Die ZeitZeugenBörse Mülheim an der Ruhr hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lebensgeschichten zu konservieren. Wenn wir unsere Lebensgeschichte verlieren, stehen wir vor dem Nichts. Deshalb will sich unsere Seele erinnern. Dafür muss ihr Raum und Zeit gegeben werden, um die Erinnerungen angemessen durchschreiten zu können. Bei uns soll erlebte Geschichte – als Teil einer Erinnerungskultur – den Dialog zwischen den Generationen fördern. Dazu sind Zeitzeugen aufgerufen das, was sie erlebt haben, zu erzählen. Dies wird aufgezeichnet und verschriftlicht. Der Dialog findet statt mit Schulen, Universitäten, Ausbildungseinrichtungen usw..
Seit 2012 ist unsere „Börse“ nun online. Interessant ist, dass die meisten Anfragen zu Schulbesuchen usw. über den Austausch übers Netz kamen. Derzeit bereiten wir z. B. eine große Abend-Veranstaltung in einer Düsseldorfer Schule vor; auch dieser Kontakt begann im Netz.
Unsere Zeitzeugen gehen gerne in die Öffentlichkeit, möchten aber ihre Privatsphäre geschützt wissen. So hat jede/r, die/der es möchte, ein Profil fürs Netz erstellt und auch zugleich bestimmt, in welcher Form der Name dargestellt wird. So dürfen wir von ganz wenigen Zeitzeugen ganze Vor- und Nachnamen veröffentlichen; bei anderen müssen wir uns auf einige Initialen beschränken.
Lesen Sie nun den Artikel unseres Zeitzeugen Herr K.-H. RU. vom 13.12.2014:
Zeitzeuge für ein russisches Filmprojekt
Durch Zusammenarbeit mit der Zeitzeugenbörse Berlin vereinbarte das russische Fernsehen einen Interview- und Aufnahmetermin des russischen Kultursenders TV-Kultura mit der Zeitzeugenbörse Mülheim/Ruhr zum 11.12.2014. Aus russischen Archiven über den Zweiten Weltkrieg machte man die Unterlagen des Zeitzeugen Werner Winkler ausfindig, der in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 von der einmarschierenden Roten Armee im Alter von 15 Jahren aus seiner Heimat Schlesien mit weiteren männlichen Zivilisten seiner Heimat nach Russland zur Zwangsarbeit verschleppt wurde.
Eine Journalistin der WAZ in Begleitung eines Fotografen schloss sich dem Interview an und brachte einen ausführlichen Artikel im Lokalteil der WAZ vom 12.12.2014. Das 6-köpfige Fernsehteam beschäftigt sich in einer Sendereihe mit dem Titel Zeit der Versöhnung mit dem Schicksal von Zwangsarbeitern, und zwar jenen von russischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die in Deutschland zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, und als Gegendarstellung von Deutschen, die in Russland erzwungenen Arbeitsdienst leisten mussten. Das Interview hier im Mülheimer Sommerhof führte die deutschsprachige Historikerin Dr. Tatiana Timofeewa in sehr einfühlsamer Art und Weise.
Herr Winkler berichtete sehr ausführlich von der rücksichtslosen Ergreifung in seiner schlesischen Heimat von der Straße weg, dem wochenlangen Transport in Viehwaggons im Januar 1945 bei bitterkalter Witterung nach Winniza in der Ukraine, wo er in ein Zwangsarbeiterlager mehr schlecht als recht einquartiert wurde. Er hatte mit seinen Schicksalsgenossen Schwerstarbeit bei mangelhafter Ernährung im Gleisbau zu leisten. Dennoch gelang es ihm gelegentlich, sich von der Arbeitsstelle zu entfernen, um bei Bauern oder in nahegelegenen Ortschaften zu betteln. Nach eineinhalb Jahren wurde er nach einem Krankenhausaufenthalt nach Frankfurt/Oder (damals noch DDR) entlassen.
Frau Dr. Timofeewa stellte fest, dass sich das Schicksal der russischen Zwangsarbeiter in Deutschland mit dem der deutschen Internierten in Russland vergleichen lässt. Beide Gruppen erfuhren jeweils in ihrer Zwangslage vergleichbare Situationen von mangelhafter Ernährung, Bekleidung und Schikane, jedoch auch gelegentliche aktive Anteilnahme durch die Zivilbevölkerung, ohne die ein Überleben kaum möglich gewesen wäre.
Artikel in der WAZ: Verschleppt im Alter von 15 Jahren
Brigitte Reuß, www.unser-quartier.de/zzb-muelheim