Besichtigung der Duisburger Synagoge

Foto, privat: Ernst van Megern
Foto, privat: Ernst van Megern

Der Termin zur Besichtigung der  Synagoge am Springwall 16 in Duisburg am 11. März 2015 um 10.00 Uhr  kam über den Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde,  Michael Rubinstein, zustande. Die ehrenamtliche Synagogen-Führung übernahm  Gemeindemitglied / Historiker  Dr. Heid. Er  informierte uns über den Garten der Erinnerung, in dem die Synagoge steht, Redensarten jiddisch-hebrä-ischen Ursprungs, die alte Duisburger Synagoge, die neue Duisburger Synagoge, die heutige  Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen und über jüdische Gesetze und Riten. Alle Zeitzeugen konnten nachempfinden, wie sehr Dr. Heid das Judentum am Herzen liegt. Die „Zeitzeugen“ bedanken sich ganz herzlich bei ihm für seine interessanten und lehrreichen Ausführungen, die man so schnell nicht vergisst.

Garten der Erinnerung, in dem die Synagoge steht

Die Duisburger Synagoge, ein gewiss architektonisches Kleinod, liegt am Innenhafen im so genannten Garten der Erinnerung. Im drei Hektar großen Park wurden Überreste der ehe-maligen Bebauung stehen gelassen, um sie als Veranstaltungsorte oder Aussichts-türme zu nutzen. Die Grundrisslinien der abgerissenen Gebäude wurden durch weiße Betonbän-der stilisiert dargestellt. Der Park schafft  einen Zusammenhang zwischen der indus-triellen Vergangenheit und der sich an Kultur und Freizeit orientierenden Zukunft.

Redensarten jiddisch-hebräischen Ursprungs

In unserem Sprachgebrauch verwenden wir eine Vielzahl an Begriffen und Sprich-wörtern, die über das Hebräische und schließlich das Jiddische Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben. Der Ursprung ist auf den ersten Blick oft  kaum mehr ersichtlich. Bei an-deren Begriffen wiederum ist ihre hebräische Herkunft noch oft erkennbar.

  • So war der Plejte Gejer jemand, der auf der Flucht vor seinen Schuldnern war (Plejte = Flucht, Gejer = Geher, Läufer). Durch falsches Verstehen wurde daraus schließlich der Pleitegeier, der in weiterer Abwandlung irgendwann damit begann, über den verschuldeten Menschen sprichwörtlich zu kreisen
  • Schmiere stehen, also aufpassen, dass niemand die anderen überraschte.
    hat nichts mit dem deutschen Wort „schmieren“ gemein, sondern leitet sich vom hebräischen Sch’mira (Jiddisch: Schmire) ab, was Wache bedeutet.
  • Man redet Tacheles, wenn man Klartext spricht (Jiddisch: Tachles – zweckmäßiges Handeln)

Die alte Duisburger Synagoge

Die alte Synagoge – sie wurde 1875 eröffnet – befand sich in unmittelbarer Nähe des Standorts der heutigen Synagoge (nur 300 Meter Luftlinie entfernt). Sie wurde in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 von den Nationalsozialisten niedergebrannt und niedergerissen.

Der 9. November erscheint  im Übrigen ein Schicksalsdatum der Deutschen im 20. Jahr-hundert zu sein:

  • Am 9. November 1918 war der Tag der Novemberrevolution. Die erste Deutsche Republik wurde ausgerufen und führte das Deutsche Reich von einer konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarisch-demokratische Republik.
  • Am 9. November  1923 versuchte Adolf Hitler in München zum ersten Mal, politische Macht zu erlangen. Sein Putschversuch wurde blutig niedergeschlagen.
  • Am 9. November 1938 brannten jüdische Geschäfte und Synagogen. Das Pogrom stand für den Antisemitismus in Deutschland und für den Wandel hin zu einer Entwicklung, die in einer „Endlösung der Judenfrage“ im Sinne der Ermordung der europäischen Juden im damaligen deutschen Machtbereich mündete.
  • Am 9. November 1989 war der Tag, an dem die Berliner Mauer fiel. Ein Jahr später war Deutschland wiedervereinigt. Der Fall der Mauer markierte das Ende der kommunistischen Diktaturen in Deutschland und Europa.

Die neue Duisburger Synagoge

Die am Innenhafen Duisburg gelegene neue Synagoge – sie wurde nach mehr als zwei Jahren Bauzeit 1999 eingeweiht – wurde unumgänglich, weil durch Zuwanderung aus den osteuropäischen Staaten der Umzug aus dem kleinen behelfsmäßigen Mülheimer Gemein-dezentrum an der Kampstraße in Mülheim und der Neubau eines größeren Gemeinde-zentrums dringlich wurden. Finanziert wurde der Neubau zu je einem Drittel von der Jü-dischen Gemeinde, den drei Städten Duisburg, Mülheim und Oberhausen sowie dem Land NRW.

Der Baukörper besteht aus zwei Teilen, der eigentlichen Synagoge mit ihrer Stirnwand nach Osten und dem Veranstaltungssaal. Beide sind durch ein verglastes Atrium mitein-ander verbunden. Fünf unverputzte Strebepfeiler aus Beton, die an ein aufgefächertes Buch erinnern, ragen weit in die umliegende Grünfläche mit dem Garten der Erinnerung des israelischen Künstlers Dani Karajan hinein.

Die neue Synagoge hat die Form eines aufgefächerten Buches, wobei sie stilistisch die Form eines Davidsterns mit der Form einer Buchseite verbindet. Der Bau nimmt die For-men des umliegenden Parks in sich auf, denn wie ein Buch fächert sich das Gebäude in den Park hinein. Die fünf Stahlbetonbögen nehmen hierbei Bezug zur jüdischen Kultur und Geschichte beziehungsweise zur Tora,  dem ersten Teil  der hebräischen Bibel, die aus den fünf Büchern Moses besteht. Die fünf Stahlbetonbögen können aber auch  als die fünf Finger einer offenen Hand interpretiert werden, die die Offenheit des Judentums symbolisieren.

Im Synagogenbau gibt es, abgesehen von der eigentlichen, mit der Stirnwand nach Osten zeigenden Synagoge (das griechische Wort für Versammlung): einen  Gemeindesaal für etwa 200 Personen,  eine Bibliothek, Büros, Unterrichtsräume, drei Wohnungen und die Räume des Kinder- und Jugendzentrums. Leider haben wir nur die eigentliche Synagoge besichtigen dürfen.

 Die heutige  Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen

Zwar ist durch die Einwanderungswelle die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik in den letzten Jahren auf das Zweieinhalbfache gewachsen, aber in absoluten Zahlen sind es nach dem gegenwärtigen Stand nur etwa 200.000 Juden insgesamt, und das sind le-diglich  0,25 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Juden in Deutschland geben daher  weiterhin nur  eine ganz kleine Minderheit ab.

Foto privat: Ernst van Megern
Foto privat: Ernst van Megern

Die Einheitsgemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen setzt sich nach dem gegenwärtigen Stand  aus  rd. 2.800 Mit-gliedern  zusammen (das sind nur 0,32 Prozent der Einwoh-ner der drei Städte gesamt), von denen die aller-meisten aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion stammen. Die Ge-meinde wählte daher   einen komplett neuen Vorstand, der sich zur Zeit durchgängig aus zugewan-derten Mitgliedern aus Osteuropa zusammensetzt. Der Wechsel im Vorstand  entspricht damit der Struktur der Gemeinde.

Zahlreiche Angebote der Gemeinde werden inzwischen zweisprachig, in Deutsch und Russisch, angeboten, und eine engere Verbindung zwischen religiösem Leben, russischer Tradition, Kultur und Dienstleistungen ist entstanden. Dass die von ehemals überwiegend  konservativen Gemeindemitgliedern konsequent betriebene und absolute Gleichberech-tigung von Männern und Frauen vom neuen, eher orthodox eingestellten  Vorstand anders eingeschätzt wird (zum Beispiel in der Frage der Sitzordnung, die für die Geschlechter in der Synagoge getrennt sein soll),  liegt in der Natur der Sache.

Der nicht Russisch sprechende, eher konservativ-liberale Rabbiner, hat inzwischen Duisburg verlassen und kehrte  in die USA zurück; der vom Vorstand neu berufene Rabbiner, der seinen Wohnsitz in Antwerpen hat, ist eher  orthodox  eingestellt. Die vorherige Führungsriege um den Vorsitzenden Henry Hornstein und den Mülheimer Apotheker Patrick Marx, dessen Vater Jacques Marx 40 Jahre der Jüdischen Gemeinde vorstand,  hat sich aus der Gemeinde zurückgezogen.

Jüdische Gesetze und Riten 

In der Jüdischen Einheitsgemeinde werden traditionell nur erwachsene Männer, die den Schabbat halten und beachten, zur Beetgemeinde gezählt. Die Aufgabe als „Abgesandter“ kann hierbei jedes Mitglied einer Gemeinde übernehmen, wenn es über die benötigten Kenntnisse verfügt. Zu diesen Kenntnissen gehört auch das Beherrschen der hebräischen Sprache. Für gewisse Gebete beziehungsweise zur Abhaltung eines „Gottesdienstes“ ist jedoch die ganz bestimmte  Anzahl von zehn erwachsenen männlichen Personen unbedingt erforderlich.

Den  Mittelpunkt eines Gottesdienstes am Schabbat bildet die Thora-Lesung. Die Lesun-gen finden an einem Stehtisch statt. Der gesamte Text der Thora, die in einem Thora-schrein aufbewahrt wird,  ist  in Abschnitte aufgeteilt. An jedem Sabbat wird ein Abschnitt – das sind jeweils sieben Kapitel – von Gemeindemitgliedern vorgelesen.  Im Verlauf eines Kalenderjahres mit 52 Wochen wird so der gesamte Lesezyklus durchgenommen und abgeschlossen, bevor die Lesung wieder von Neuem beginnt. Ein Gottesdienst dauert üblicherweise zwei bis zweieinhalb Stunden. Der Tallit, ein Gebetsmantel oder auch Gebetsschal wird von den Männern  zu den Morgenandachten der Woche, sowie am Sabbat und an den Festtagen getragen.

Der Rabbiner ist der Lehrer der Gemeinde. Er  hat während der Gebete keine spezifische Aufgabe. Doch ist es üblich, dass er predigt, und zwar neuerdings in der Einheitsgemeinde grundsätzlich in russischer Sprache, was nicht allen jüdischen Gemeindemitgliedern entgegenkommt.

Ausgehend von der Tora werden die Jahre im Judentum basierend auf der Schöpfung der Welt gezählt. Der jüdische Kalender orientiert sich bei der Monatszählung hierbei am Mond (Mondkalender). Da zwölf Monde kürzer sind als ein Sonnenjahr, wird dieses durch zusätz-liche Schaltmonate ausgeglichen. Aus diesem Grund fallen die jüdischen Feiertage auch immer wieder auf andere Kalendertage als im weltlichen Kalender („….die Juden können zweimal Neujahr feiern.“)

Am aktiven Gemeindeleben nehmen derzeit etwa 10 Prozent aller Gemeindemitglieder  teil.

Die jüdische Religion basiert auf religiösen Überlieferungen. Diese Überlieferungen teilen sich auf in eine schriftliche (Tora) und die mündliche Lehre (Talmud). In der Tora sind zahl-reiche Gebote enthalten, die von jedem Juden zu jeder Zeit beachtet werden müssen. Im Talmud wird die Zahl der Gebote mit 613 genannt (die Zehn Gebote sind ein Teil davon), die sich auf 248 Gebote und 365 Verbote verteilen. Die  Gemeindemitglieder sind ange-halten, nach den 613 Gesetzen zu leben, was nicht einfach ist.

Zum Beispiel erfordern die Jüdischen Speisegesetze beziehungsweise die religionsge-setzlichen Vorschriften hierzu,  für den Kauf, für die Zubereitung und für den Genuss von Speisen und Getränken große Aufmerksamkeit. Nach diesen Vorschriften werden Lebens-mittel nämlich in solche eingeteilt, die für den Verzehr erlaubt sind (jiddisch: „koscher“) und Lebensmittel, die für den Verzehr nicht erlaubt (jiddisch: „nicht-koscher“ ) sind.

K o s c h e r  bedeutet zum Beispiel

  • Lebensmittel in „fleischige“, „milchige“ und „neutrale“ Lebensmittel aufteilen zu müssen,
  • kein Schweinefleisch essen zu dürfen,
  • unterschiedliche Pfannen und Töpfe für die Zubereitung von Fleisch und milchigen Produkten zu haben,
  • unterschiedliche Teller für fleischige  und milchige Lebensmittel zu verwenden,
  • das unterschiedliche Geschirr und die unterschiedlichen Bestecke nicht in derselben  Maschine zu spülen ( „…wenn schon Spülmaschine, dann zwei Spülmaschinen!“)

S a b b a t , auch S c h a b b a t  genannt, bedeutet

  • der siebte Wochentag, ist ein Ruhetag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll.
  • Seine Einhaltung ist eines der Zehn Gebote.
  • Er beginnt wie alle Tage im jüdischen Kalender am Abend und dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am folgenden Samstag.
  • Nicht arbeiten zu dürfen bedeutet im Einzelfall aber auch, sich jeweils fragen zu müssen:
    • Liegt Arbeit  vor, wenn ich dieses oder jenes tun möchte?
    • Arbeit liegt zum Beispiel dann schon vor, wenn man den Drehknopf am Elektrogerät  bedient, was die Hausfrau zwingt, sich der Schaltzeituhr zu bedienen, wenn sie  ihrer Familie auch am Schabbat ein warmes Mittagessen servieren will.

Die Vorschriften  einhalten zu wollen, ist schon  recht kompliziert.

Ernst van Megern, 15. März 2015

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar