Der große Philosoph und Psychologe Erich Fromm (1900-1980) hielt 1974 ein Seminar in der Schweiz, das nach seinem Tod als Buch mit dem Namen „Von der Kunst des Zuhörens“ erschien. Für ihn ist Zuhören eine Kunst wie das Verstehen von Lyrik, mit eignen Regeln und Normen.
Nach fünf Jahrzehnten als praktizierender Psychotherapeut empfiehlt er allen Menschen sechs Dinge zu üben, um diese Kunst zu meistern – die Kunst des selbstlosen Verstehens. Die Grundregel für diese Kunst ist die vollständige Konzentration des Zuhörers. Nichts Wichtiges sollte seinen Geist währenddessen beschäftigen, idealerweise ist er in diesem Moment frei von Angst und Gier. Er braucht eine große Vorstellungskraft und kann diese genau in Worten ausdrücken.
Er sollte Empathie für den anderen haben und stark genug sein, um die Erfahrung des anderen zu fühlen, als wäre es seine eigene.
Die Fähigkeit zu solcher Empathie ist ein wichtiger Teil der Fähigkeit zu lieben. Einen anderen zu verstehen heißt, ihn zu lieben – nicht in einem erotischen Sinn, sondern in jenem, ihm die Hand auszustrecken und die Angst zu überwinden, sich dabei selbst zu verlieren. Verstehen und Lieben sind untrennbar. Werden sie getrennt, bleibt das Tor geschlossen, um den anderen wirklich tief zu verstehen.