ERNST WILHELM NAY – Die Kölner Jahre
von Ingrid Westbrock
Ernst Wilhelm Nay, einer der bedeutendsten Maler der deutschen Nachkriegszeit, lebte seit Anfang der 50er Jahre in Braunsfeld und später in Lindenthal. 1902 in Berlin geboren, kam er über Berlin und Hofheim im Taunus ins Rheinland. Er verstarb im Frühjahr 1968 in seiner Wahlheimat Köln und wurde auf dem Melaten-Friedhof beigesetzt.
In Lindenthal trägt auch eine Straße seinen Namen. Aktuell ist eine Ausstellung „Bilder der 60er Jahre“ von Ernst Wilhelm Nay im Michael Werner Kunsthandel Köln zu sehen.
Er ist schon ein durch Ausstellungen in Museen und Galerien bekannter Maler, als E.W. Nay 1951 mit seiner Frau Elisabeth aus dem Taunus in die Domstadt zieht. Sie erinnert sich: „München war ihm zu schön und dadurch ablenkend, Hamburg zu nördlich gelegen und Berlin in jenen politisch unruhigen Zeiten zu riskant. Wie schon in Hofheim so lebten wir auch in Köln bis etwa 1954 ohne Auto, ohne Radio und ohne Telefon. Durch seine telepathische Veranlagung wußte Nay häufig, wann uns jemand besuchen wollte. Dann blieben wir zu Hause. Abends kamen dann oft interessante Gäste, die mit Nay vor den Bildern diskutierten. Dieser Austausch von Gedanken war ihm ein wesentliches Korrektiv für seine Arbeit“ – schreibt Nays Witwe Elisabeth Nay-Scheibler in „E.W. Nay aus der Nähe – ein Lebensbericht“, veröffentlicht in „Nay – Variationen – Retrospektive zum 100. Geburtstag“, DuMont 2002.
Das Ehepaar Nay führt in Köln ein geselliges Leben mit vielen Prominenten aus Kunst, Kultur und Politik. So zum Beispiel auch mit Krista und Karl Gutbrod. Gutbrod war in diesen Jahren Verlagsleiter bei M. DuMont Schauberg und brachte die ersten großen Künstlermonographien heraus. Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens ist zunächst die kleine Dachwohnung in der Wiethasestraße im 5. Stock eines im 2. Weltkrieg ausgebombten Hauses in Köln-Braunsfeld. Fotos zeigen ihn 1958 auf dem Balkon eben dieser Wohnung.
In dem Atelier in der Wiethasestraße entstanden ab1954 auch seine berühmten Scheibenbilder, in denen die Kreisform der Scheibe zum dominierenden Farbmotiv wird. Eine äußerst produktive Zeit für Nay. Gut vierzig Jahre später bin ich mit meinem Mann in genau diese Wohnung gezogen und erfahre bald, welche künstlerische Berühmtheit hier gelebt hat. Ich begebe mich auf Spurensuche.
2002 zu Nays 100. Geburtstag gibt es in München und ein wenig später im Kunstmuseum Bonn die Retrospektive. Jetzt sehe ich seine Bilder zum ersten Mal im Original und bin fasziniert. Insbesondere von den berühmten „Scheibenbildern“.
Einem großen internationalen Publikum bekannt wurden sie auf der 3. documenta in Kassel 1964. „Die drei für damalige Verhältnisse riesigen, 4 x 4 m großen, strahlend bunten, vom Künstler als ‚Scheibenbilder‘ bezeichneten Leinwände hingen in total unkonventioneller Weise schräg von der Decke“, erinnert sich die Kölner Kunstexpertin Wibke von Bonin: „Nach diversen anderen auf die Gegenstandslosigkeit zusteuernden Serien stellten diese Bilder in Nays Entwicklung den Höhepunkt einer ganz eigenen Form- und Farbsprache dar.“
Die Kunstexpertin – einem breiten Fernsehpublikum auch bekannt durch ihre Reihe „1000 Meisterwerke“ und ebenfalls in Braunsfeld ansässig – erinnert sich auch noch gut an Elisabeth Nay-Scheibler, die mit ihren 90 Jahren im Atelierhaus in Lindenthal lebt, welches die Nays 1959 bezogen. Nay hatte es sich von dem bekannten Kölner Architekten Erwin H. Zander bauen lassen extra für seine großformatigen Bilder.
Frau Dr. von Bonin erzählt: „Ich lernte Frau Nay in der 80er Jahren kennen, als es darum ging, für das 3. Fernsehprogramm einen Dokumentarfilm über E.W. Nay auf der Grundlage seiner berühmten theoretischen Schrift ‚Vom Gestaltwert der Farbe‘ zu konzipieren. Sie lud mich in das Atelier in Lindenthal ein, und wir verbrachten einen Nachmittag beim Tee über Abbildungen und Schriften. Ich lernte in ihr eine sehr präzise und gewissenhafte Kunsthistorikerin kennen, eine liebenswürdige Dame.“
Elisabeth Nay-Scheibler hat auch jahrelang das Nay Archiv bearbeitet, bevor es in eine Stiftung überführt wurde.
Die Ernst Wilhelm Nay Stiftung verwaltet seit 2005 den künstlerischen Nachlass.
Die Kunsthistorikerin Dr. Magdalene Claesges bearbeitet hier zur Zeit den letzten Band des Nay Werksverzeichnisses der Papierarbeiten, der im Herbst 2018 erscheinen wird.
In Kooperation mit der Ernst Wilhelm Nay Stiftung präsentiert der Michael Werner Kunsthandel Köln aktuell – bis 13. Januar 2018- Leinwandarbeiten aus den Jahren 1964 bis 1967. Die Ausstellung in der Galerie in der Gertrudenstraße zeigt flächige und ornamentale Figurationen, die Vereinfachung der Formensprache und Verringerung der Farbpalette, die kennzeichnend ist für die Bilder Nays ab Mitte der sechziger Jahre.
Blieb Nay in seinen letzten Lebensjahren die verdiente künstlerische Anerkennung weitestgehend verwehrt, so richtete sich nach seinem Tod im Jahr 1968 Anfang der 90er Jahre die Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Inzwischen werden auf dem Kunstmarkt Höchstpreise erreicht. Im Mai 2011 erzielte das großformatige Gemälde „Chromatische Scheiben“, 1960, den bisher höchsten Preis bei einer Auktion: stolze 750.000 Euro.
Fotos: Copyright Fotoarchiv Ernst Wilhelm Nay Stiftung
Bilder: Copyright 2017, Elisabeth Nay-Scheibler, VG Bild-Kunst