Die Küche meiner Kindheit

Von Margriet Dreyer

“Herzgeschichten”: Margriet Dreyer (l.) mit Claudia Bambach und Iris Strohmeier beim Schreib-Workshop

Wenn ich an diese Küche denke, höre ich den Wasserkessel summen. Es war immer heißes Wasser vorrätig, zumindest im Winter. Wenn der große silberne Ofen brannte, stand immer etwas auf dem Herd. Manche Gerichte standen stundenlang und garten vor sich hin.

Der Sonntagsbraten, wenn es dann einen gab, wurde Samstag schon angebraten und kam dann in den kühlen Abstellraum. Wenn wir Jugendlichen dann Samstag vom Tanzen in der Nacht nach Hause kamen, war es sehr verlockend, von dem Braten ein Scheibchen abzuschneiden.

Aber wir mussten dann auch mit dem Zorn unserer Mutter rechnen. An dem großen Ofen waren Stangen an der Seite, da hingen dann die Handtücher und im Winter unsere nassen Kleider. In der Küche war immer was los, sie war Zentrum des Hauses. Da war immer die Mutter, und es gab dort meist was zu essen. Wir Kinder spielten im Winter jeden Abend an dem Küchentisch irgendwelche Spiele, ein Kinderzimmer hatten wir ja nicht. Fernsehen gab es noch nicht, aber ab und zu kam im Radio ein spannendes Hörspiel. Kartenspielen war immer beliebt.

Mit dem Ohr am Loch

Über dem Herd war ein Loch in der Decke von etwa 20 cm Durchmesser als Luftabzug.  Wenn wir Besuch bekamen und wir Kinder raus mussten, schlich ich mich auf dem Dachboden und legte mich mit dem Ohr über das Loch. So habe ich manches Geheimnis der Eltern erfahren. Am Samstag wurde der Waschzuber in die Küche geschleppt, der mit heißem Wasser gefüllt wurde. Wir sechs Kinder kamen da nacheinander rein. Meine Schwester und ich kamen als erste dran, weil wir nicht ganz so dreckig waren wie meine vier Brüder.

Sonntags war der Höhepunkt der Woche. Der Kirchgang war selbstverständlich. Fleisch gab es nicht allzu oft. An Feiertagen kam ein Huhn oder ein Kaninchen aus eigener Zucht auf dem Tisch. Beim Huhn gab es oft Streit, denn alle wollten eine Keule haben. Doch ein Huhn hat nun mal zwei Beine!  Meistens gab es Frikadellen. Mein Vater bekam immer die Größte, die etwas kleinere bekam mein ältester Bruder, der ja schon arbeitete. Wir Kinder bekamen die anderen.

In der Küche hing eine große alte Uhr, die hatte zwei schwere Gewichte. Ich sehe noch, wie meine Mutter sie hochzog. Wir Kinder durften diese Uhr nicht berühren. Hinter dem kleinen Türchen der Uhr hatte meine Mutter nämlich immer ein paar für sie wichtige Sachen abgelegt. Den Klang dieser Uhr höre ich noch. Dann hing an der Wand eine Kaffeemühle. Wir fühlten uns ziemlich fortschrittlich, dann vorher mussten wir die Mühle zwischen unseren Knien halten und die Bohnen mahlen. Hörte ich die Mühle rattern, wusste ich, jetzt wird es gemütlich. Es hatte so etwas Versöhnliches – Mutter macht Kaffee.

Ja, die Küche kann ich noch hören und riechen

Ich konnte schon früh die Reste vom Mittag aufwärmen, denn ich liebte abends etwas Warmes. Vor allem die kalten Kartoffeln waren sehr begehrt. Wegen des Dufts der Bratkartoffeln kamen auch die anderen und wollten etwas abhaben, doch das reichte nicht für alle. Also habe ich sie meistens heimlich gebraten. Beim Mittagessen stand meine Mutter meistens und aß mit dem Teller in der Hand. So sah sie,  ob jemand noch etwas haben wollte. Seltsam, dass man das als Kind  so akzeptiert hat. Außerdem aß meine Mutter alle Reste, die auf dem Teller liegenblieben, auf. Ich weiß nicht, ob das aus Not war oder aus Gewohnheit. Es wurde nichts weggeschmissen.

Ich der Küche war eine braune steinerne Anrichte. Außer Spülen und Waschen wurden wir Kinder da abends auch gewaschen, Seife und Zahnbürsten standen bereit. Das dauerte, bis wir alle fertig waren.

Auf dem Boden war PVC und darüber lagen Matten aus Kokosfasern. Samstag wurden diese aufgerollt und darunter gefegt und gewischt.  Die Matten kamen nach draußen auf die Teppichstange und wurden mit dem Mattenklopfer bearbeitet. In der Woche wurde nur so mal darüber gefegt. Im Winter war die Küche der einzige Raum, der geheizt wurde. Im Sommer war diese Küche kühl. Schade, dass so viele Gerichte nicht mehr so schmecken wie früher, das stundenlange Ziehen auf dem Herd wäre auch zu teuer. Ja, die Küche kann ich noch hören und riechen.

 

– Enstanden im Rahmen des “Herzgeschichten”-Workshops, einem interkulturellen Projekt des Integrationsbüros der Kreisstadt Bergheim und der Fachstelle Älterwerden. Unter der Leitung von Literatur-Expertin Claudia Bambach entwickelten die Autoren an fünf Donnerstagen im März und April 2018 ihre Geschichten und trafen sich am 5. Mai 2018 dann das erste Mal zum Austausch und Kennenlernen.

Auf Wunsch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gibt es eine Forsetzung:  Zunächst einmal sollen die „Herzgeschichten“ gesammelt und gedruckt werden. Für die Veranstaltung „FuNTASTisch“ am 29. Juni 2018 im und um das Bürgerzentrum in Bergheim Süd-West werden die Autoren einen Geschichten-Wald organisieren und Texte der Öffentlichkeit vorstellen.

Mehr Info zum Schreib-Workshop: “Herzgeschichten”

HTML Snippets Powered By : XYZScripts.com