Einsamkeit enttabuisieren: Warum sprechen wir nicht darüber und handeln?

Foto SeniorenberatungAlleinsein und Ausgeschlossen sein hat psychische und physische Auswirkungen und kann zu Depressionen oder Herzkrankheiten führen. Trotzdem ist Einsamkeit in unserer Gesellschaft – egal in welchem Alter – ein Tabuthema. Aber warum ist das so, was sind Auslöser und Anzeichen und wie kann man sich und andere davor schützen? Ingo Behr, der Sozialwissenschaftler und Quartiersentwickler der Stadt Kempen, erklärte die Zusammenhänge auf der Informationsveranstaltung “Gemeinsam statt einsam“.

Einsamkeit kann in allen Altersgruppen ein Problem sein. Statistisch ist die Gruppe der älteren Menschen ab 80 Jahren am stärksten betroffen. Nachdem eine Expertengruppe im Hagelkreuz eine umfangreiche Daten- und Faktenanalyse zwischen 2020 und 2022 erarbeitet und vorgelegt hat, wurden Ärzte, Apotheker, Pflegedienste, Sanitätshäuser, Kirchen sowie Einrichtungen der Altenhilfe in dem „Netzwerk Initiative gegen Einsamkeit“ gebündelt. Kooperativ wird seitdem nach Möglichkeiten gesucht, vereinsamte Menschen in ihrem Lebensumfeld zu erreichen.

Ziel: Kontakt aufnehmen

Ziel der Initiative ist es, alle an der Versorgung von älteren Menschen beteiligten Dienste einzubinden, damit Kontakte zu den Betroffenen ermöglicht werden: Mit Beginn dieses Jahres hat die Senioren- und Pflegeberatung der Stadt Kempen die Aufgabe übernommen, diese Menschen zu kontaktieren, die der Gruppe von zurückgezogenen älteren Menschen zuzuschreiben sind. Es soll nach individuellen Wegen gesucht werden, wie der Einsamkeit begegnet werden kann.

Soziale Kontakte sind ein Grundbedürfnis

Bereits die Steinzeitmenschen waren nur in einer Gruppe überlebensfähig: Die Gruppe bot Sicherheit, sorgte mit gemeinsamen Jagd- und Sammelaktionen für die Befriedigung des menschlichen Grundbedürfnisses „Hunger“. Die Gruppe bekämpfte zusammen das „Hungergefühl“. Hunger ist das Warnsignal des Körpers.

Bei Einsamkeit verhält es sich ähnlich: Wenn Menschen sich einsam fühlen, werden ihre sozialen Bedürfnisse nicht erfüllt. Diese negative Empfindung will man verändern, indem man üblicherweise motiviert ist, nach sozialen Kontakten zu suchen. Einsamkeit kann als Warnung der menschlichen Psyche verstanden werden.

„Wenn es zwischen den gewünschten sozialen Beziehungen und den tatsächlich vorhanden sozialen Beziehungen eine große Differenz gibt, entsteht Einsamkeit“, erklärt Behr dem Auditorium. Und wenn die Bemühungen um soziale Kontakte über einen längeren Zeitraum keinen Erfolg hätten, setzt sich das Gefühl von Einsamkeit fest. Als Folge wird dieser Mangel als unangenehm empfunden. Dabei handelt es sich nicht um Menschen, die ihre Ruhe haben wollen; sie leiden unter ihrer Einsamkeit.

Facetten von Einsamkeit

Menschen brauchen nicht nur die Anwesenheit anderer Menschen, sondern auch ihre Wertschätzung und Vertrauen. Behr erklärt, dass man auch von Personen umgeben sein könne und sich trotzdem einsam fühlen kann. Einsamkeit sei also vielmehr Ausdruck einer niedrigen Qualität der Beziehung als die Anzahl an Kontakten. Statistisch ist belegt, dass davon gerade ältere Menschen signifikant betroffen sind.

Was ist soziale Isolation?

Soziale Isolation bezeichnet die Lebenssituation von Menschen, die keine oder nur wenig sozialen Kontakte haben. Soziale Isolation ist über einem Zeitraum hinweg mess- und zählbar. Außerdem kann man soziale Netzwerke betrachten und festhalten, in welchen Netzwerken sich ein Mensch bewegt oder zugehörig ist. Jemand mit sehr wenigen sozialen Kontakten und mit einer geringen Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken (Vereine, Parteien, Initiativen, Arbeitsumfeld, etc.) ist folglich sozial isoliert. Häufig entsteht das Gefühl von Einsamkeit. Ihnen fällt es schwer, ohne Hilfe aus der Isolation herauszufinden.

„Es gibt aber auch sozial isolierte Personen, die sich nicht einsam fühlen, weil sie mit wenigen sozialen Kontakten, die eine entsprechend hohe Qualität haben, zufrieden sind“, erläutert Behr. Dem entgegen können Menschen mit viele sozialen Kontakte sich trotzdem einsam fühlen. Warum? Das hinge damit zusammen, dass Vertrautheit und Wertschätzung der Sozialkontakte kaum vorhanden sind. So entsteht trotz zahlreicher Kontakte das Gefühl von Einsamkeit.

Einsamkeit hat Folgen für die Gesundheit

Behr informiert ebenso über die Auswirkungen von Einsamkeit auf die psychische und physische Gesundheit. Sinkende Lebenserwartung, körperliche Inaktivität, Risikosteigerung von Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzerkrankungen oder die Veränderung von emotionalen und sozialen Verhaltensweisen beeinträchtigen die Gesundheit. Darüber hinaus wird Einsamkeit als schmerhaft empfunden, Depressionen, Schlafprobleme und Angststörungen häufen sich und das Demenzrisiko steigt und belastet das Wohlbefinden.

Wie kann geholfen werden?

„Sollten sich negative Gedanken und Einstellungen von einsamen Menschen gegenüber Kontakten und gesellschaftlicher Teilhabe verändern, ist dies ein wichtiger erster Schritt“, erklärt Behr. Auch das Training der sozialen Fähigkeiten und die Aufklärung über Ursachen und Folgen von Einsamkeit seien hilfreich. Die Begleitung von SozialarbeiterInnen, Familienmitgliedern, Freunden und Ehrenamtlichen zu Gruppenaktivitäten, um soziale Kontakte zu knüpfen oder aufrechtzuerhalten seien förderlich, um Stigmatisierung und Diskriminierung zu reduzieren. Das Selbstvertrauen wird gestärkt und die Integration in die Gesellschaft würde erleichtert.

Gute Ansätze & Lösungen in Kempen

Weil Einsamkeit viele Gesichter und Gründe hat, gibt es nicht eine, sondern viele Lösungen. Ein Beitrag sei der initiierte Informationstag, weil damit der fachliche Austausch und die Vernetzung aller Beteiligten gefördert würde. Es sei wichtig, über Einsamkeit im Alter zu sprechen und ein guter Start in Kempen. Daher sei die Sensibilisierung der örtlichen Pflegedienste, alle großen Hilfs- und Sozialdienste sowie die niedergelassenen Hausärzte zur Erkennung von vermeintlicher Einsamkeit und Isolation von Menschen ein guter Ansatz für Lösungen in der Thomasstadt.

Kontaktmöglichkeiten im Hagelkreuz

Infostände mit PublikumFür die aktive Teilhabe von SeniorInnen an Aktivitäten im Hagelkreuz ist in den vergangenen Jahren ein Kontakt- und Mitmachangebot entstanden:

  • Das Mitsingkonzert
  • Die freundliche Bank
  • Hagelkreuzbiker Fahrradtouren
  • Familien-Secondhandmarkt
  • Handmade Club
  • Info-Treff Mobile Endgeräte
  • Leihoma und -opa Service
  • Offener Malkreis
  • RepairCafé Wackelkontakt
  • Schmökerbude
  • Senioren in Bewegung
  • Silbernetztelefon
  • Urban Gardening
    sowie
  • Angebote der Kirchen
  • Frühjahrsputz
  • Bürgerfest und Nikolaus, Bürgerverein Kempen Hagelkreuz e.V.
  • Mobiler Einkaufswagen des Malteser Hilfsdienstes

Gern informiert Ingo Behr über die angesprochenen Details und Aspekte zum „Tabuthema Einsamkeit“ in einem persönlichen Gespräch. Kontakttelefon: 0 21 52 / 917 2112. rs