“Die Reste frieren wir ein”
Renate Bergmann, 82, Berlinerin, Trümmerfrau, Reichsbahnerin, Haushaltsprofi und vierfach verwitwet ist die Online-Omi. Seit Anfang 2013 erobert sie Twitter mit ihren absolut treffsicheren An- und Einsichten – und mit ihren Büchern die analoge Welt. Sie ist ständig «onlein» und twittert sich auf ihrem neuen «Händi» die alten Finger wund. So ein modernes Wischgerät ohne Wählscheibe und Tasten, das ist eine feine Sache und gar nicht schwierig – mit “Fäßbock” drauf, dem Wetter, Angeboten von Rewe und dem Busfahrplan.
Nach ihren ersten beiden Weihnachtsbüchern „Über Topflappen freut sich ja jeder“ und „Ich seh den Baum noch fallen“ verspricht der Titel des Neuesten wieder eine Menge lustiger Geschichten frei nach dem Motto “Die Reste frieren wir ein”. Wenn man so viele Weihnachten auf dem Buckel hat, kommt so manches Fest zusammen. Der Erzählfluss wird natürlich immer wieder unterbrochen durch Umrühren, weil irgendwas auf dem Herd steht und vor sich hin köchelt – oder eine ganz andere Geschichte dazwischen funkt. “Kein Fest ist so gewesen, wie ich es mir vorher ausgemalt habe. Man kann sich noch so viel Mühe geben und einen Stundenplan machen, Weihnachten ist Leben, und das macht bekanntlich immer, was es will, und schreibt die schönsten Geschichten. Manchmal ein bisschen traurig, manchmal zum Schmunzeln, aber immer mit Herz.”
Adventszeit ist Dehnbundzeit
Weihnachten 1946 beispielsweise auf Gut Finkenhof im Märkischen, als der Turnlehrer den Stufenbarren verheizen musste, weil es kein Holz gab. Natürlich steckt in allem auch immer etwas Gutes, beispielsweise wenn man im Geräteturnen keine Leuchte ist. Der Krieg war gerade vorbei, aber die Zeit des Darbens und der Entbehrungen noch lange nicht – vor allem nicht beim härtesten Winter überhaupt. Zwischen Tauschhandel und großer Weihnachtswäsche in der Zinkwanne zaubert Oma Strelemann aus Gemüseresten und Knochen vom Huhn eine Suppe, in der so viel Liebe steckt, dass sie auch noch Jahre später das Weihnachts-Familienessen ist. Das “Weihnachten, als wir nichts anderes hatten als uns” bleibt jedenfalls das Schönste in der Erinnerung.
Und wehe, man lädt die Omi ein, und tischt dann nur Fertigzeugs auf. Margarine statt guter Butter geht gerade noch, schon wegen der Behälter, die zum Reste-Einfrieren übrig bleiben. Nicht jede Überraschung gelingt, aber dann macht man gute Miene zum nicht böse gemeinten Spiel und geht über zur nächsten Mahlzeit. Wie auch immer – Adventszeit ist Dehnbundzeit. “Heute Beerdigung, morgen Silvesterfest. Die Musik ist anders, aber der Kuchen ist vom gleichen Bäcker”.
Renate Bergmann: Die Reste frieren wir ein. Rowohlt, 176 Seiten, 12 Euro.