Mein Aufreger der Woche…


Im Rahmen meines ehrenamtlichen Engagements betreue ich seit geraumer Zeit eine junge irakische Flüchtlingsfamilie. Gestern rief mich der junge Mann an und erklärte mir aufgeregt, dass seine Frau einen großen, dicken Brief erhalten habe, mit dem er jedoch nichts anfangen könne. Ich bat ihn, mit diesem Brief zu mir zu kommen. Es handelte sich um ein Schreiben der Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW), die den Auftrag hat, eine amtliche Haushaltsbefragung über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt (sog. Mikrozensus) durchzuführen. In dem Anschreiben heißt es unter anderem: 
„Zur Durchführung des Mikrozensus werden in der Regel Interviewer/innen eingesetzt. Leider stehen mir momentan für Befragungen in Ihrem Haushalt keine Erhebungsbeauftragten zur Verfügung. Ich bitte Sie deshalb, den als Anlage beigefügten Erhebungsvordruck auszufüllen und innerhalb von 10 Werktagen zurückzusenden.“

Ich sah mir den Erhebungsvordruck näher an und stellte fest, dass dieser 60 Seiten stark ist und insgesamt 183 (!) Fragen beinhaltet. Innerhalb der einzelnen Fragen gibt es immer wieder Querverweise, so dass eine zügige Bearbeitung schlecht möglich ist. Ein kleines Beispiel: Je nach Beantwortung z. B. der Frage 28 auf Seite 9 sind Hinweise auf Frage 90 oder Frage 93, die sich dann auf den Seiten 29 bzw. 30 befinden.

Unverzüglich rief ich bei der IT.NRW an und erklärte zunächst kurz, dass es sich bei der angeschriebenen Familie um Flüchtlinge aus dem Irak handelt, die von mir ehrenamtlich betreut wird. Zudem wies ich darauf hin, dass die Familie ohne entsprechende Hilfestellung kaum in der Lage ist, diesen umfangreichen Fragenkatalog ordnungsgemäß auszufüllen.

„Das können Sie ja dann erledigen“, lautete daraufhin die prompte Antwort meines Gesprächspartners, „es stehen uns derzeit keine Erhebungsbeauftragten mehr zur Verfügung.“

„Gut“, erwiderte ich daraufhin prompt, „ das kann ich gerne machen. Was zahlen Sie denn?“

„Unsere Interviewer/innen arbeiten ebenfalls ehrenamtlich und erhalten daher lediglich eine kleine Aufwandsentschädigung“, lautete die Antwort. „Damit wäre ich einverstanden“, erklärte ich freundlich.

„Leider können wir Ihnen diese Entschädigung aber nicht zukommen lassen“, wurde ich daraufhin belehrt.

Jetzt wurde es spannend! „Und warum nicht? Wenn ich für diese Familie den Fragebogen ausfülle, arbeite ich doch für Sie – oder etwa nicht?“

Ich wurde sofort eines Besseren belehrt. „Nein, das sehen Sie falsch. Sie müssen den Vordruck ja nicht ausfüllen. Dann muss der Haushaltsvorstand eben zum Amt gehen und dort um Hilfe beim Ausfüllen bitten.“

Jetzt kam ich in Fahrt! „Einen Erhebungskatalog von 60 Seiten kann man erfahrungsgemäß nicht in zehn Minuten ausfüllen. Vor allem dann nicht, wenn es Verständigungsprobleme gibt. Und da glauben Sie allen Ernstes, dass ein Mitarbeiter der Verwaltungsbehörde sofort Zeit hat, sich mit dem Hilfesuchenden über einen längeren Zeitraum hinzusetzen und umgehend den Vordruck auszufüllen, damit die angegebene Frist von zehn Werktagen eingehalten werden kann?“

Nach kurzem Zögern erklärte mir mein Gesprächspartner daraufhin: „Sie können den Bogen ja ausfüllen. Eine Aufwandsentschädigung steht Ihnen aber nicht zu. Außerdem ist es doch so: Wenn man sich für ein ehrenamtliches Engagement entscheidet, weiß man doch, worauf man sich einlässt. Und wenn Ihnen das zuviel wird, lassen Sie es doch einfach bleiben.“ Diese Bemerkung zeigte mir wieder einmal, in welchem Licht man ehrenamtlich engagierte Mitbürger sieht. Im Vertrauen: Mir geht es nicht um das Geld, es geht mir um’s Prinzip! Wäre mir wider Erwarten eine kleine Aufwandsentschädigung zugesprochen worden, so hätte ich diese sicherlich nicht behalten, sondern der Familie zukommen lassen. Immerhin habe ich mit meinem Anruf erreicht, dass die Rücksendefrist um einen Monat verlängert wurde.

von Christa Commer

HTML Snippets Powered By : XYZScripts.com