Zahnschmerzen …

Kennen Sie das auch? Vor einer Stunde ging es einem noch gut und – wie aus heiterem Himmel – schmerzt ein Zahn. Zunächst hofft man ja noch, dass die Schmerzen ebenso schnell wieder verschwinden wie sie aufgetreten sind. In der Regel ist dies jedoch nicht der Fall! Und was ist schlimmer als der Gedanke an den Gang zum Zahnarzt.

Meine Freundin, mit der ich abends noch fröhlich und ausgiebig am Telefon geplaudert hatte, rief mich einige Stunden später an und klagte über heftige Zahnschmerzen.
Zur Überbrückung empfahl ich ihr einige Hausmittel und riet ihr, am nächsten Morgen sofort zum Zahnarzt zu gehen.

Während unseres Telefonats fiel mir dann plötzlich ein zu dieser Gelegenheit passendes Gedicht von Wilhelm Busch ein. Da ich beim Zubettgehen noch in dem Gedichtband gelesen hatte, fand ich schnell die entsprechende Seite und las meiner Freundin vor:

Das Zahnweh, subjektiv genommen,

ist ohne Zweifel unwillkommen,

doch hat’s die gute Eigenschaft,

dass sich dabei die Lebenskraft,

die man nach außen oft verschwendet,

auf einen Punkt nach innen wendet

und hier energisch konzentriert.

Kaum wird der erste Stich verspürt,

kaum fühlt man das bekannte Bohren,

das Rucken, Zucken und Rumoren –

und aus ist’s mit der Weltgeschichte,

vergessen sind die Kursberichte,

die Steuern und das Einmaleins.

Kurz, jede Form gewohnten Seins,

die sonst real erscheint und wichtig,

wird plötzlich wesenlos und nichtig.

Ja, selbst die alte Liebe rostet,

man weiß nicht, was die Butter kostet,

denn einzig in der engen Höhle

des Backenzahnes weilt die Seele

und unter Toben und Gesaus

reift der Entschluss: Er muss heraus!

Trotz ihrer Schmerzen musste meine Freundin lachen. „Prima“, meinte sie, „das baut mich auf. Geht das Gedicht noch weiter?“ Ich fuhr also fort:

Noch eh‘ der neue Tag erschien,

war Bählamm auch soweit gediehn.

Er steht und läutet äußerst schnelle

an Doktor Schmurzel seiner Schelle.

Der Doktor wird von diesem Lärme

emporgeschreckt aus seiner Wärme.

Indessen kränkt ihn das nicht weiter;

ein Unglück stimmt ihn immer heiter.

Er ruft: „Seid mir gegrüßt, mein Lieber!

Lehnt Euch gefälligst hintenüber!

Gleich kennen wir den Fall genauer!“

(Der Finger schmeckt ein wenig sauer.)

Nun stützt das Haupt auf diese Lehne

und denkt derweil an alles Schöne.“

Holupp!!

Wie ist es? Habt Ihr nichts gespürt?“

Ich glaub, es hat sich was gerührt.“

Da dies der Fall, so gratulier ich:

Die Sache ist nicht weiter schwierig.

Hol—-upp!!!“

Vergebens ist die Kraftentfaltung,

der Zahn verharrt in seiner Haltung.

Hab’s mir gedacht!“ sprach Doktor Schmurzel,

Das Hindernis liegt in der Wurzel.

Ich bitte bloß um drei Mark zehn.

Recht gute Nacht! Auf Wiedersehn!“

Solchermaßen unterrichtet verabschiedete sich meine Freundin mit den Worten: „Gut, dass es heute ein wenig anders zugeht. Zwar waren seinerzeit anscheinend nächtliche Zahnarztbesuche möglich, aber dafür ging man offensichtlich unter Umständen auch unverrichteter Dinge wieder heim.“

Übrigens: Meine Freundin hat ihren Zahnarztbesuch gut überstanden.

von Christa Commer

 

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