Christa Commer – SeniorTrainerin

Mein Herzenssinn – vom Suchen und Finden

 

Senior-Trainerin

Christa Commer

Was mache ich, wenn ich in Rente bin? Diese Frage ging mir, 61 Jahre alt, geschieden, kinderlos, zum ersten Mal durch den Kopf, als ich erfuhr, dass mein Vater sterbenskrank war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir über mein nachberufliches Leben noch keine großen Gedanken gemacht. Ich schob diese Frage lange beiseite. Sie würde sich ja erst in einigen Jahren stellen. Dachte ich.

Wenige Monate später wurde ich selbst krankheitsbedingt jäh aus dem Berufsleben gerissen. Das hat mich sehr aus der Bahn geworfen. Ich hatte meine Arbeit als Assistentin eines Abteilungsleiters in einer großen Anwaltssozietät immer mit viel Freude und großem Engagement verrichtet. Nun wurde mir bewusst, dass im Laufe der Jahre aufgrund meiner meist außergewöhnlichen Arbeitszeiten auch an Wochenenden und Feiertagen meine sozialen Kontakte zum größten Teil weggebrochen waren.

Mein Vater verstarb noch im gleichen Jahr kurz vor Weihnachten. Wir hatten so viele Pläne gemacht, wollten gemeinsam reisen. Jetzt war ich allein und musste meine weitere Lebensplanung intensiv angehen.

Engagiert als Wunschoma

Ich machte mir Gedanken, wie ich neue Bekanntschaften schließen könnte. Mir fielen auf Anhieb nur zwei Möglichkeiten ein: Entweder der Besuch von Kursen oder aber, mich ehrenamtlich zu engagieren. Ich entschied mich für das Ehrenamt.

Mein Leben lang habe ich Kinder ganz besonders geliebt. Daher reifte die Idee heran, für ein Kind, das keine Großeltern mehr hat, eine „Wunschoma“ zu werden. Ich war ja gewissermaßen schon lange in Übung. Das Kind einer Nachbarin hatte sich, ungeachtet der Tatsache, dass sowohl die Oma mütterlicher- als auch die Oma väterlicherseits noch ganz in der Nähe lebten, eines Tages entschlossen, mich als Oma zu „adoptieren“. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, haben in nunmehr 14 Jahren gekocht, gebacken, gebastelt und vieles mehr. Ich fühlte mich also für ein weiteres Enkelkind bestens gewappnet.

Durch Zufall erfuhr ich von einem Ehrenamt-Informationstag der Stadt Bergheim mit unterschiedlichen Workshops. Das war sehr interessant. Kurze Zeit später bot die Stadt mir an, an einem seniorTrainer-Lehrgang teilzunehmen. Das EFI-Programm vermittelt „Erfahrungswissen für Initiativen“ und bietet engagierten älteren Menschen die Chance, neue Verantwortungsrollen auszuprobieren, sich weiter zu qualifizieren und ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen.

Ich kam mit der „Wunschoma“ im Kopf und dem fertigen Konzept in der Tasche. Angesichts der vielen tollen Projektideen beschlich mich allerdings bald das Gefühl, dass es mich im Grunde genommen doch in eine ganz andere Richtung treibt. Meine großen Stärken waren stets das Schreiben und Organisieren. Ich fragte mich, ob mich nicht doch eher eine Aufgabe in dieser Richtung ausfüllen würde.

Voll im Element

Mit knapp 63 Jahren ging ich in Rente und hatte mich noch immer nicht auf ein Projekt festgelegt. Damals war bei uns in Quadrath-Ichendorf gerade der StadtteilLaden im Aufbau. Ich nahm an den verschiedensten Treffen in der neuen Begegnungsstätte teil. Hier können sich Bürgerinnen und Bürger informieren, austauschen und neue Kontakte knüpfen. Akteure von Vereinen und anderen Einrichtungen vor Ort nutzen die Räumlichkeiten, um über ihre Arbeit zu informieren und sich zu vernetzen. Beim Organisieren der Einweihungsfeier am 11. Oktober 2011 war ich wieder voll in meinem Element. Auch als Mitglied des Budgetbeirats kommen mir meine beruflichen Kenntnisse sehr zugute.

Inzwischen habe ich gelernt, dass nicht ich ein Projekt, sondern ein Projekt mich finden muss. Immer, wenn ich meine ursprüngliche Wunschoma-Idee realisieren wollte, kam mir etwas Anderes, Neues und Unerwartetes dazwischen.

So sollte ich für einen gewissen Zeitraum die häusliche Betreuung von Kindern übernehmen. Seit mehr als zwei Jahren helfe ich Mitbürgern bei der Korrespondenz mit Behörden. Außerdem erledige ich seit Jahren für eine alte Dame die Abrechnung mit ihrer Krankenkasse. Erst kürzlich kam die Anfrage, ob ich als Lektorin bei der Erstellung einer Jubiläums-Festschrift mitwirken möchte.

Nichts davon habe ich abgelehnt und alles mit großer Freude und einer inneren Zufriedenheit ausgeführt. Bereits während des seniorTrainer-Lehrgangs war ich sehr erstaunt darüber, wie äußerst spannend sich mein nachberufliches Leben doch entwickelt hat. Das entsprach absolut nicht meinen Erwartungen.

Ich hoffe sehr, dass ich bei guter Gesundheit diesen Weg noch viele Jahre weitergehen kann und bin fest davon überzeugt, dass noch einige Überraschungen und gute Begegnungen auf mich warten.

Michaela Schüßler – Schulbusbegleitung

Streitschlichterin und Kummerkasten

Michaela Schüßler

Michaela Schüssler - Schulbusbegleiterin

Michaela Schüssler – Schulbusbegleiterin

Mein Name ist Michaela Schüßler, ich bin fast 48 Jahre alt, verheiratet und habe zwei Kinder im Alter von 15 und 17 Jahren. Nach dem Abitur habe ich als Bürokauffrau in einem großen Einzelhandelsunternehmen gearbeitet. Als die Kinder dann auf der Welt waren, bin ich zu Hause geblieben, um mich um sie zu kümmern. Mittlerweile gehören noch zwei Hunde und zwei Pferde zu unserem Familienunternehmen. Seit viereinhalb Jahren arbeite ich im katholischen Kindergarten in Büsdorf in der Mittagsbetreuung.

Als meine Tochter 2004 in die Grundschule kam, fragte mich eine der aktiven Schulbusbegleiterinnen, ob ich mir auch vorstellen könnte, ehrenamtlich tätig zu werden und morgens eine Tour mitzufahren. Da mir das Wohl der Kinder am Herzen liegt, habe ich ohne großes Zögern zugestimmt. Wir Neulinge wurden erst einmal durch das Kriminalkommissariat Vorbeugung geschult. Hier lag der Schwerpunkt auf der Deeskalation – das heißt in schwierigen Situationen den Dampf aus dem Kessel nehmen. In Rollenspielen haben wir gelernt, uns selbst und andere im Notfall zu verteidigen und die Ruhe zu bewahren.

Morgens schon Stress

Für viele Kinder ist es schon Stress, morgens mit dem Bus zu fahren. Oftmals führen Aggressionen, volle Busse und Zoff unter den Kindern zu Situationen, in die der Busfahrer nicht eingreifen kann. Er muss ja Bus fahren. Hier kommen wir dann beispielsweise als Streitschlichter zum Zuge.

Eigentlich besteht unsere Aufgabe nur darin, in den Schulbussen mitzufahren. Eingreifen sollen wir nur bei extremen Situationen. Auch das Kontrollieren von Fahrkarten gehört nicht zu unseren Aufgaben. Wir helfen den Kleinsten und achten auf die Einhaltung von Regeln. Oftmals sprechen die Kinder aber auch private oder schulische Probleme an, so dass schnell eine „Vertrauenssituation“ entsteht. Die Kinder erzählen, ob eine Arbeit ansteht, sie gelernt haben oder auch nicht und wie später die Note ausgefallen ist.

Meine schönste Bestätigung habe ich erfahren, wenn die Lehrer morgens an der Bushaltestelle vor der Schule sagten: „Ach, Sie sind im Bus. Dann wird der Vormittag wieder ruhiger“. Somit wurde mir klar, dass allein durch meine Anwesenheit die Kinder insgesamt schon entspannter in der Schule ankamen. Auch der Unterricht verlief dann insgesamt geregelter und störungsfreier.

Motiviert und angesprochen fühlte ich mich auch durch die Aussage der Kinder „Wenn Sie dabei sind, fährt der Busfahrer viel ruhiger und vernünftiger.“ Also fuhr ich häufiger diese Route.

Auch unser ehemaliger Ministerpräsident Jürgen Rüttgers war voll des Lobes. „Dass Sie Ihre Freizeit in dieses besondere Anliegen investieren, ist ebenso erfreulich wie beispielhaft und verdient unser aller Anerkennung“, schrieb er uns.

Leider haben die Eltern unsere Arbeit nicht immer unterstützt. Es gab immer wieder Väter und Mütter, die dachten, wir würden ihre Kinder bevormunden. Manche glaubten doch tatsächlich, dass der Alltag im Schulbus zur Entwicklung beitragen würde. Sie sollten lernen, sich im täglichen Nahkampf auf dem Schulweg allein zu behaupten und nicht in allem Unterstützung bekommen. So viel dann zur Ellenbogengesellschaft.

Vorzeigeprojekt in Bergheim

Ein weiteres Problem bei unseren Busfahrten ist oftmals der Rücktransport. Aufgrund der schlechten Busanbindung auf den Dörfern kommt man morgens zwar zur Schule hin, aber leider nicht mehr zurück. Hier haben wir Schulbusbegleiter dann gegenseitig geholfen und uns im Wechsel abgeholt.

Das kreisweite Vorzeigeprojekt von Polizei, der Rhein-Erft-Verkehrsgesellschaft (REVG) und den Kommunen musste nach elf Jahren aus Nachwuchsmangel leider eingestellt werden. Die Stadt Bergheim war die einzige, die bis zuletzt bei der Stange geblieben ist. Seit 2002 waren bis zu 18 Erwachsenen im Stadtgebiet unterwegs. Allein in Büsdorf waren wir zeitweise zu sechst.

Die Mischung aus Jung und Alt war wichtig, weil sie auch die Besetzung der Busse widerspiegelt. Täglich nutzen rund 3.500 Schüler zwischen sechs und 18 Jahren sowie andere Fahrgäste die Busse des Linienverkehrs. Da sind Konflikte vorprogrammiert.

Im Moment begleitet leider niemand mehr die Bergheimer Schulbusse. Meine Kinder sind schon groß und kommen allein klar – für die anderen tut es mir Leid.

Insgesamt kann ich sagen, dass die Zeit als Schulbusbegleiter für mich sehr schön war. Zu vielen Kindern habe ich heute noch Kontakt.

Ich würde mir wünschen, dass es wieder mehr junge und auch ältere Erwachsene geben würde, die das Projekt „Schulbusbegleiter“ wieder aufleben lassen. Unterstützen und mit Rat und Tat auf ihre Aufgabe vorbereiten würde ich sie auf jeden Fall.

Lars Röcher – Poetry Slam BergReim

Leben mit der Lyrik

 

Lars Röcher - PoetrySlam

Lars Röcher – PoetrySlam

Mein Name ist Lars Röcher. Ich bin am 17.03.1989 in Köln geboren, aber seit je her Bergheimer. Schon seit meiner Kindheit wusste ich, dass ich Handwerker werden wollte. Und ich wurde es auch und machte meinen Maler-Gesellenbrief. Ich werde das nie vergessen, was meine Gesellen und Meister mir beibrachten – auch wenn ich inzwischen eher ein „Mundwerker“ bin und nur noch mit Worten male. „Ich vertrete Bergheim, da es sonst keiner tut“ erfolgreich als Poetry Slammer.

Mein bester Freund nahm mich öfter mit zu sogenannten Poetry Slams, was übersetzt so viel wie Dichterwettstreit heißt. Das Publikum entscheidet über den Erfolg oder Nicht-Erfolg der Poeten. Schon bald packte mich der Ehrgeiz, eigene Texte zu schreiben und besser zu sein als mein Freund. Meinen ersten Auftritt hatte ich 2009 in Hagen. Ich war beruhigt, weil mich dort niemand kannte. Nach dem Auftritt verließ ich sehr erleichtert die Bühne und freute mich über die vielen positiven Rückmeldungen.

Das war schlussendlich der Startschuss für ein Leben mit der Lyrik. Bald schon wurde ich zu Poetry Slams in ganz Deutschland eingeladen und reiste herum mit meinen Gedichten im Gepäck. Ich fragte mich, warum diese unglaubliche Szene immer so weit weg sein muss. Warum war so etwas in anderen Städten möglich und hier in Bergheim kennt diese Wettbewerbe keiner?

Organisator von BergReim

Ich bin einfach mit dem Gedanken ins Medio Bergheim gegangen, etwas ganz Neues aufzubauen. Nach langen Gesprächen hatte ich BM.Cultura und die Stadtbibliothek als Verbündete und wir brachten den ersten Poetry Slam nach Bergheim – den „BergReim“. 2014 gab es bereits die fünfte Ausgabe mit Künstlern aus Bergheim, Kerpen und Köln.

Als erster Slam-Master in Bergheim hatte ich es natürlich nicht einfach, eine solche Veranstaltung mit Profis und Amateuren aufzubauen. Im Freundes- und Familienkreis wurde ich anfangs seltsam angeguckt – ich sollte doch lieber etwas Vernünftiges machen. Aber der Funke war entfacht und ich versuche nicht mehr nur, besser zu sein sondern der ganzen Welt zu zeigen, was ich kann. Teilweise wache ich nachts auf und notiere mir einige Wörter, völlig begeistert von meinen Ideenspielen. Ich schreibe eigentlich in allen Lebenslagen und wurde auch schon in der Berufsschule ermahnt, weil ich im Unterricht an meinen Texten gearbeitet habe. Anfangs herrschte in meinen Texten meistens der Schwarze Humor, inzwischen versuche ich jedes Thema zu bedienen.

Keine Routinen

Mein erstes Programm hieß „The One Man Show” und war eher ernst und nachdenklich. Momentan toure ich mit meinem zweiten Soloprogramm „Die primitive Initiative“ durch Deutschland, das sich mehr durch Geschwindigkeit und Satire auszeichnet. Eine ganz spezielle Herausforderung wird es sein, demnächst in der Kölner Justizvollzugsanstalt aufzutreten. Ich lese bestimmte Texte, die meiner Meinung nach zu einander passen. Dazwischen wird über Aktuelles in der Welt gesprochen oder Fragen über meine Person beantwortet. Ich weiß eigentlich nie was passiert, und so gibt es keine Routinen.

Ich besuche auch Schulen und Jugendzentren, um die Poetry-Szene auch hier bei uns bekannter zu machen. Ich leite Workshops, gründe AGs oder übernehme gelegentlich auch einmal den Deutschunterricht. Nicht schlecht für einen ehemaligen Hauptschüler! Es war eigentlich ein Leben im Zirkus, wir sollten ein (?) paar Kunststückchen lernen und das war‘s. Man wird zwar aufs grobe Schulwesen vorbereitet, aber nicht auf das Leben. Deshalb versuche ich in meinen AG’s genau das zu tun.

Lernen fürs Leben

Das Besondere an der Poesie ist die unglaubliche Vielfältigkeit – man lernt so viel fürs Leben wie Freie Rede, kein Lampenfieber haben, den Wortschatz zu erweitern und vieles mehr. Diese Faszination will ich weitergeben, mal witzig, mal nachdenklich. Das Besondere ist der Nervenkitzel hinter der Bühne und natürlich der Blick durch den Vorhang auf die wartenden Massen. Ich stelle mich meistens in eine Ecke mit dem Gesicht zur Wand und geh noch mal alles durch. Durch erzwungenes Gähnen wird man ein wenig ruhiger.

Über die Jahre habe ich dutzend Slammer kennen gelernt, die einem jederzeit einen Schlafplatz anbieten, falls von einem Wettbewerb nicht mehr zurück nach Hause kommt. Es ist dieses Familiäre vor und hinter der Bühne, was einem Halt gibt und einen auch immer wieder antreibt. Es spielt keine Rolle, ob man auf dem letzten Platz landet oder als Deutscher Meister danach sein Bier aus dem Pokal trinkt. Es gibt unter uns keine Hierarchie – man wird einfach ohne Unterschiede als Künstler anerkannt.

Früher bin ich eher mit gesenktem Blick durch die Welt gelaufen. Heute werde ich in Städten erkannt, die einige hundert Kilometer von Bergheim entfernt sind.

Ich möchte nicht mehr nach meinen Äußerlichkeiten beurteilt werden, sondern durch das was ich tue und denke. Nie endender Ruhm, so wie Johnny Cash, das wär’s doch.

Pauline Delsing – Glasmuseum Ichendorf

Von Gläsern und Menschen

GlasmuseumAn einem ruhigen Sonntagmorgen fuhren mein Mann und ich mit unseren Kindern – zehn, acht und vier Jahre alt, zum Holzmuseum in Merscheid bei Morbach im Hunsrück. Wir verbrachten mehrere wunderbare Stunden in der liebevoll gestalteten Ausstellung, die in einer zum Museum umgebauten alten Schule untergebracht ist. Die Kinder konnten viel entdecken, anfassen und ausprobieren. Auch wir Erwachsenen erfuhren viel Neues über Holz.

Wieder zu Hause von unserem Wochenendbesuch bei Opa und Oma, fand mein Mann es schon sehr merkwürdig, dass ein solch kleiner Ort ein Museum hat und die Stadt Bergheim nicht. Diese Erkenntnis tat er in der darauf folgenden Zeit dann auch regelmäßig kund und unterhielt sich vielen Leuten.

Design aus Ichendorf

So erfuhren wir, dass es in Ichendorf seit 1898 eine bedeutende Glashütte gegeben hat. Den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichte das Werk in den dreißiger Jahren, als hier mit drei Öfen und etwa 700 Beschäftigten vornehmlich geschliffene Kelchgläser produziert wurden. 1938 kamen täglich rund 30.000 mundgeblasene, veredelte Gläser aus Ichendorf, 80 Prozent gingen ins Ausland. Auch das englische Königshaus kaufte hier ein. Nach dem Krieg wurden auch Einmachgläser hergestellt. Die Marke ICHENDORF stand als Begriff für höchste Qualität auf dem Kristallsektor und für bestes Design. Zu den mehrfach ausgezeichneten Trinkglasgarnituren wurde ein breites Geschenkartikelprogramm aufgebaut, daneben Sonderserien mit künstlerischem Anspruch oder historischem Hintergrund. Unter anderem entstanden originalgetreue Nachschöpfungen römischer Gläser. Mehrere Besitzerwechsel und Rationalisierungszwänge machten auch vor der Ichendorfer Glashütte nicht Halt: Im Juni 1986 wurde der Betrieb eingestellt.

Obwohl wir schon seit sieben Jahren in Quadrath-Ichendorf wohnten und unsere Kinder hier zur Schule gehen, hatten wir noch nie davon gehört. Am selben Abend entstand der Gedanke, ein Glasmuseum einzurichten. Also rief mein Mann die Kölner Stadtanzeiger an, um Leute zu finden, die mit uns diese Idee verwirklichen. Ein Reporter kam zu uns nach Hause und hörte sich die Geschichte an. Er wollte ein Bild mit der ganzen Familie. Ich weiß noch, dass ich gar nicht mit auf das Foto wollte: „Nein, nein, lass mal, dass ist dein Ding, mach du das mal“. Am Mittwoch, den 30. Januar 2002, erschien das Foto groß im Kölner Stadtanzeiger – darauf mein Mann, Michael Hölzemer, und unsere drei Kinder, Angelique, Ben und Carolien nebst Hund. Da war ich schon stolz auf meine engagierte Familie.

Liebe auf den zweiten Blick

Recht schnell meldeten sich einige Leute und so wurde im Mai 2002 der Verein Ichendorfer Glasmuseum gegründet. Gründungsmitglied war ich zwar, aber in den Vorstand wollte ich nicht. Also wurden mein Mann Vorsitzender und unsere älteste Tochter jüngstes Gründungsmitglied. Ab da ging alles ganz schnell.

Da die Kinder von Anfang an dabei waren, gab es für mich immer viel zu tun. Es ist schon eine ganz andere Organisation, ob ich alleine zum Vereinstreffen gehe oder zu fünft. So fanden dann irgendwann einfachheitshalber die meisten Zusammenkünfte bei uns zu Hause statt. Da mein Mann einen Vollzeitjob als Maschinenbau-Ingenieur ausübt, blieb automatisch immer viel an mir hängen – die Telefonate und Botengänge tagsüber sowie Notarbesuche, Kassenberichte und der ganze organisatorische Kram.

Die Materie Glas indes fand ich im Laufe der Zeit immer faszinierender. Als Diplom Kreativ Therapeutin und Sozialpädagogin nahm ich immer mehr Anteil am Aufbau der Ausstellungen. Auch die Herstellung von Glas interessierte mich mehr und mehr.
Die historischen Hintergründe haben mich nie so ganz gepackt, aber die viele Geschichten der ehemaligen Glashütten-Mitarbeiter fand ich sehr spannend.

Ausstellungen und Hobbywerkstatt

Diese Begeisterung für Glas und den menschlichen Anteil bei der Herstellung wollte ich gern weitergeben. So habe ich damit begonnen, mit mehreren Jugendlichen zwischen 10 und 16 Jahren zu arbeiten. Die Glashobbywerkstatt war geboren. Über drei Jahren trafen wir uns einmal wöchentlich bei uns zu Hause im Garten und der Werkstatt, um „Hands-On-Vitrinen“, ein Spiegelkabinett, Glasxylophone, eine Murmelbahn, eine Weltkugel aus Glas und was auch immer uns einfiel, herzustellen.

Wir bauten eine große begehbare Spiegelkammer. Ein Oktaeder mit einem Trapezdach, alles mit Glas verkleidet. So groß wie ein Toilettenhäuschen, da konnte man rein gehen und sich wie in ein Kaleidoskop selbst betrachten. Die Spiegelkammer und mehrere andere Objekte sind als Ausstellung durch alle Kindergärten in Quadrath-Ichendorf gegangen, ebenso ins Bergheimer Rathaus. Das war ziemlich aufwändig, das kann ich Ihnen sagen.

Ich musste beim Bauen alles schon so ausrichten, dass die Teile zerlegt werden konnten und in unseren Anhänger passten. Außerdem mussten mit allen Kindergärten Termine für den Auf- und Abbau festgelegt werden. Dafür brauchte ich zwei weitere Erwachsene, die mir an diesen Tagen helfen konnten.

Alle paar Wochen stand wieder ein ganzer Umzugstag mit ab- und wieder aufbauen an. Die nächste Ausstellung ein Jahr später haben wir dann einfachheitshalber direkt in unseren Garten verlegt. Zwei Monaten lang stand die 35 m² Ausstellung im Garten.
In der Woche konnten sich Kindergärten oder Schulklassen anmelden (wir haben zum Glück ein sehr großes Grundstück). Sonntags war jedes Mal Tag der offenen Tür mit Kuchen und Kaffee.

Gemütliche Truppe

Noch viele interessante Gespräche, faszinierende Geschichten und große Ausstellungen folgten. Dazu Jahreshauptversammlungen, Sitzungen bei uns zu Hause, gemeinsame Essen mit Vereinsmitgliedern und zwei GlasKunstMärkte im Bergheimer Medio.

Ich habe mir immer mehr zugetraut und bin an der Aufgabe gewachsen: Mittlerweile bin ich auch im Gründungsvorstand des Vereins zur Einrichtung eines Museums in Bergheim, dem heutigen BergHeimat.

Manchmal wird mir alles zu viel. Aber wenn ich mich wieder mit Glas und dem ganzen Drumherum beschäftigen kann, freut mich das sehr. So sind wir schon 12 Jahre unterwegs in Sachen Glas.

Die Kinder nehmen zwar Anteil, haben aber natürlich schon längst ihre eigenen Hobbys. Mein Mann und ich machen weiter – mal sehen, wo es uns so hinführt. Die Zusammenarbeit im Verein macht Spaß, wir sind ein gemütliche Truppe. Jeder macht, was er kann und wann er es kann.

Hans Beilhack – Initiative Glessener Höhe

Ein Mann will nach oben

GipfelbuchIch bin in den Bergen aufgewachsen. Geboren bin ich vor 77 Jahren in Ruhpolding, Kreis Traunstein, in Oberbayern. Da sind die Gipfel bekanntlich etwas höher als im Rhein-Erft-Kreis. Aber Glessen ist inzwischen meine zweite Heimat geworden, nicht zuletzt wegen der Glessener Höhe.

Auch hier steht auf 204 Metern ein Gipfelkreuz, aufgestellt von der Katholischen Kirche auf der „Kippe“. So wird die Abraumhalde des Braunkohletagebaus Fortuna im Volksmund genannt. Ich habe noch erlebt, wie der künstliche Berg zwischen 1955 und 1970 von den Baggern aufgeschüttet und rekultiviert worden ist.

Meine Frau war der Grund, warum ich ins Rheinland gezogen bin. Sie kommt aus Oberaußem, wo wir anfangs wohnten. Meine Großmutter hat mir eine Almhütte auf dem Hochfelln vererbt, dort hat die Anneliese ihren Urlaub verbracht. Auf der Alm gibt’s koa Sünd, wir haben geheiratet und so bin ich nach Bergheim gekommen.

Ich habe auf dem Bau gearbeitet, das war früher richtig schwer. Wegen einer kaputten Hüfte musste ich meinen Job mit 54 Jahren aufgeben. Die Ärzte sagten mir, ich sei noch zu jung für eine Operation. Da habe ich mich selbst kuriert – mit Akupressur und viel Bewegung. Was sollte ich denn zu Hause sitzen und jammern?

Gipfelbücher am Kreuz

Ich bin schon als Kind viel gewandert und war immer gern in den Bergen unterwegs. Auf meinen Streifzügen habe ich auch das Gipfelkreuz auf der Glessener Höhe entdeckt. Eines Tages habe ich unten am Sockel ein Steinplättchen gefunden, auf dem eine Frau den Tod ihrer Tochter beklagte. Das hat mich sehr berührt. Ich dachte, ein Berg, ein Kreuz – da muss auch unbedingt ein Gipfelbuch hin wie es bei uns zu Hause Brauch ist. Das erste habe ich 2006 installiert. An Maria Himmelfahrt, am 15. August 2006, ist es bei einem ökumenischen Gottesdienst geweiht worden. Insgesamt 50 Gipfelbücher sind es inzwischen, gut verwahrt in einem Kästchen. Iris Redelius hilft mir bei der Gestaltung und unterstützt mich auch sonst bei meinem Herzensprojekt, wo sie kann.

gipfel1Jeder wandert aus einem anderen Grund zum Gipfelkreuz – um die schöne Aussicht zu genießen oder das Alleinsein, um seinen Gedanken freien Lauf zu lassen oder seine Sorgen für einen Moment zu vergessen, neue Kraft zu schöpfen oder seine Traurigkeit abzulegen. Die Gipfelbücher erzählen von der Freude über die wunderbare Landschaft und das Wetter, vom Stolz und der Erleichterung, den steilen Aufstieg geschafft zu haben, von ihrem Kummer und ihrem Glück. Witziges und Ernstes, Blödsinn und Ärgerliches stehen da. Manche schreiben mehrere Seiten voll und zeichnen wahre Kunstwerke, Blumen, Pferde, den Dackel oder Comics. „Abstand ermöglicht die Dinge von einer anderen Seite zu sehen“, ist da zu lesen. Oder: Je mehr wir an Höhe gewinnen, umso weiter lassen wir unsere Sorgen und Ängste hinter uns.“ Wie wahr.

Wandern im Königsdorfer Wald

Sehr beliebt sind inzwischen auch unsere traditionellen Gipfeltreffen auf der Glessener Höhe. Das erste war vor zehn Jahren am 9. Oktober 2004 – damals waren wir gerade mal zu viert. Wir treffen uns „An der Broicheiche“ hinter dem Feuerwehrgerätehaus und wandern dann gemeinsam eine Stunde hoch bis zum Kreuz. Für ältere oder gehbehinderte Teilnehmer gibt es extra einen Fahrdienst vom Malteser Hilfsdienst, die uns auch mit Speis und Trank versorgen. Lustig war auch ein Gewinnspiel, wobei man raten konnte, was auf dem großen Findling am Kreuz zu erkennen ist. Ein Pferd – ein Totenkopf – ein Gesicht – das bleibt ganz Phantasie überlassen.

Wofür ich aber absolut kein Verständnis habe ist, dass diese kostbaren Schätze immer wieder mutwillig zerstört werden – verbrannt, zerfetzt oder einfach ins Gebüsch geworfen. Ich versuche dann zu retten, was zu retten ist und hebe selbst die verkohlten Reste bei mir zu Hause auf. Inzwischen bin ich ein richtiger Fachmann im Restaurieren. Zwei völlig durchnässte Kladden habe ich gefriergetrocknet, so sind wenigstens noch Teile erhalten geblieben. Ich habe auch schon Anzeige gegen Unbekannt erstattet, aber das ist natürlich ins Leere gelaufen.

Manchmal bekomme ich einen Anruf, dass wieder mal ein Gipfelbuch voll ist. Ich selbst bin zweimal in der Woche oben und schaue nach dem rechten. Es sieht jedes Mal anders aus und immer wieder entdeckt man Neues. Der Panoramablick reicht über die ganze Rheinebene von Leverkusen mit seinen Schornsteinen über Köln mit dem Dom und dem Colonius bis weit ins Bergische Land und dem Siebengebirge. An guten Tagen ist das Hotel auf dem Petersberg mit bloßem Auge zu sehen oder eine Häuserzeile in Remscheid.

Mystische Geschichten

Ich mag auch den Königsdorfer Wald unten am Fuß der Glessener Höhe mit seinen uralten Bäumen, die vielen zum Teil seltenen Tier- und Pflanzenarten Schutz bieten. Er hat so etwas Mystisches. Mehrere verwitterte Wegkreuze künden von seinen geheimnisvollen Geschichten. Die „ehrbare Jungfrau“ Gertrud Dahmen wurde 1819 in einer Quarzgrube verschüttet, als sie Sand holen wollte. Den letzten Förster der Abtei Brauweiler, Peter Vochem, hat ein Stichel tödlich getroffen. Seinen Kollegen Ferdinand Sonnenschein erschoss 1846 ein Wilderer. Der reuige Übeltäter soll sich übrigens selbst gestellt haben, nachdem er bei einem Schützenfest wegen eines blendenden Sonnenstrahls nicht mehr richtig zielen konnte.

Wenn ich die Gipfelbücher durchblättere, bewegt mich das sehr. Ich finde es schön, dass die Leute einen Ort haben, dem sie ihre Gefühle, ihre Hoffnungen und Sorgen anvertrauen. Ich hatte immer schon großes Verständnis für Menschen und engagiere mich auch im sozialen Netzwerk Gemeinsam gegen Einsam. Den Namen habe ich mit Frau Seemann entwickelt, nachdem wir uns nicht mehr „Helfende Hände“ nennen durften.

Heimatpflege und Brauchtum

Ich bin auch im EFI-Team der Stadt Bergheim als ausgebildeter seniorTrainer aktiv. Da trainieren wir keine Senioren, sondern geben unser Wissen und unsere Erfahrungen weiter und fördern ehrenamtliche Projekte rund um Gesundheit, Jugend- und Altenhilfe, Kunst und Kultur, Naturschutz, Heimatpflege und Brauchtum. Wir versuchen, Unterstützung zu mobilisieren und zu helfen, wo wir gebraucht werden. Natürlich setze ich mich auch für den Erhalt der Himmelsleiter ein, einer Treppe aus Eisenbahnbohlen, die auf die Glessener Höhe führt. Direkt in den Himmel, so scheint es. Für unsere Initiative fände ich es schön, dass auch Jüngere mit ins Boot kommen, damit diese schöne Geschichte weitergehen kann.

Annemarie Nellen – Soziales Netzwerk

Gemeinsam gegen Einsam

 

Annemarie Nellen - Gemeinsam gegen Einsam

Annemarie Nellen – Gemeinsam gegen Einsam

Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Annemarie Nellen. Ich bin 74 Jahre alt und geboren in Duisburg. Als Jugendliche habe ich in Köln-Lindenthal gelebt. Als meine Freundin mich eines Tages überredete, mit ihr nach Quadrath-Ichendorf in die Gaststätte „Die Schlemm“ zum Tanzen zu gehen, dachte ich zuerst „Mein Gott, was für ein Kaff.“ Dann lernte ich dort meinen Mann kennen und änderte schnell meine Meinung. Jetzt fühle ich mich hier in Bergheim zu Hause.

Nach meiner Lehre als Groß- und Außenhandels-Kauffrau wurde ich von der Firma übernommen und habe 40 Jahre lang in der Buchhaltung gearbeitet. Als mein Sohn geboren war, übte ich zehn Jahre lang an zwei Tagen die Woche meinen Beruf aus. Danach ging ich wieder ganztägig arbeiten und wurde Abteilungsleiterin Buchhaltung. Meine Arbeit hat mir immer gefallen, und ich habe sie sehr gern gemacht.

Im Jahr 1997 teilte mein Chef mir mit, dass er zum Jahresende in den Ruhestand gehe. Es war ein Schock für mich, denn wir arbeiteten seit 20 Jahren zusammen. Dann kam der Satz von ihm, der mein Leben total verändern sollte. Er sagte: „Frau Nellen, wollen sie sich an einen neuen Chef gewöhnen oder sollen wir sie auf Grund der anstehenden Umstrukturierung mit Abfindung entlassen?“ Ich war zu diesem Zeitpunkt erst 57 Jahre alt und habe eigentlich bis zum Rentenalter bleiben wollen. Nach Rücksprache mit meinem Mann habe ich das Angebot angenommen.

Frühstück für Senioren

Jetzt war ich den ganzen Tag zu Hause. Ich, die ich Hausarbeit noch nie als den Inhalt meines Lebens begriffen hatte, brachte innerhalb von vier Wochen meine Wohnung derart auf Hochglanz, dass es keinen Schrank mehr auszuwischen und keine Möbel mehr zu verrücken gab. Ich stand nach wie vor früh auf, machte meine Hausarbeiten und setzte mich dann vor den Fernseher. Zu dieser Zeit lief im ZDF die Serie „Reich und schön“ und nach etwa sechs Wochen wusste ich in der Welt der Reichen und Schönen bestens Bescheid. Ich langweilte mich zu Tode. Mein Entschluss reifte: Du musst etwas unternehmen.

Nicht um anderen etwas Gutes zu tun, sondern mehr aus Eigennutz beschloss ich, ehrenamtlich tätig zu werden.

Zu diesem Zeitpunkt hörte ich, dass die Stadt Bergheim ein Projekt für Senioren (Helfende Hände) einrichten wollte und für diese Aufgabe ehrenamtliche Mitarbeiter suchte. Ich meldete mich sofort und wurde freundlich aufgenommen. Etwa ein halbes Jahr wurden statistische Daten ermittelt – wie viele Senioren welchen Alters und welcher Herkunft in Bergheim wohnen. Die Erkenntnis, dass viele ältere Menschen allein sind, brachte uns zu unserem Ziel, die Menschen aus ihrer Einsamkeit herauszuholen.

Es stand fest – wir fangen erst einmal mit einem Frühstücksangebot an. Im November 2001 war es dann soweit. Unser erstes Frühstück startete mit viel Werbung in der Zeitung und einer Riesenpleite: Gerademal vier Frühstücksbesucher kamen, um die sich vier Ehrenamtler und Reporter aller Regionalzeitungen scharten.

Aber das Frühstück entwickelte sich rasend schnell zu einem beliebten Treffpunkt. Zum jetzigen Zeitpunkt kommen zwischen 50 und 60 Besuchern – und das jeden Montag. Meine Aufgabe bestand darin, für den reibungslosen Ablauf zu sorgen, Kaffee zu kochen, die Tische zu decken, sorgen dass alles schön aussieht und wieder in den Schrank zurückfindet.

Gott sei Dank gab es von Anfang an volle Unterstützung von Seiten der Stadt Bergheim, die uns die Räume kostenlos zur Verfügung stellt. Das Frühstück kostet erschwingliche 2,50 Euro pro Person. Zweimal im Monat gibt es ein gesundes Bio-Frühstück mit Dips und viel Obst und Gemüse. Nicht dass die anderen beiden Montage nicht auch gesund wären – gut tun sie alle vier. Vor allem gegen Alleinsein und Trübsal. Das geht so weit, dass in Monaten mit einem frühstückslosen fünften Montag einige Gäste sehr traurig sind, wenn einmal nichts stattfindet.

Beliebter Treffpunkt im FunTastik

Inzwischen findet das Frühstück im Bergheimer „FunTastik“ statt und unser Projekt nennt sich Soziales Netzwerk „Gemeinsam gegen einsam“. Es ist toll, wie gut alles angenommen wird. Seien es der Tanztee, der Bingonachmittag, die Sitzgymnastik nach jedem Frühstück, die Singgruppe oder die Rückengymnastik für Senioren. Ganz besonders möchte ich den Besuchs- und Begleitdienst unter der Leitung von Anni Wilbertz erwähnen.

Es ist für mich eine besondere Freude zu sehen, wie gut alles läuft. Ich denke, dieses Angebot für Senioren ist etwas sehr Wichtiges. Denn es bilden sich Freundschaften, die das Alleinsein im Alter etwas leichter machen oder durch neue Bekanntschaften sogar ganz verhindern helfen. Das gilt natürlich auch für mich: Nur zu Hause würde ich verrückt werden.

Ich kann nur jedem raten, raus zu gehen und möglichst lange mobil und aktiv zu bleiben. Mitten im Leben. Ich hoffe sehr, dass unser schönes Projekt noch lange besteht.

Ich selbst musste mich nach 14 Jahren aus gesundheitlichen Gründen aus dem aktiven Dienst zurückziehen. Trotzdem halte ich zwischenzeitlich die Augen auf, ob es nicht doch noch irgendwo eine Aufgabe und ein Projekt gibt, wo ich auch mit nachlassender Kraft und Energie noch gebraucht werde.

Jalil Schwarz – Der Friedenskoch

Kochen für Frieden und Versöhnung

 

Jalil Schwarz - Der Friedenskoch

Jalil Schwarz – Der Friedenskoch

Geboren wurde ich am 18. August 1936 in Ramle bei Jaffa in Palästina, jetzt Israel. Als ich sieben Jahre alt war, starb meine Mutter und ich kam in das syrische Waisenhaus nach Nazareth, das von dem deutschen Missionar Schneller gegründet wurde.

Unser Internat befand sich auf einem Berg genau gegenüber einem jüdischen Kibbuz. In den Jahren 1947/48 nahmen die Unruhen zwischen gut ausgebildeten jüdischen Untergrundorganisationen und der arabischen Bevölkerung zu. Auch unsere Schule wurde beschossen und die meisten Kinder nach Hause geschickt. Für 14 von uns war es zu gefährlich, weil unsere Heimatstädte Jaffa, Lod und Ramle stark umkämpft waren. Unser arabischer Direktor mietete einen Lastwagen. Zwischen Hausrat und Säcken mit Lebensmitteln sind wir nach Beirut geflohen. Hier wohnten wir zunächst im Zelt. Wir spielten, sangen, lernten Gedichte und kochten gemeinsam. Als der Winter kam, zogen wir in ein Haus. Ein schönes Leben eigentlich – bis uns die Gewalt wieder einholte.

Wir hörten von schrecklichen Gräueltaten, die nicht mal vor Frauen und Kindern haltmachten. Unsere Heimat Palästina wurde 1948 zweigeteilt. Wir kamen nach Bethlehem, das nun zu Jordanien gehörte. Hier erfuhr ich von Verwandten, dass mein Vater und meine Geschwister in Ramle noch am Leben waren. Meinen Vater sah ich erst vier Jahre nach meiner Flucht für ein paar Stunden wieder. Arabische Christen durften damals zu Weihnachten über den Grenzübergang Mandelbaumtor nach Bethlehem – nur für 36 Stunden. Trotzdem war ich glücklich, meinen Vater noch einmal in die Arme schließen zu können, da er im nächsten Jahr kurz nach einem erneuten Wiedersehen starb.

Engagiert für Völkerverständigung

Nach Deutschland bin ich Ende 1954 gekommen, um in Köln Elektrotechnik zu studieren. 1967 habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Der deutsche Pass ermöglichte es mir nach 20 Jahren endlich, meine Heimat und meine Geschwister zu besuchen. Sie waren mittlerweile verheiratet und hatten eigene Kinder. Meine Angehörigen sind überall verstreut in Süd – und Nordamerika, in Australien, Jordanien, Libanon, Syrien und Israel – und ich lebe gern hier in Deutschland, in Bergheim-Quadrath-Ichendorf bei Köln.

Mein Herzenswunsch ist, dass eines Tages im Heiligen Land Juden, Christen und Moslems („Die Kinders Abrahams”) friedlich miteinander leben und sich gegenseitig respektieren. Bis dahin sind noch viele Brücken der Verständigung zu bauen.

Seit 1974 engagiere ich mich als engagierter Christ in der Ökumene für die Völkerverständigung hier bei uns in Deutschland als auch im Heiligen Land. Als Baby bin ich in der orthodoxen Kirche in Ramle getauft, mit 14 Jahren in der Weihnachtskirche in Bethlehem konfirmiert und 1967 in Köln katholisch getraut worden.

1985 bei einem meiner Besuche in Ramle zeigte mir mein Bruder auf dem Weg zu Kirche eine verlassene Bauruine und erzählte mir, dass die christlich – orthodoxe Gemeinde hier angefangen, ein Gemeindezentrum zu bauen – eine Lebensnotwendigkeit für die religiöse und kulturelle Identität der Christen als Minderheit in Israel. Durch die nachträgliche staatliche Auflage, das Haus mit einem bombensicheren Keller zu untermauern, konnte der 1975 begonnene Bau aus Kostengründen nicht fortgeführt werden.

Was kann ich persönlich tun?

Wieder zu Hause in Köln versuchte ich vergeblich, über die Ökumene finanzielle Hilfe für die Unterstützung der Urchristen im Heiligen Land zu erhalten. Ich stand vor der Frage, was kann ich persönlich tun?

Kochen war die Antwort, das kann ich. Es war mir bekannt, dass jede Gemeinde mindestens einmal im Jahr ein Gemeindefest mit Erbsensuppe und Würstchen feiert. Ein evangelischer Pfarrer erlaubte mir, nach einem Familiengottesdienst ein Essen für 50 Personen anzubieten. Ich bereitete das biblische Linsengericht zu. Das „Esaugericht“ steht für eine auf den ersten Blick verlockende, in Wahrheit aber geringe Gabe im Tausch gegen ein sehr viel höheres Gut. Hintergrund ist die biblische Erzählung, nach der Jakob, der jüngere Sohn Isaaks seinem älteren Bruder Esau das Erstgeburtsrecht gegen einen Teller Linsen abkaufte (1. Moses 25:27.ff). So wurde die Idee geboren und ich der Friedenskoch. Die Leute waren begeistert und ich wurde regelrecht in Köln und Umgebung herumgereicht

Eine große Herausforderung war die Anfrage eines Pfarrers, für ein Jugendfest mit 1000 Personen zu kochen – unter der einzigen Bedingung, das Essen pünktlich zu bringen. Ich zögerte erst mit meiner Zusage – und staunte nicht schlecht, als er meine Bitte um eine Küche, große Töpfe, fünf Frauen zur Hilfe und ein Auto ganz selbstverständlich erfüllte. 80 kg Zwiebeln haben wir geschält, gemeinsam geschnibbelt und geweint – und das Essen pünktlich geliefert. Danach durfte ich auch bei Katholischen und Evangelischen Kirchentagen kochen. Für den Geburtstag einer Pfarrerin habe ich mir ein besonderes Festmenü mit kommunikativer Vorspeise, drei Hauptgerichten und verschiedenen Salaten ausgedacht. Zum Abschluss gab es Mokka mit Kardamon und Kaffeemehl aus Jerusalem sowie Sesamplätzchen. Das kam so gut an, dass ich für alle möglichen Festlichkeiten von der Kindestaufe bis zu Silberhochzeit in ganz Deutschland gebucht wurde. Meinen 65. Geburtstag 2001 habe mit 175 Obdachlosen in Köln gefeiert.

Frieden beginnt bei den Kindern

Mit dem gesparten Geld, Spenden, kirchlichen Kollekten und der Mithilfe der Christen konnte das Gemeindezentrum in Ramle vollendet werden – nebst Gymnasium für 380 christliche und 260 muslimische Schülerinnen und Schüler. Ich habe auch zehn Gruppengeräte für den Physik-, Biologie- und Chemie- Unterricht sowie gebrauchte Stühle und Sportgegenstände besorgt. Die Schule genießt mittlerweile ein hohes Ansehen in der ganzen Umgebung.

Bei der Einweihung des Gymnasiums am 1. Oktober 1994 dachte ich, mit meinen 58 Jahren kann ich mich langsam zur Ruhe setzen. Meine ehrenamtlichen Tätigkeiten und Kochaktionen habe ich seit 1974 neben meinem Beruf als Dozent für E-Technik, Elektronik und Mathe ausgeübt. Doch dann hörte ich jemanden sagen, wir brauchen auch dringend noch eine Grundschule und einen Kindergarten.

Um die Kluft zwischen der arabischen und der jüdischen Bevölkerung abzubauen, beschloss ich den Bau eines Kindergartens. Hier könnten christliche, muslimische und jüdische Kinder friedlich zusammen aufwachsen und von klein auf lernen, sich gegenseitig zu tolerieren und zu akzeptieren. Ich musste also weiter kochen und dafür werben. 2003 habe ich dann den Verein ABRAHAMSZELT gegründet – in der Hoffnung, schneller zum Ziel zu gelangen.

Trotz intensiver Bemühungen ist uns leider bis jetzt nicht gelungen, einen interreligiösen Kindergarten in Israel zu bauen. Deshalb gehen wir nun einen anderen Weg und werden in die Aus – und Fortbildung des Kindergartenpersonals investieren. In Zusammenarbeit mit „Hand in Hand“ (www.handinhandk12.org), der Stadt Jerusalem und dem Kindermissionswerk Aachen wollen wir die Errichtung einer Fachstelle für bilinguale und multikulturelle Bildung im Kindergarten finanziell unterstützen. So kommen wir unserem großen Ziel der Versöhnung hoffentlich wieder ein ganzes Stück näher. Denn Frieden fängt bei den Kindern an.

2001 bin ich mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet worden.
Seit zwei Jahren setze ich mich als Ritter des Ordens Christi vom Tempel zu Jerusalem weiter für Christen im Heiligen Land ein.

Als „Der Friedenskoch“ habe ich mich mittlerweile zur Ruhe gesetzt.
Aber
meinen großen Traum gebe ich nicht auf.

www.friedenskoch.de

André Hénocque – Der offene Bücherschrank

Bücher für alle

André Hénocque

Seit wenigen Monaten Rentner hatte ich Zeit zur Verfügung, die ich nach Gutdünken

sinnvoll einsetzen oder verschwenden konnte. Also habe ich beim SeniorTrainerkurs Anfang 2011 mitgemacht. Die Stadt Bergheim setzt dabei auf die Erfahrung und das Wissen älterer Menschen, die ihre vielfältigen Kenntnisse aus Beruf und Privatleben ehrenamtlich weitergeben und ein eigenes Projekt auf die Beine stellen wollen.

Der Abschlusstag kam immer näher. Jeder Teilnehmer sollte ein Projekt vorstellen, das ihm besonders am Herzen lag und das er in Bergheim verwirklichen wollte. Mir wollte aber partout nichts einfallen.

Als französischer Staatsbürger mit über 50-jähriger „Bergheim-Erfahrung“ überlegte ich etwas zu machen, das diesen beiden Tatsachen gerecht wurde. Vielleicht einen Lesekreis auf Französisch? Oder Vorlesen im Krankenhaus? Nein, das alles gab es schon zuhauf.

Aber Bücher überhaupt, Bücher für alle! Das war’s. Ich hatte von der Initiative mit öffentlichen und jederzeit zugänglichen Bücherschränken gehört, die bereits in mehreren Städten aktiv und offenbar sehr erfolgreich war. Mitmenschen zum Lesen anregen. Das ist die Idee, die dahinter steckt. Meine Landsmännin Monique Roden brauchte ich nicht zu überzeugen. Sie war sofort Feuer und Flamme. Wir betreuen bereits den „halboffenen“ Bücherschrank im Stadtteilladen Quadrath-Ichendorf, der allerdings nur zu den Öffnungszeiten zugänglich ist.

Aktion der Stadt Bergheim und RWE

Die Ausbildung als SeniorTrainer kam uns nun zugute: Als Erstes wurde ein Ablaufplan entworfen, ganz nach den erlernten Vorgaben. Wir sprachen mit verschiedenen Entscheidungsträgern, die den Plan hervorragend fanden, jedoch an der Durchführung nicht beteiligt sein wollten – meistens aus Zeitmangel. Wir ließen uns nicht entmutigen und besuchten mehrere Städte, die bereits einen Bücherschrank ihr Eigen nannten und uns Ratschläge erteilen konnten. Zunächst interessierten uns die Standortwahl und ganz besonders die Finanzierung.

Was tun? Da kamen uns der berühmte Zufall und die Bürgermeisterin der Stadt Bergheim zur Hilfe. Diese vermittelte uns einen Kontakt zu RWE Deutschland, die Bücherschränke sponsern und instandhalten. Sie meldete unseren Bedarf an und in kürzester Zeit kam eine konzertierte Aktion gemeinsam mit der Stadtverwaltung und dem Energieversorger zustande.

Schnell war eine geeignete Stelle in der Bergheimer Fußgängerzone an der kleinen Erftbrücke gefunden. Hier kommen jeden Tag viele Leute vorbei und man kann sich auch einmal gemütlich auf die Bank an der Erft setzen und ein Buch anlesen, bevor man es mit nach Hause nimmt.

Mit Hilfe des Architekten Hans Jürgen Greve richteten wir das „Stadtmöbel“ baulich her und übergaben das stabile und wetterfeste Prachtstück am 8. Mai 2012 seiner Bestimmung. „Ein offener Bücherschrank, jederzeit zugänglich, mit Literatur für jedermann – das ist eine tolle Idee“, schwärmte auch Maria Pfordt. „Der Bücherschrank ist ganz klar eine Bereicherung für unsere Stadt. Wir wünschen uns, dass die Bürgerinnen und Bürger regen Gebrauch von diesem Angebot machen.“

Der schwarze, massive Stahlschrank mit robusten Plexiglastüren ist 2,20 Meter hoch und 60 Zentimeter breit und hat damit Platz für ungefähr 250 Bücher. In die Regalfächer können Passanten jederzeit Bücher hineinstellen, die sie selbst nicht mehr benötigen, aber jemand anderem zur Verfügung stellen wollen. So finden der ausgelesene spannende Krimi oder auch das Kochbuch vielleicht bald einen neuen Leser. Wer kein Buch hat, das er in den Schrank stellen kann, der darf natürlich trotzdem eines herausnehmen und lesen. Wir lagern auch gern einmal ein Buch bei uns zu Hause zwischen, sollte der Schrank einmal voll sein.

Schrankpaten sehen nach dem Rechten

Die Erstbefüllung, etwa 250 Bücher, kam größtenteils aus dem Fundus der ersten Schrankpaten: Monique und  mir. Denn mit der Errichtung fing die Arbeit erst richtig an. Zweimal täglich sehen wir nach unserem „Baby”. Mittlerweile stellen die Bergheimer Bürger selbständig Bücher ein, allerdings nicht immer in der von uns vorgesehenen Ordnung und manchmal auch nicht in annehmbaren Zustand.

Nicht Brauchbares wird genauso aussortiert wie Rassistisches oder Schriften religiöser Gruppierungen und politischer Parteien. Wir möchten keine Zensur üben, müssen jedoch auf ein gewisses Niveau achten.

Unser Bücherschrank ist eine Erfolgsgeschichte: Die Ausleihe funktioniert hervorragend. Menschen, die über Jahrzehnte kein Buch angefasst haben, entdecken wieder längst vergessene Lieblingsbücher, ob leichte Muse oder schwierige philosophische Betrachtungen – man kann hier alles finden. Zurzeit stehen beispielsweise Johannes Mario Simmel und Karl May einträchtig neben Agatha Christie, Pinocchio oder dem Graf von Monte Christo von Alexandre Dumas.

Auch Kinder sind willkommen und können Geschichten entdecken, die schon ihre Eltern verzaubert haben. Hier kann man seiner Phantasie freien Lauf lassen und ins Träumen geraten. Nichts ist vorgefertigt wie im Kino – man muss sich sein Zauberschloss, seine Fee und seine Monster selbst ausdenken.

Ich gehe gern auf meinem täglichen Weg durch die Fußgängerzone zu meinem Schrank und freue mich, wenn ich ihn wieder mit neuen Werken füttern kann.

So bekommt unsere Stadt ein ganz klein wenig mehr Lebensqualität und ich wünsche und hoffe, das viele Gemeinden diesem schönen Beispiel folgen und Lesen wieder eine tägliche Selbstverständlichkeit wird: Das haptische Vergnügen eines gedruckten Buches ist einfach unvergleichlich.

 

Maria Seemann – Besuchs- und Begleitdienst

Der Engel mit den helfenden Händen

 

Maria Seemann

Maria Seemann

Als ich 2001 aus dem bayerischen Ansbach zu meinem Sohn nach Niederaußem gezogen bin, hätte ich nie gedacht, dass ich mich hier so glücklich fühlen würde. Geboren bin ich 1926 in Bad Windsheim, aufgewachsen auf einem großen Bauernhof. Wir waren vier Geschwister, jeder musste mit anpacken. Einen Beruf zu erlernen, davon konnte ich als Mädchen nur träumen. Mit 27 Jahren habe ich geheiratet. Ansbach war völlig ausgebombt, deshalb sind wir erst einmal bei den Eltern meines Mannes unterkommen.

Mein Sohn ist 1953 geboren und es war klar, dass ich zu Hause bleiben und für die Familie da sein würde. Die leiseste Andeutung in Richtung „Mama geht arbeiten“ führte bei ihm zu schärfstem Protest: „Dann werde ich ein Lumperle und komme nie mehr aus der Schule heim“, drohte er mir scherzhaft. Als Landvermesser war mein Mann viel unterwegs, deshalb steckte ich wieder einmal zurück. Aber als mein Sohn aus dem Haus und in der Lehre war, konnte mir endlich meinen großen Wunsch erfüllen. Ich habe an einem Kurs für Helferinnen des Diakonischen Werks teilgenommen und war in der Sozialstation in der Haus- und Familienpflege tätig. Für andere da zu sein und mich zu kümmern, ist mir ein tiefes Bedürfnis und wohl meine Lebensaufgabe. Mein Vater hat immer gesagt: „Nehmt Rücksicht und seid anständig“ – das werde ich nie vergessen.

Für andere da sein

Als mein Mann vor 24 Jahren plötzlich und völlig unerwartet gestorben ist, bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Er ging aus dem Haus und verabschiedete sich mit einem Kuss und einem „heute komme ich früh wieder“. Dann ist er am Tisch einfach so zusammengesackt und seine Kollegen mussten mir die schlimme Nachricht überbringen. Auch wenn der Arzt gesagt hat, dass ich froh sein sollte, dass er einen so schönen Tod gehabt hat, war es anfangs sehr schwer für mich.

Die Arbeit, das Haus und der große Garten gaben mir Trost. Mein Sohn überraschte mich mit seinem Plan, aufzustocken und mich zu sich nach Bergheim zu holen. Ich kam vor dreizehn Jahren in den Rhein-Erft-Kreis mit dem Gedanken, ihm eigentlich abzusagen – aber da war der Dachstuhl schon fertig. Ich habe es nie bereut, auch wenn andere gesagt haben: „Wie kannst Du aus dem schönen Mittelfranken nur dahin ziehen?“ Hier gibt es so schöne Ecken, man muss nur die Augen aufmachen. Und nur zu Hause zu sitzen wäre mir zu langweilig gewesen. „Raus aus dem Bau“ kann ich jedem nur raten, wenn es gesundheitlich geht und man mobil ist. Ich habe den Führerschein und kurze Strecken fahre ich auch noch selbst.

Den Alltag hinter sich lassen

Damals war gerade das Stadtteilforum im Aufbau, da war ich von Anfang mit an dabei. Zum Netzwerkfrühstück treffen wir uns regelmäßig in Bergheim, ich weiß nicht wie viele Kannen Kaffee ich dafür schon in den Baracken gekocht habe. Jetzt steht da ja das Familienzentrum FunTastik. Man trifft immer nette Menschen, tauscht sich aus und hat Spaß miteinander.

Beim Besuchs- und Begleitdienst gehen wir mit Menschen, die allein nicht mehr klar kommen, ehrenamtlich zum Arzt oder zu den Behörden, helfen beim Einkaufen, beim Ausfüllen von Anträgen, gehen mit ihnen spazieren, sind Gesprächspartner oder kommen zu Besuch ins Krankenhaus. Dort ist es manchmal sehr einsam, aber manchmal ist es das auch zu Hause – trotz einer professionellen Pflege. Wir organisieren auch qualifizierte Entlastungs- und Betreuungsangebote für Angehörige und Menschen mit Demenz. Diese Abwechslung ist gut für beide Seiten, man kann mal abschalten und aufleben, neue Kontakte knüpfen und den nicht immer ganz einfachen Alltag hinter sich lassen.

Eine erblindete alte Dame habe ich sieben Jahre lang betreut, bin mit ihr nach Bedburg zum Arzt gefahren. Sie hat mir einen Brief geschrieben, der mir sehr nahe gegangen ist: „Es ist schwer, Du hast niemanden zum Reden und niemanden zum Fragen – die Helfenden Hände geben dir Trost und machen Dir Mut“. Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. Unser Kontakt ist leider abgebrochen, nachdem sie weiter weg ins Altenheim und später zu ihrem Sohn gezogen ist.

Zeit zum Zuhören

Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die die Situation eines alten Menschen erheblich verbessern. Es macht etwas aus, ob ein Bett am Fenster steht und man hinaus schauen kann, wie man miteinander spricht. Der Ton macht die Musik, ich finde es schade, wie schroff manchmal miteinander umgegangen wird. Keine Zeit, keine Liebe – dabei ist es so wichtig, zuzuhören, füreinander da zu sein, mal die Hand des anderen zu nehmen. Mein Sohn sagt immer: „Mutti, pass auf Dich auf, lass Dir das nicht zu nah gehen“. Aber ich kann nicht anders – ich muss immer an meine Menschen denken.

Nicht alle haben das Glück, so gut aufgenommen zu werden wie ich hier im Kreis meiner Familie. Ich habe meinen Enkel aufwachsen sehen, er studiert mittlerweile in Aachen und besucht mich manchmal mit seiner Freundin. Er scheint wohl mein Helfergen geerbt zu haben und fragt mich immer, ob er etwas für mich tun kann. Meine Schwiegertochter ist Holländerin und schnappt sich morgens schon mal den Kaffeebecher und den Frühstücksteller und kommt einfach hoch zu mir zum Erzählen.

Jetzt mit meinen 88 Jahren muss ich mich ein bisschen zurück nehmen. Anfang des Jahres hatte ich einen Schlaganfall, aber so lange es geht, will ich weitermachen.
Was man gibt, das kommt auch an einen zurück, das ist meine feste Überzeugung.

Herzenssinn… Neue Bilder vom Engagement

Die Geschichten hinter der Ausstellung

Freiwilliges Engagement ist eine wichtige Säule des gesellschaftlichen Miteinanders. Die Art sich zu engagieren, sich im Privatbereich sinnvolle Aufgaben zu suchen, das nachbarschaftliche Miteinander kreativ zu bereichern, die eigenen Stärken anderen Menschen zur Verfügung zu stellen oder aus persönlicher Betroffenheit eine Lösung für sich und andere zu erfinden, ist sehr unterschiedlich. Immer mehr Menschen verwirklichen heute mit ihrem Engagement eigene Herzensangelegenheiten oder suchen sinnvolle Möglichkeiten z. Bsp. ihren Ruhestand zu gestalten.

Freiwilliges Engagement ist individueller geworden. Ein neues Bild vom Engagement ist entstanden. Der Eine bringt z. Bsp. die Tradition des Gipfelbuches aus seiner bayrischen Heimat auf die Glessener Höhe. Eine Andere chattet mit trauernden Jugendlichen. Eine Dritte qualifiziert sich zur seniorTrainerin und lässt ein neues Projekt reifen. Eine engagiert sich in einem Verein, ein Anderer möchte sich lieber informell mit Gleichgesinnten austauschen.

Die Bildergalerie zeigt stellvertretend für die vielen Engagements, wie Bergheimerinnen und Bergheimer jeden Alters und unterschiedlicher Herkunft das Zusammenleben in Bergheim mitgestalten. So verschieden ihre Anliegen sind, sie haben eines gemeinsam, nämlich die Freude an dem, was sie tun.

Sie zeigen: Engagement kommt von Herzen.

Hier eine Auswahl von den vielen Engagierten, die Tag für Tag das Leben der Kreisstadt Bergheim bereichern und es lebendig und bunt machen.

 

Bildergalerie:

 

Bilder von Monika Kluza, Düsseldorfer Fotografin.
Aufgenommen für eine Ausstellung im Rahmen der 700 Jahr Feier Stadt Bergheim


Die Geschichten hinter den Gesichtern

aufgeschrieben und bearbeitet von Andrea Floß –

 

 

Hans Beilhack, Initiative Glessener Höhe

Christa Commer, seniorTrainerin

Pauline Delsing, Ichendorfer Glasmuseum

André Hénocque, Bücherschrank

Annemarie Nellen, Gemeinsam gegen Einsam

Lars Röcher, Poetryslam / BergReim

Jalil Schwarz, Friedenskoch

Michaela Schüßler Schulbusbegleitung

Maria Seemann, Besuchs und Begleitdienst

 

 

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