Lokale Allianz für Menschen mit Demenz
Das Gruppenbild, Copyrights: Werbepost/Clemens
Die Bergheimer Allianz für Menschen mit Demenz startet durch: Beim ersten Treffen des Netzwerks nach der Gründung am 6. November 2014 schmiedeten die Partner zahlreiche Ideen zur Verbesserung der Situation von Erkrankten und ihren Angehörigen. Im Zentrum des vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Programms steht die Stadtbibliothek. Schon durch ihre zentrale Lage mitten im Herzen der Kreisstadt ist sie eine ideale Anlaufstelle für Informationen, Austausch, Veranstaltungen und niederschwellige Angebote.
„Wir wollen die Teilhabemöglichkeiten nachhaltig verbessern und das Tabu Demenz brechen“, erläutert Werner Wieczorek, Leiter der Stadtbibliothek. Schon jetzt bietet die Bibliothek Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, sozialen Schichten und Altersgruppen Orientierung inmitten einer wachsenden Informationsflut. Zielgruppengerechte Medienangebote wie Großdruckbuch, Hörbücher und E-books zur Ausleihe sind besonders auf die Bedürfnisse von Älteren zugeschnitten. Barrierefreiheit wird in allen Räumen groß geschrieben.
Ab sofort wartet auch ein umfangreicher Büchertisch zum Thema Demenz und Alzheimer auf die Besucher – mit Ratgebern, Kochbüchern, Romanen, Bilderbüchern und Filmen. Ausgeliehen werden können auch fünf eigens angeschaffte „Erinnerungskoffer“. Die Alltagsgegenstände aus der Kindheit und Jugendzeit von Senioren sind ein idealer Türöffner, regen zu Gesprächen an und eignen sich als Gedächtnistraining für Einzelne und in der Gruppe.
Wider das Vergessen
In Bergheim kümmern sich bereits jetzt zahlreiche Initiativen um Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen – von der Alzheimer-Gesellschaft über die Seniorenzentren und Gesundheitseinrichtungen bis hin zu Initiativen wie dem Besuch- und Begleitdienst oder den „4 Pfoten“. Ziel der „Lokalen Allianz“ in enger Kooperation mit der Stadtverwaltung und dem Rhein-Erft-Kreis ist es, durch den regelmäßigen Erfahrungsaustausch von Menschen aus der Betreuungspraxis und Betroffenen bestehende Angebote besser zu vernetzen und neue Projekte auf den Weg zu bringen. Das „Fachforum Seniorenarbeit“ der Stadt Bergheim dient dabei als Online-Plattform des Netzwerks und bündelt Informationen und Veranstaltungstipps für die breite Öffentlichkeit. In einem passwortgeschützten Raum können die Akteure direkt miteinander kommunizieren und haben Zugriff auf die umfassende Materialsammlung.
Der Umgang mit demenziell veränderten Menschen, ihren Einschränkungen, aber auch ihren besonderen Ressourcen erfordert besondere Kenntnisse und fachliche Begleitung. Das Bibliothekspersonal und die ehrenamtlichen Vorleser werden deshalb speziell geschult. Den Anfang gemacht als vom Rhein-Erft-Kreis ausgebildete Demenz-Begleiter haben Werner Wieczorek, Bibliotheksmitarbeiterin Karla Beutel und Heike Flamm vom Förderverein. „Hätte ich gewusst, was ich heute weiß, hätte ich mich meinem demenzkranken Vater gegenüber ganz anders verhalten“, sagt Wieczorek
Vorlesen im klassischen Sinne funktioniert beispielsweise nur unter bestimmten Voraussetzungen – die Konzentrationsspanne mancher Zuhörer ist kurz und viele können sich nichtmehr in der Handlung und Sprache orientieren. Kleine Geschichten, Gedichte, Lieder und Bilder mit „Wiedererkennungswert“ sind gefragt, alles was Erinnerungen weckt und biografische Bezüge ermöglicht. Praxisbücher und Beschäftigungsanregungen erlauben neben der verbalen Kommunikation auch die sinnliche Ansprache.
„Menschen mit Demenz haben der Gesellschaft viel zu geben“, wirbt auch Christa Wolf von der Stadt Bergheim für mehr Respekt und Akzeptanz. Barrieren, Unsicherheiten und Hindernisse sollen auf die Dauer einem selbstverständlichen Miteinander weichen.
Ausdrücklich angesprochen sind auch ältere Mitbürger mit Zuwanderungsgeschichte. Serpil Kilic vom Demenz-Service Migration in Gelsenkirchen kennt die Schwierigkeiten ganz genau: In der Türkei wird die Demenz nicht als Krankheit gesehen, Hilfsangebote oder Selbsthilfegruppen sind weitgehend unbekannt. Mittlerweile bietet das Servicezentrum Materialien auf Türkisch, Russisch ist in Vorbereitung. Gute Erfahrungen hat sie mit Sportkursen für ausländische Mitbürgerinnen gemacht. „Anfangs kamen die Damen auf Socken, Sportschuhe waren verpönt.“
Erinnerungen wachrufen
Neben dem Turnen fördert auch die Musik nachweislich die Integration und hilft gegen Vereinsamung. Deshalb ist neben dem Kreis-Sportbund auch die Musikschule La Musica an Bord. Angedacht wurden eine Konzertreihe oder spezielle Singkreise, die sich in der Lieder-Auswahl und Veranstaltungsdauer den Bedürfnissen Demenzkranker anpassen. „Da müssen die Musiker auch mal aushalten können, dass jemand aus dem Publikum plötzlich aufsteht oder zu erzählen anfängt“, gibt Renate Könen vom Rhein-Erft-Kreis zu bedenken. In Kooperation mit dem Besuchs- und Begleitdienst ist zur Entlastung von Angehörigen etwa eine Betreuung während der Marktzeiten geplant sowie ab Mai die Neuauflage von „Wir tanzen wieder“. „Sich wieder einmal schön für ein Fest zu machen und etwas zu erleben, ist eine großartige Erfahrung für die alten Leute“, weiß sie.
Am 24. März um 16 Uhr startet die Stadtbibliothek die Veranstaltungsreihe „Erzähl doch mal“ mit Literaturexpertin Claudia Bambach. Auch eine Ausstellung ist geplant. „Demenz darf kein Tabu sein“ ist das Motto der 3. Demenzwoche im Rhein-Erft-Kreis vom 15.-24. April 2016 mit weiteren Aktionen.
Dank auch an die Kölner Rundschau für diesen Artikel