KNOLLY – BRANDY

Wovon wußten die vielen Menschen, die am Rande eines Ackers standen, daß heute aller wahrscheinlichkeit ein Feld zum sümmern frei gegeben wurde? „Sümmern.nannte man im Volksmund „das Einsammeln von den letzten, aber auch allerletzten Resten der hier gewachsenen Feldfrüchte.”
Hier handelte es sich um ein abgeerntetes Zuckerrübenfeld. Kleine, ja sogar kleinste Rübenstücke lagen – bereits rein gewaschen vom Regen – über den Acker verteilt, und die Menschen am Rande dieses Ackers warteten schon seit einiger Zeit darauf, diese Fragmente einsammeln zu dürfen. Denn daraus konnte man nach alten Rezepten Rübenkraut herstellen, einen wohlschmeckenden, süßen Brotaufstrich Die Leute kamen aus den umliegenden Städten und Dörfern, mit Fahrrädern, kleinen Karren, und sogar mit dem Zug. Und sie hatten alle Hunger. Denn nach Ende des zweiten Weltkrieges war die Lebensmittelversorgung noch sehr eingeschränkt.
Als der Bauer dann das Feld mit seinem letzten Pferdekarren voller Rüben verließ, gab er das ersehnte Zeichen der Freigabe, und alle herumstehenden Menschen stürzten sich auf die weiß glänzenden Rübenstücke. Wer Glück hatte, erwischte auch schon einmal eine ganze Rübe. Eine kurze Zeitlang sah man jetzt nur noch gekrümmte Rücken, doch dann verlor sich dieser und der, und der Acker lag verlassen da.
Aus Zuckerrüben konnte man allerdings nicht nur Rübenkraut kochen; man konnte daraus auch Schnaps machen, und den konnte man auf dem „Schwarzen Markt” verkaufen oder gegen etwas Anderes eintauschen; z. B. „Kaffee”.
Aber Schnaps brennen war nicht so einfach. Einmal: Es war ohne Lizenz verboten und zum, Anderen: Man benötigte dazu einen Destillierapparat. Nr. 1 „Verbot” konnte man umgehen, denn was ich nicht weiß macht mich nicht heiß. Aber der Destillierapparat war auch zu beschaffen. Im Nachkriegsdeutschland gab es soviel Material . Z. B. ausrangierte Regenrohre, dünne Kupferröhrchen usw. Und es gab vor allem Leute, die wussten, wie man so etwas baute, was dann auch funktionierte. Wir besaßen dann so ein Ding das funktionierte. Es bestand aus einem ausrangierten Wasserboiler einer alten Heizung, einem langen Regenrohr und einer Spirale aus diversen Kupferröhrchen.
Im Waschkessel wurden dann die sauberen Rübenstücke mit etwas Wasser so lange gekocht, bis sie weich waren. Dann wurde die „Maische” zur Gärung angesetzt und der Zucker wandelte sich in Alkohol um. Die Maische wurde durch ein Sieb gegossen und die Flüssigkeit auf dem Ofen erhitzt. Dabei verdampft zuerst der Alkohol, der jetzt durch Leitungswasser gekühlt wurde. Er hatte sehr hohe Prozente. Doch weil alle Messarmaturen fehlten, waren die Prozente nicht feststellbar. Doch es gab eine Lösung. Die heraus fließenden Tropfen wurden immer in Abständen in einem Löffel aufgefangen. Dann hielt man eine Streichholz daran und wenn sich jetzt eine bläuliche kleine Flamme zeigte, brannte der Alkohol. Eine etwas ungenauere Feststellung des Alkoholgehaltes gab es aber auch: Die tröpfelnde Flüssigkeit wurde probiert! Das Singen von Liedern wie:” Schnaps ist gut für Cholera, juppheidi und juppheida” war dann streng untersagt, denn die Nachbarschaft könnte aufmerksam werden und herüber kommen wollen, um zu helfen. Aber Schnaps brennen war auch nicht ungefährlich. Es waren meistens keine Thermometer, keine Manometer oder sonstige Messgeräte installiert. Und dann geschah es, dass die Temperaturen zu hoch stiegen. Der Kochkessel war nicht sehr Druckfest und er explodierte in Mutters schöner Küche. Das heiße Zeug flog dann herum, und es entstanden böse Brandwunden. Aber auch da fand man eine Ausrede: „ Das Badewasser war zu heiß gewesen. 
Die Währungsreform im Juni 1948 brachte die Inflation aber auch eine gewisse Normalität, und Schnaps brennen war vorbei. Aber wohin mit dem Kessel und den anderen Geräten? Die Erft war in der Nähe und in einer Nacht und Nebel- Aktion wurde dort alles still und heimlich versenkt. Viele Jahre vergingen und keiner hat mehr an die verborgenen Schätze im Fluss gedacht. Aber dann sollte die Eift einer Überholung unterzogen werden. Das Wasser wurde abgelassen, die Ufer begradigt und der Schlamm auf dem Grund entsorgt. Und da lagen sie, die einst so kostbaren Destillierapparate. Wir entdeckten unser Prachtexemplar in der Nähe einer Brücke in Gesellschaft von vielen anderen. Wem haben sie wohl vor Jahren gehört? Doch vorbei ist vorbei! Hoffentlich für immer! 

Gesendet von einer betagten Bergheimer Bürgerin

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