Ein Mädchen namens Linda!
Wenn ich so daran denke, dass meine beruflich aktive Zeit nun schon 12 Jahre zurückliegt, dann wird mir zweierlei bewusst: Einmal, das alte Lied der Pensionäre, wie schnell doch die Zeit vergeht. Sie rast nahezu dahin! Dann aber auch das eigenartige Gefühl, altersmäßig so weit gekommen zu sein. Das sehe ich nicht als persönliche Leistung, sondern eher als „Gnade“ des Schicksals.
Abgesehen von der abenteuerlichen und aufregenden Zeit als Transportflieger der Luftwaffe in jungen Jahren, habe ich den größten Teil meines Berufslebens in der medizinisch/pharmazeutischen Branche verbracht. In dieser Zeit spielte die Mikrobiologie im Reich der Bakterien und Viren eine besondere Rolle. Eine Miniatur-Welt, die mit bloßem Auge nicht zu sehen ist, hat mich über viele Jahre fasziniert.
Als vor einigen Wochen die ersten Meldungen über das rapide Ansteigen von Virus-Infektionen aus China kamen, war ich eher interessiert als beunruhigt. Es dauerte nicht lange, bis man hören konnte, es ist ein neues Virus aufgetaucht, da in China. Die infizierten Menschen wurden uns zunächst nur mit Zahlen benannt, genauso wie die Vielzahl der verstorbenen Opfer.
Dann sprachen die Politiker von einer Epidemie und die Medien berichteten darüber. Schon bald erkrankten Menschen auch in anderen Ländern, das Virus „sprang“ über!
Das Tempo der Ausbreitung und die Erinnerung an meine mehr Marketing bezogenen Kenntnisse über Infektionskrankheiten, ließ mich sehr früh an eine Pandemie denken,
Am ersten März nahm ich mir vor, mich so gut es geht zu schützen, um eine Infizierung zu vermeiden. Die Fachleute der Wissenschaft etwas früher, die Regierung doch erst später, betonten die Vermeidung von Sozialkontakten im eigenen Umfeld.
Da ich als Einzelperson allein in meinem Haus lebe, beschloss ich am 15. März in eine selbstgewählte Quarantäne zu gehen. Einen Impfstoff gibt es nicht oder noch nicht, und die einzige Möglichkeit, sich wirksam zu schützen, ist die Isolation. Mein sowieso vorhandener Bestand an haltbaren Lebensmitteln sollte, ein wenig aufgestockt, eine geraume Weile ausreichend sein.
Ich war neugierig und interessiert, was eine konsequente Isolation in mir verändern wird. Ein Haus in Ordnung zu halten, dabei alles selbst zu machen, sorgt schon dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Da ich auch künstlerisch aktiv bin und gerade mein achtes Buch schreibe, muss ich mir den Tag schon einteilen und Schwerpunkte setzen.
Neben dem Gedanken des Selbstschutzes ging mir die dramatische Entwicklung der weltweiten Tragödie nicht mehr aus dem Kopf. Die täglichen Veröffentlichungen, zum Beispiel die Bilder aus Italien oder Spanien, blieben nicht ohne Wirkung. Ich fühlte mich bestätigt, richtig zu handeln, zumal immer wieder zu lesen und zu hören war: „Das einzig halbwegs sichere Mittel gesund zu bleiben, ist die Isolation.“
Damit erreiche ich, dass ich wahrscheinlich kein Fall für die Intensivmedizin mit Beatmungstechnik und begrenzten Behandlungsmöglichkeiten werde. Ich wollte allerdings auch einen bescheidenen Beitrag leisten, die knappen Ressourcen im medizinischen Bereich zu schonen, um Schwerstkranken bei entsprechender Entwicklung der Fallzahlen überhaupt eine intensive Betreuung zu ermöglichen.
Nach einer Woche der freiwilligen Quarantäne kam ich mir schon ein wenig wie ein Gefangener vor. Was dann doch mehr und mehr fehlte, waren die frischen Lebensmittel, wie Obst, Gemüse und auch Fleisch oder Backwaren. Am Laptop sah ich mich im Internet nach einem Lieferservice um. In der Großstadt Köln sicher einfacher als in einer Kleinstadt wie zum Beispiel Bergheim. Ich stieß auf eine Notiz der „Einkaufshelden“ und eine Telefonnummer war auch angegeben. Kurz entschlossen rief ich dort an und ein junger Mann meldete sich. Jung wirkte seine Stimme auf mich und er erzählte mir, dass er als Mitglied der jungen Union sich den „Einkaufshelden“ angeschlossen hatte. Zunächst dachte ich, wie schnell die sich zu „Helden“ erklären. Nun – ich wollte zunächst nur wissen, wie eine Einkaufshilfe konkret ablaufen kann.
Mein Gesprächspartner eröffnete mir dann, dass er da nicht gut helfen könne, da er doch im Norden des Landes wohnen würde. Gleichzeitig bot er mir an, mich weiter zu reichen, schließlich gäbe es ja auch in meinem Wohnort in Bergheim, eine „Junge Union“ der CDU. Es würde sich jemand bei mir melden, sagte er zum Schluss unseres Telefonats.
Einige Stunden später klingelte mein Telefon. Eine ebenfalls junge Frauen- oder Mädchenstimme stellte sich als Linda vor. Noch Schülerin am Gutenberg-Gymnasium und freiwillige, ehrenamtliche Einkaufshelferin der „Jungen Union“. Ihre sehr einfühlsame, äußerst freundliche und hilfsbereite Art am Telefon berührte mich sehr. „Sagen Sie, was Sie brauchen, ich besorge das Ihnen. Sowohl die Lebensmittel als auch eventuell etwas aus der Apotheke. Sagen Sie mir nur Bescheid, ich mache das für Sie.“
Meine Frage nach den Kosten wies sie zurück, kein Thema. Wir einigten uns auf das Prozedere, ich schreibe einmal in der Woche eine Email mit meiner Lebensmittelliste, die ich Ihr zusende, und sie sagt dann, wann sie den Einkauf zu mir bringt. Wir vereinbarten weiterhin, dass der Einkauf an der Haustür in einen bereitgestellten Behälter umgepackt wird und ich das vorgestreckte Geld auf die äußere Fensterbank gleich rechts neben der Tür lege.
Ja, dann war es tatsächlich soweit. Das freundliche Wesen namens Linda kam zum vereinbarten Zeitpunkt mit dem ersten Einkauf auf das Haus zu. Ich sah sie nur durch die Glasscheibe der Haustür. Ich ging zum Fenster nebenan und wir wechselten einige Worte der Begrüßung mit entsprechendem Abstand. Ich legte das Geld auf die Fensterbank, bedankte mich sehr und schloss das Fenster wieder.
Als Linda schon einige Meter den Vorgarten durchschritten hatte, drehte sie sich noch einmal um und rief: „Ich komme zurück und lege etwas Geld wieder auf die Fensterbank, Sie haben mir zu viel gegeben.“
Ich öffnete das Fenster nur wenig und rief zurück: „Nicht nötig, das war Absicht, das stimmt so“.
Sie lachte und hatte mein erstes Buch, ein kleiner Lyrikband, mit dem Titel: „Liebe und Schmerz“ noch in der Hand. Das Buch lag auch auf der Fensterbank als Dankeschön für die liebenswürdige Hilfe.
Ich möchte nicht übertrieben wirken, aber es kam mir so vor, als wäre ein Engel da draußen. Es war so irreal, so ungewohnt und doch ein ansprechendes Bild. Und ich dachte in diesem Moment an den Titel meines Buches: „Liebe und Schmerz“. Diese Nächstenliebe, die ich durch Linda erleben konnte und den Schmerz, den ich verspürte, eingedenk der vielen tausend Opfer auf der ganzen Welt, die so plötzlich aus ihrem Leben heraus-gerissen wurden.
Ich, ein 77jähriger Mann, musste ein paar mal tief durchatmen und kräftig schlucken, um die Fassung zu bewahren.
Vielen, herzlichen Dank, Linda.
eingesendet von MMBohn
diese tolle Geschichte musste ich einfach veröffentlichen…
Dank an Linda, dank an Herrn Bohn