Lebensqualität trotz Demenz

Interview mit Anni Wilbertz von der Alzheimer Gesellschaft Bergheim

Anni Wilbertz (l.) und Hannelore Satzky von der Alzheimer-Gesellschaft Bergheim

Am Samstag beginnt die 4. Demenz-Woche im Rhein-Erft-Kreis. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung haben sich ehrenamtlich Engagierte im Bergheimer Besuchs- und Begleitdienst dazu entschlossen, sich für Menschen mit Demenz einzusetzen und gründeten am 26. August 2014 die Alzheimer Gesellschaft Bergheim. In einem Interview mit Andrea Floß vom Seniorenportal spricht die Vorsitzende Anni Wilbertz über sinnvolle Hilfen und gute Angebote für Angehörige und Betroffene. „Lebensqualität trotz Demenz“ ist das Ziel.

Wie kann ich erkennen, ob mein Angehöriger nur ein bisschen schusselig oder schon dement ist?

Wenn der Angehörige manchmal Dinge vergisst, sich später aber wieder daran erinnern kann, ist er vielleicht nur etwas zerstreut. Vergisst er aber wiederholt wichtige Dinge oder Ereignisse, fragt immer wieder nach denselben Dingen, verlegt häufig Gegenstände an ungewöhnliche Orte, sucht während des Sprechens häufig nach Wörtern oder verwendet falsche Begriffe, sollte man beim Hausarzt die Ursache abklären lassen.

“Es muss nicht immer gleich Demenz sein”

Es muss nicht immer gleich Demenz sein, sondern kann auch durch Medikamente oder eine andere Krankheit ausgelöst werden. Zur Diagnose eignet sich gut der “Uhrentest”: Dabei müssen in einen Kreis die Zahlen 1 bis 12 eingetragen und eine bestimmte Uhrzeit angezeigt werden. Daran ist gut zu sehen, ob die Testperson noch in der Lage ist, eine vorgegebene Aufgabe zu erfassen und aus dem Gedächtnis umzusetzen.

 

Wo finde ich Hilfe und Unterstützung?

Bei den Pflegeberatern der Krankenkassen und Kommunen, karitativen Organisationen und natürlich bei der Alzheimer Gesellschaft. Wir informieren und beraten, helfen bei Anträgen zur Pflegeversicherung, begleiten zu Behörden, Pflegekassen und Ärzten und bieten Einzelbetreuung im häuslichen Umfeld, während des Urlaubs oder auch Tagespflege.

“Einfach mal Dampf ablassen”

Angehörige von Demenzerkrankten sind mit dem Fortschreiten der Krankheit oft rund um die Uhr gefordert. Zeit, eigenen Interessen nachzugehen oder Freundschaften zu pflegen, bleibt kaum noch. Im Rahmen unseres monatlichen Gesprächskreises im Brauhaus „Zur Krone“ kann man sich mit anderen austauschen, sich informieren oder einmal mal “Dampf” ablassen. Außerdem gibt es die Herzenssprechstunde in der Stadtbibliothek oder Demenz-Cafés im AWO-Seniorenzentrum in Quadrath-Ichendorf oder am Vogelwäldchen in Kenten.

Bei Ihnen engagieren sich hauptsächlich Ehrenamtliche – sind diese speziell geschult?

Die fachliche Qualifizierung unserer ehrenamtlichen Helfer/innen erfolgt durch eine anerkannte Fortbildung für die Arbeit mit Demenzerkranken. Teilweise verfügen sie zusätzlich durch eine Berufsausbildung über fundierte Kenntnisse und nehmen regelmäßig an Fortbildungen teil.

Demenz ist immer noch ein Tabu – man spricht nicht gern darüber. Wie kann man das Schweigen brechen?

Indem man den Betroffenen und Angehörigen die Möglichkeit bietet, sich an einem neutralen Ort einmal alles von der Seele zu reden und gemeinsam mit geschulten Ansprechpartnern nach Lösungen sucht.

“Offen über die Erkrankung zu sprechen hilft”

Die Frage „Ich / bzw. mein Partner ist ein bisschen vergesslich – ist das Demenz?“ wird uns in der Herzenssprechstunde sehr oft gestellt. Wir versuchen dann die Ängste zu nehmen und darauf hinzuwirken, sich nicht aus dem sozialen Umfeld zurückzuziehen. Offen über die Erkrankung zu sprechen hilft.

Das Beratungsfahrzeug des Rhein-Erft-Kreises bietet mittlerweile in fast allen Städten des Rhein-Erft-Kreises Beratungstermine an.

Viele Angehörige überfordern sich und verlieren ihre eigenen Bedürfnisse aus den Augen. Was raten Sie denen?

Die eigenen Bedürfnisse nicht hintenanzustellen, sondern sich unbedingt ihre Auszeiten zu nehmen. Sei es ein Kinobesuch, Shoppen mit der Freundin, oder einfach mal für einen Tag wegzufahren.

“Unbedingt Auszeiten nehmen”

Unterstützungsangebote wie die Tagespflege, die Demenz-Cafés oder die häusliche Betreuung bieten Entlastung.  

Was für Tipps für einen besseren Umgang können Sie geben?

Immer auf Augenhöhe mit dem Betroffenen zu kommunizieren und die sogenannten „Was, Wie, Warum, Wieso, Wo“-Fragen nicht zu stellen, da der Erkrankte darauf oft nicht mehr antworten kann. Ihm werden dadurch seine Defizite vor Augen geführt. Die Folge ist, dass er sich immer mehr zurückzieht oder wütend wird. Ändern kann man nichts mehr – als Angehöriger muss man sich auf die Erkrankung einstellen und lernen, damit umzugehen.

“Lernen mit der Krankheit umzugehen”

Beim Singen in unserem Café haben wir eine Teilnehmerin, die ihre Mundharmonika mitbringt und Lieder anstimmt, die alle mitsingen können. Auch wenn schon mal die Töne nicht so stimmen, alle finden das toll, und die Musikerin freut sich über das Lob und dass sie noch “zu etwas Nütze” ist. Eine andere Teilnehmerin hat zu Hause nicht mehr gesprochen, bei uns im Café nur ein „ja“ oder „nein“. Als ich unsere Max und Moritzpuppe vor sie auf den Tisch gesetzt habe, nahm sie diese in den Arm und fing an Kinderlieder zu singen. Ihr Ehemann war sprachlos. Er hat auch so eine Puppe gekauft und seine Frau singt jetzt auch wieder zu Hause. 

Ist Bergheim durch die Aktivitäten der Lokalen Allianz inzwischen eine demenzfreundliche Stadt?

Durch die unterschiedlichen Aktionen wird das Thema Demenz in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen. Zu einer demenzfreundlichen Stadt gehört jedoch mehr. Es gibt noch zu viele Barrieren im Nahverkehr und im öffentlichen Raum. Hier müsste mehr auf die Bedürfnisse von Demenzerkrankten eingegangen werden.

Was muss sich noch ändern? Was wünschen Sie sich für Bergheim?

Dass in den Köpfen Demenz nicht als Horrorkrankheit gesehen wird, sondern wie jede andere ernste Erkrankung auch. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter im öffentlichen Nahverkehr, in Geschäften, Banken, Polizei, Behörden und anderen Einrichtungen geschult werden. Demenz-Kranke sind Teil unserer Gesellschaft und dürfen nicht ausgegrenzt werden.

“Demenzkranke dürfen nicht ausgegrenzt werden”

In den letzten Jahren erkranken immer öfter auch jüngere Menschen an Demenz. Die meisten trauen sich nicht, ihre Krankheit publik zu machen. Darunter leidet die ganze Familie. Der Verlust des Jobs, der Rollenwandel in der Familie und die eigene Erwartungshaltung verändern sich. Hiermit umzugehen ist für alle Beteiligten schwer. Leider gibt es kaum Angebote für diesen Personenkreis im Umkreis. Die Alzheimer Gesellschaft Bergheim wird deshalb in diesem Jahr eine Informationsveranstaltung anbieten und plant neue Angebote für jüngere Betroffenen.

Warum engagieren Sie persönlich sich für das Thema?

Durch die Erkrankung meines Vaters vor vielen Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, wie hilflos und alleingelassen man sich als Angehörige fühlt. Ich möchte dazu beitragen, dass sich dies ändert und Angehörigen Mut machen sich nicht zu verstecken.

Wie kann man sich engagieren?

Unterstützung können wir immer gebrauchen, beispielsweise Betreuer/innen für die Demenz-Cafés, als Berater oder Entlastung für pflegende Angehörige. Hierfür ist eine anerkannte Fortbildung zum ehrenamtlichen Begleiter von Demenzerkrankten erforderlich.

“Vorhandene Fähigkeiten fördern”

Mit Erkrankten kann man viele schöne Dinge erleben, wenn man ihre noch vorhandenen Fähigkeiten fördert. Wenn wir unsere Ausflüge zum Drachenfels, an den Rur-See oder andere Orte machen, fühlen sich alle wohl. Wir lachen viel und haben Spaß zusammen. Während des Gedächtnistrainings stelle ich oft Scherzfragen. Eine Teilnehmerin hat sich zu Hause auch etwas überlegt und stellt mich auf die Probe. Wenn ich die Antwort nicht weiß, werde ich von der versammelten Runde ausgelacht.

 

 

 

 

 

 

 

 

HTML Snippets Powered By : XYZScripts.com