recherche der Termine ist unumgänglich und macht sich bezahlt.

Wolf Dietrich Hausmann
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1 Gedanke zu „Ein Heiliger Abend, an dem alles schief lief“

  1. Bezüglich Ausland kann ich mich an ein Weihnachten In Nigeria erinnern. Mein 2. Mann war dort geboren. Bei unserem 14-tägigem Aufenthalt schlief ich bei einer Deutschen, die mit ihrem nigerianischen Mann in Lagos lebte. Zu Weihnachten wurden wir von Freunden eingeladen.
    Es war schon ein unrealistisches Gefühl bei einer ziemlichen Hitze mit einem Grillfeuer draußen zu sitzen und Weihnachten zu feiern.
    Aber auch das muss man mal mitgemacht haben, um die „deutsche“ Weihnacht zu schätzen.

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