03: Weihnachten 1944

Brigitte Reuß/Weihnachten 2009
Foto: Brigitte Reuß

Es war im Kriegsjahr 1944, Weihnachten. Wir waren 9 Mädchen, alle 17 Jahre alt, und hatten in Beelitz bei Berlin den Befehl, in der „Stellung 9648“ den Scheinwerfer zu bedienen. Heimaturlaub gab es nicht. Jede Woche aber fuhr ich mit einem Bauern in seinem Pferdegespann zu einem Ort, um unsere „Essensrationen“ und die „Feldpost“ abzuholen. Das war für uns ganz wichtig.

Diesmal war für mich ein Päckchen von meiner Mutter dabei. Wie ein Kleinod hielt ich es in meinen Händen. Neugierig und voller Freude habe ich es in unserer Baracke im Beisein aller Mädchen geöffnet. Juchhu! Eine Dresdner Stolle! Meine Güte, habe ich mich gefreut. Ohne eine Dresdner Stolle war bei uns in der Familie kein richtiges Weihnachtsfest. Meine Mutter kam nämlich aus dieser Gegend und brachte ihr persönliches Rezept mit nach Berlin, wo wir wohnten. Der Weihnachtsabend war für mich mit der Dresdner Stolle ein richtig schöner Heiligabend und für alle anderen auch.

Brigitte Block im Dezember 2012

(Brigitte Block war begeisterte Zeitzeugin der Zeitzeugenbörse Mülheim an der Ruhr. Auch nach ihrem Tod im Januar d. J. sind wir berechtigt, ihre selbst verfassten Texte zu veröffentlichen.)

Brigitte Reuß, EFI/Mülheim


Über Brigitte Reuß

Im November 2011 war ich Mitbegründerin der Zeitzeugenbörse Mülheim an der Ruhr. Eins meiner vielen Interessen war immer schon, das aktuelle politische Geschehen in einem größeren historischen Zusammenhang zu sehen. Was mit Einzelschicksalen in ihrer jeweiligen Zeit passiert, habe ich schon in die Wiege gelegt bekommen, denn beide Eltern waren nach dem 2. Weltkrieg Flüchtlingskinder, mein Vater sogar noch Kindersoldat. Erst nach meiner Pensionierung konnte ich mich mit den Folgen dieser schrecklichen Zeit in der deutschen Geschichte beschäftigen und damit auch mit den Ursachen. Bei meiner Arbeit ist mir ganz wichtig, immer auf das Alter der Erzählenden zu achten und immer danach (auch der Zuhörer sich selbst in seiner Biografie) zu fragen, inwieweit das politische Bewusstsein schon vorhanden war; und das ist bei jedem Menschen verschieden. Ich möchte ein Mosaikstückchen dazu beitragen, dass junge Menschen ihr persönliches politisches Bewusstsein bilden können; deshalb ist mir die Arbeit an Schulen eine Herzensangelegenheit. Die Zeitzeugen fühlen sich manchmal unverstanden, wenn aus dem Heute Rückschlüsse nach Gestern geschlossen werden, frei nach dem Motto Warum habt ihr nichts gemerkt?, Wie konnte das passieren?, usw. Und genau hier ist der Punkt, an dem ein Austausch mit der jüngeren Generation stattfinden kann. Indem es den Zeitzeugen gelingt, dass sich die Schülerinnen und Schüler in die damalige Zeit versuchen hineinzuversetzen, können auch Bilder für das eigene Leben, für die eigene Zukunft entstehen.

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