Heimat Flucht Vertreibung

Flüchtlingskinder waren meine Freundinnen

Wir schrieben das Jahr 1944, mitten im 2. Weltkrieg. Die Bombenangriffe auf Essen fielen in immer kürzeren Zeitabständen, da brachten mich meine Eltern, weil ich ständig erkältet war und oft Mandelentzündungen hatte, zu Pflegeeltern nach Schoningen im Solling am Harz.

In dem Dorf gab es Gott sei Dank kein Hin-und-her-Gezerre mehr zwischen Kinderbett, Bunker oder Luftschutzkeller. Meine Mutter sah ich allerdings nur noch für einige Tage im Monat und meinen Vater nur einmal im Jahr, wenn er Urlaub hatte. Aber meine Pflegeeltern waren gut zu mir, da hatte ich Glück.

In dem 3000-Seelendorf waren wir also sicher vor Bombenangriffen, nicht aber vor Flüchtlingsströmen.


 Auf dem Weg in die Ukraine

Ja, dann wurden wir auf dem Deminium in Knechtekammern eingesperrt, und dann wurden einige verhört, wir haben das in den Nebenräumen gehört, wie Geschrei, Gestöhne. Ja, da wurden diejenigen geschlagen und misshandelt. Die wollten ja SS-Leute und Parteigenossen. Da haben wir so gedacht, jetzt bist du bald dran zum Verhör. Aber dazu kam es nicht, die haben uns runter geführt wieder, in einen großen Pferdestall, der war ja leer, da wurden wir reingetrieben. Da waren schon die Männer und Jungs aus dem Nachbarort da, u. a. auch mein Onkel Max, meiner Mutters Zwillingsbruder, aus Selbnitz. Ja, wir haben dort übernachtet, anderen Morgen raus, und dann mussten wir marschieren bis nach Heidenau, ach – wie viele km waren denn dass? – Das waren auch so über 20 km.


Mit 4 im Luftschutzbunker

In meinem „Koffer der Erinnerungen“ ist auch ein kleines Bild, das ich mal für meine Mutter gemalt habe, als ich ca. 7 Jahre alt war und bei meinen Pflegeeltern auf dem Land lebte. Zu der Zeit sah ich meine Mutter selten, denn sie konnte aus dem bombadierten Ruhrgebiet nur einmal im Monat kommen. Auf dem Bild sieht man nur einen Tisch, 2 Stühle, eine Lampe und ringsum war komplett bemalt, so dass nur noch in der Mitte Platz war,  und zwar für meine Mutter und mich. Auf dem Tisch stehen ein Kuchen, eine Kaffeekanne und eine Tasse. Oben drüber schrieb ich Libe (ohne e) Mutti. – Da ich erst mit 7 Jahren in die Schule gekommen bin, war ich der Rechtschreibung noch nicht so mächtig.

C. Goller, Jg. 1938


Die Reise meines Lebens

Wegen der schlimmen Erfahrungen aus den Bombenangriffen auf unsere Heimatstadt Duisburg, insbesondere dem Dreifachangriff vom 14./15. Oktober 1944, der als schwerster Luftangriff, der jemals auf eine einzige Stadt bis dahin erfolgte, hatte sich unsere Mutter um eine Evakuierung in weniger luftgefährdete Gebiete bemüht. Meine älteste Schwester war dienstverpflichtet bei der Deutschen Kriegsmarine im heutigen Schleswig- Holstein, und meine zweitälteste Schwester befand sich damals mit 15 Jahren in der Kinderlandverschickung in Oberschlesien. Wir, meine Mutter und ich, wurden am 8. Januar 1945 zur Niederlausitz in den Raum Sorau, heute zu Polen gehörig, verschickt.

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