Plötzlich Veganer
Neulich hatten wir Besuch von meinem Patenkind. Sie, süße 16, war noch nicht ganz im Flur, da teilte sie mir schon freudestrahlend und voller Stolz mit, dass sie jetzt Veganerin ist. Das ist die ganz harte Sorte – nicht nur kein Fleisch, sondern überhaupt keine tierischen Produkte, keine Eier, keine Milch. Ihre Mutter, selbst seit Jahren überzeugte Vegetarierin, blickte mich entschuldigend an und meinte nur, Schuld sei ein Kochbuch, das ihr Onkel Jochen zu Weihnachten geschenkt hat. Der kann das tun, denn der wohnt weit weg an der Ostsee und muss seine Nichte im Zweifelsfall recht selten bekochen. Sicher macht er sich auch keine Sorgen um das gesunde Wachstum eines Teenagers.
Aber im Zweifelsfall hätte ich doch sicher eine Banane oder sonstige Rohkost da. Ich überflog im Geiste mal schnell meine Vorräte und das, was ich schon vorbereitet hatte. Kuchen fällt schon mal aus, weil voller Eier und Milch. Die Salatsoße fällt auch weg, weil mit Honig angemacht. Auf dem Flammkuchen ist Lachs, geht gar nicht. Der mit Schafskäse fällt leider auch weg. Bleiben noch ein paar einsame Möhren zum Knabbern und ein Rest Paprika.
Zu Obst an sich habe ich eine reine Vernunftsbeziehung und bin in meiner Familie die einzige, die hin und wieder Lust auf etwas Gesundes verspürt. Ich bin auch nicht der Typ, der Herzen und Sterne in Apfelstücke schnitzt oder lustige Gesichter in Brotbelag. Frage ich, was ich kochen soll, bekomme ich meistens die Antwort: Was Leckeres, Hauptsache Nudeln und bloß kein Gemüse. Bei meinem fleischeslüsternen Mann muss man Essen natürlich grundsätzlich grillen können. Oder wenigstens braten.
Fragt man in die Gästerunde, wird mal glutenfrei gewünscht, mal ohne Laktose, bloß keine Nüsse und nach Sonnenuntergang bitte keine Kohlehydrate mehr. Ein Freund, zugegeben ziemlich schwierig zufriedenzustellen, hat in meinem Lieblingskochbuch die Gerichte markiert, die er gern mag. Da fällt mir ein, warum ich ihn auch schon lange nicht mehr zum Essen eingeladen habe.
Liebe Leute und Weltverbesserer: Gebt uns Normalsterblichen doch eine Chance! Ich möchte weder Eure vorwurfsvollen Blicke im Nacken, weil ich Eure Vorlieben nicht teile oder einfach schlecht vorbereitet war. Ich will auch nicht beim Einkaufen nur noch ängstlich die Liste mit Inhaltsstoffen oder Eure Allergiepässe studieren. Bringt Euch im Zweifelsfall selbst was mit. Ihr wisst ja, wo der Grill steht.
Von Andrea Floß