Im Jahr 2015 kam eine 65jährige Dame in meine Praxis und berichtete von nächtlichen Anfällen von Angina Pectoris, die in unregelmäßigen Abständen auftraten. Dieses Symptom wird hervorgerufen durch eine akute Unterversorgung des Herzens und verursacht quälende Schmerzen im Brustbereich und erzeugt nicht selten ein Panikgefühl. Als ich sie nach ihren Lebensumständen fragte, erzählte mir die Dame, dass ihre Ehe erkaltet sei und sie sich mit ihrem Mann arrangiert habe. Sie berichtete, dass ihr Mann zu Beginn ihrer Krankheit sich noch ernste Sorgen gemacht habe, Medikamente besorgt und sich um sie gekümmert habe, so gut er konnte. Als die Anfälle aber immer häufiger kamen, wurde ihr Mann immer hilfloser und ging schließlich dazu über, jedes Mal den Notarzt zu rufen und die Frau ins Krankenhaus abtransportieren zu lassen. Von da an schlich sie sich nachts bei einem Anfall heimlich in die Küche und ließ weinend und zitternd den Anfall über sich ergehen.
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Für mich war völlig klar, dass diese Frau ihrem Mann zeigen wollte, dass ihr Herz
“unterversorgt” war. Sie hoffte darauf, dass ihr Partner sie liebevoll in den Arm nahm, sich für ihre Gefühle interessierte und sie verstand. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als seine Liebe. Er jedoch kam gar nicht auf die Idee, das Symptom zu interpretieren. In seiner männlichen Art versuchte er sie zu versorgen, brachte das Geld nach Hause, baute ihr ein Haus… während sie sich die ganze Zeit fragte, wo eigentlich der Mann, den sie einst geheiratet hatte, wohl geblieben war. Den beiden fehlte ganz offensichtlich eine gemeinsame Sprache. Ein lebenslanges Missverständnis brachte sie auseinander und hätte die Frau beinahe getötet. Dabei hätte sie lediglich die Worte finden müssen, um ihrem Mann klarzumachen, dass sie nicht Wohlstand und Luxus brauchte, sondern eine erfüllte Partnerschaft.
Er hätte nur erkennen müssen, dass nicht Haus und Schmuck der von ihr gewünschte Liebesbeweis waren, sondern Nähe, gemeinsame Zeit und Verständnis. Mit Sicherheit hätte es bei einem Anfall mehr gebracht, sie in den Arm zu nehmen, ihr Haar zu streicheln und mit ihr fantasievoll zu träumen.
Er hätte nur erkennen müssen, dass nicht Haus und Schmuck der von ihr gewünschte Liebesbeweis waren, sondern Nähe, gemeinsame Zeit und Verständnis. Mit Sicherheit hätte es bei einem Anfall mehr gebracht, sie in den Arm zu nehmen, ihr Haar zu streicheln und mit ihr fantasievoll zu träumen.
Und bevor Sie jetzt denken, “So ein Quatsch! Bei einem Angina-Pectoris-Anfall romantisch quasseln, ist unterlassene Hilfeleistung “, sage ich Ihnen, die Dame kämpfte mit den Tränen und gab mir recht. Sie fühlte sich zum ersten Mal wirklich verstanden.
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Ich zeigte ihr dann noch auf, wie sie sich in die Lage des Mannes versetzen sollte und ließ sie einige Minuten nachempfinden, mit welchen Absichten er sie in die Klinik hatte einweisen lassen. Seine Besorgtheit und seine Hilflosigkeit spüren, so dass sie darin einen Liebesbeweis sehen konnte.
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Nach einigen Wochen bekam ich eine Rückmeldung von ihr: Sie war mit ihrem Mann in Urlaub gewesen, 2 Wochen in einem Wohnmobil… und sie sagte, es war die schönste Zeit ihres Lebens. Sie hätten sehr viel miteinander gesprochen und natürlich hatte sie keinen einzigen Anfall mehr!
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von Gertrud Breuer