Ein freundliches Lächeln, ein nettes Wort, ein schönes Naturerlebnis – das kann ausreichen, dass ich das Leben wie ein Licht, das strahlt und wärmt, empfinde.
Dann fühle ich mich verbunden mit anderen Menschen und allem, was ist.
Dann lebe ich gerne und bin dankbar, dass ich da sein darf.
Aber dann geschieht irgendetwas Bedrohliches, und das Licht gerät ins Flackern, droht zu erlöschen. Dann kann ich zaghaft werden und Sorgen machen sich breit.
Dann wieder empfinde ich das Leben wie ein Geheimnis, das einfach da ist, kraftvoll, nicht zu beschreiben mit seinem Reichtum und seiner verschwenderischen Fülle. War es die Hand, die sich auf meine Schulter legte? War es der Brief, der kam? War es die plötzliche Erkenntnis, wie wir Menschen uns ergänzen sollten? Doch dann höre ich die brutalen Nachrichten oder auch die tiefe Traurigkeit anderer. Ich erlebe Krankheit oder begegne Verzweiflung. Dann habe ich den Eindruck, als lebten wir hier auf Erden in einer Strafkolonie und eine Last legt sich auf mein Herz.
Oft empfinde ich das Leben wie eine Melodie, deren Rhythmus vorgegeben ist, deren Text aber erst entsteht im Lauf der Zeit. Es macht Spaß, sich in die Musik des Lebens hinein zu horchen und danach zu tanzen. Doch dann nehme ich die schrillen Töne wahr, die ich vielleicht selber verursache oder die andere mir zumuten. Und die Missklänge im großen Konzert der Welt verdrängen die eigene Melodie. ann gilt es in die Stille zu gehen um das eigene Herz wieder zu hören.
Und wieder anders empfinde ich das Leben wie ein großes Haus, in dem es sich zu leben lohnt, weil es Halt bietet und Gemeinschaft.
Doch drei Viertel der Menschheit wohnt im Kellergeschoss des Lebens… soll ich tun, als wüsste ich das nicht? Was kann ich tun?
Schließlich empfinde ich das Leben wie eine Aufenthaltserlaubnis auf Zeit. Dann freue ich mich ein Mensch zu sein, dem so viele Möglichkeiten offen stehen. Dann bin ich dankbar für dieses schöne Geschenk. Ich genieße das Leben mit allen Sinnen und schöpfe neuen Mut.
von Irene Wendel