Ein Freund rief mich an und erzählte mir, er habe aus dem Nachlass eines Künstlers viele handschriftliche Aufzeichnungen, Briefe und Postkarten erworben, könne diese aber nicht lesen. Aufgeregt fragte er mich, ob er mit den Unterlagen vorbeikommen dürfe, damit ich mir diese einmal ansehe.
Kurze Zeit später stand er bereits vor meiner Tür und legte mir mit den Worten: „Die Schrift sieht ganz komisch aus.“ den Ordner mit den fraglichen Schriftstücken hin.
Neugierig schaute ich in den Ordner. „Da kann ich Dir helfen“, erklärte ich, „es handelt sich um Sütterlinschrift.“
Bei der Sütterlinschrift handelt es sich um eine Variante der deutschen Kurrentschrift. Sie wurde von dem Grafiker Ludwig Sütterlin im Auftrag des preußischen Kultusministeriums entwickelt. Unsere Großeltern haben diese Schrift noch fließend beherrscht. Sie war von 1924 bis 1941 die deutsche Standardschrift, die den Schulanfängern an deutschen Schulen beigebracht wurde.
Bei meiner Einschulung war die Sütterlinschrift eigentlich aus dem Lehrplan verschwunden. Ich besuchte bereits das sechste oder siebte Schuljahr, als unser Klassenlehrer, der kurz vor seiner Pensionierung stand, uns diese Schrift beibrachte. Anfangs war sie für mich recht ungewohnt, aber nach kurzer Zeit fand ich Gefallen daran und nutzte sie später gern für Notizen, die nicht unbedingt jeder lesen sollte.
Übrigens: Die Aufzeichnungen, die der Freund mir anvertraute, habe ich für ihn „übersetzt“. Es handelte sich um eine interessante Arbeit, da der Künstler viel gereist war und alle Erlebnisse handschriftlich festgehalten hat. Da ich dies im Bekanntenkreis einmal erwähnt habe, wurden mir in den letzten Jahren immer wieder alte Schriftstücke übergeben.
Darunter befanden sich beispielsweise ein Schifferpatent und zwei notarielle Urkunden aus den Jahren 1892 und 1896.
von Christa Commer
Und wer kann das lesen?