Von Margriet Dreyer
Meine erste Liebe war Ende August 1958. Ich weiß das noch so genau, weil an dem Wochenende bei uns immer Kirmes war. Ich war 14,5 Jahre und schon recht gut dabei. Es waren zu der Zeit gerade junge Italiener ins Dorf gekommen, die bei uns in den Kohlenminen arbeiten wollten. Die jungen Männer erregten bei uns Mädchen große Aufmerksamkeit, denn sie sangen auf der Straße zu der Gitarre, waren sehr direkt und charmant.
Die italienische Sprache klang wie Musik in meinen Ohren. Bald hatten einige ältere Mädchen ein Verhältnis mit den schönen jungen Männern. Doch es interessierte sich auch einer für mich. Er war klein, doch das passte gut zu mir, ich war ja selber noch nicht ausgewachsen. Nachdem wir zusammen so gut es eben ging geredet und gelacht hatten, nahm er mich beiseite und küsste mich auf den Mund. Ich war überrascht, erschrocken, aber fand es doch sehr spannend. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Oh, so ist also die Liebe“.
Eine wilde Küsserei
In der darauffolgenden Nacht konnte ich kaum schlafen vor Aufregung. Ich bin Mario noch öfters begegnet und jedes Mal war es eine wilde Küsserei, mehr aber nicht. Mario war sicher der Meinung, ich war noch ein Kind, denn immerhin war er ja schon 20. Nach einer Woche bekam ich zum ersten Mal die Periode. Ich war sehr erschrocken, weil ich das mit Mario in Verbindung brachte. Meine Freundin meinte, ich sei bestimmt schwanger. Wir waren schon etwas aufgeklärt, doch man kann ja nie wissen. Ich hatte große Panik. War doch im Dorf ein Mädchen, das mit 14 Jahren schon Mutter geworden war und die uns Mädchen als Abschreckung diente. Ich steckte alle mögliche Tücher, die ich finden konnte, in meine Hosen und ließ sie dann unter meinem Bett verschwinden, um meiner Mutter ja nicht über meine „Schwangerschaft“ erzählen zu müssen.
Ich stand am Fenster und hörte, wie meine Mutter die Zimmerböden im Nachbarzimmer wischte. Sie kam meinem Zimmer näher und ich wusste, sie wird gleich auch unter meinem Bett wischen. Aber ich konnte nicht mehr flüchten, ich saß in der Falle. Sie wird mich gleich sicher mit dem Mob erschlagen, dachte ich. Ich wagte kaum zu atmen. Da kam sie in meinem Zimmer und der Mob verschwand unter meinem Bett. Da hörte ich meine Mutter ganz ruhig hinter mir sagen: „Ach, hast Du die Schweinerei auch schon“.
Eine Zentnerschwere Last fiel mir von den Schultern, mindestens. Ich hatte schon vor, mit Mario darüber zu sprechen, der hätte sich sicher mit seinen Freunden über das Küken, das ich war, amüsiert. Wir sind noch einige Male ins Kino gegangen, da wurde man nicht so beobachtet wie auf der Straße. Tanzen durfte ich ja noch nicht. Es gab damals so viel Auswahl unter den jungen Männern, dass ich bald einen anderen hatte, die Beziehungen dauerten nicht sehr lange. Aber an Mario denke ich noch öfter zurück, er war ja meine erste Erfahrung mit der Liebe.
– Enstanden im Rahmen des „Herzgeschichten“-Workshops, einem interkulturellen Projekt des Integrationsbüros der Kreisstadt Bergheim und der Fachstelle Älterwerden. Unter der Leitung von Literatur-Expertin Claudia Bambach entwickelten die Autoren an fünf Donnerstagen im März und April 2018 ihre Geschichten und trafen sich am 5. Mai 2018 dann das erste Mal zum Austausch und Kennenlernen.
Auf Wunsch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gibt es eine Forsetzung: Zunächst einmal sollen die „Herzgeschichten“ gesammelt und gedruckt werden. Für die Veranstaltung „FuNTASTisch“ am 29. Juni 2018 im und um das Bürgerzentrum in Bergheim Süd-West werden die Autoren einen Geschichten-Wald organisieren und Texte der Öffentlichkeit vorstellen.
Mehr Info zum Schreib-Workshop: „Herzgeschichten“