In den frühen 1960er Jahren begann der Psychologe Marshall B. Rosenberg, erste Aspekte für gewaltfreie Kommunikation zu entwickeln. Er hatte die Vorstellung, jeder Mensch ist empathisch und an Austausch interessiert; er ist Begründer der „Gewaltfreien Kommunikation“. Dabei handelt es sich nicht um eine Methode der Gesprächsführung, sondern um eine Lebenshaltung. Die Sozialwissenschaftlerin Jule Hartings führte auf dem Informationstag „Gemeinsam statt einsam“ im März das Kempener Auditorium in das Thema ein.
Kommunikation verbindet: Familie, Freunde oder in der Pflege beschäftigte Menschen
„Sätze wie „Du nervst mich“ oder „Du meldest Dich nie“ zeugen bereits von Geringschätzigkeit und der Angesprochene sieht sich einer festen Meinung, Beurteilung oder Forderung gegenüber oder fühlt sich belehrt“, erklärt Jule Hartings. Kommunikation sei ein relevanter Faktor des menschlichen Zusammenlebens und besonders Menschen, die mit älteren Menschen kommunizieren, sollten sich mit ihren Bedürfnissen auseinandersetzen.
Einfühlungsvermögen – die Fähigkeit und Bereitschaft, Empfindungen, Emotionen, Gedanken, Motive und Persönlichkeitsmerkmale anderen Person zu erkennen, zu verstehen und nachzuempfinden – sei eine Voraussetzung von Kommunikation, so Hartings. Und Menschen würden gerade diese Verbindung zu ihren Mitmenschen suchen.
Subjektive Wahrnehmung beeinflusst
Die Sozialwissenschaftlerin zeigt, dass die individuelle Wahrnehmung nicht von Intelligenz abhängt, sondern von vorgefertigten Einstellungen. Sie vereinfachen den Alltag und reduzieren die Komplexität der ununterbrochenen Informationen, um sie effektiv zu verarbeiten. Allerdings können sie zu unbewussten Verzerrungen, wie Stereotypen und andere unbewusste Denkmuster, die tief in uns verwurzelt sind, führen. Sie beeinflussen also unser Verhalten.
„Selbst Radiologen bemerkten nicht, wenn Tierbilder in Aufnahmen einer menschlichen Lunge montiert waren“, schmunzelt Hartings bei dem Beispiel. Die Schattenseite der unbewussten Wahrnehmungsmuster läge also im Zusammenspiel von Beobachtung, Interpretation und Bewertung. Diese unbewussten Mechanismen laufen wie folgt: Unser Gehirn nimmt gedankliche Abkürzungen, handelt nach Faustregeln und bildet sich eine Meinung. Diese ist aber nicht objektiv, sondern durch unsere Vorerfahrung geprägt.
Sprache des Friedens oder entfremdete Sprache
Rosenberg benutzte zur Visualisierung von Kommunikation Tiermetapher – die Giraffe und den Wolf. Die Giraffe verbindet die Kommunikationstrainerin mit Begriffen wie Ehrlichkeit, Vertrauen, Lebensfreude, Bitte, Humor und Respekt. Der Wolf steht für Drohung, Kritik, Beurteilung, Forderung, feste Meinung und Mittrauern in dieser Verbindung.
Mit fiktiven Satzergänzungen zeigt Hartings, wie beide Tiere ein Gespräch führen. So zum Beispiel mit dem Satz: „Ich sage dir ehrlich und aufrichtig …“ antwortet der Wolf: „…was mit dir nicht stimmt“ und die Giraffe sagt „… wie es mir geht.“ Die Sprache des Wolfes führt eher zur Entfremdung der Gesprächsteilnehmer. Die Giraffe beobachtet und trennt die Bewertung von der Beobachtung und agiert verbindend. Beispiel: Der Wolf bleibt unkonkret und sagt: „Du meldest Dich nie!“ Und die Giraffe spezifiziert und erklärt: „Du hast mir in den vergangen zwei Wochen nur einmal eine Nachricht geschrieben.“
Rosenberg geht davon aus, dass die Form, wie Menschen miteinander kommunizieren, einen erheblichen Einfluss darauf hat, ob sie Empathie für ihr Gegenüber entwickeln und ihre Bedürfnisse erfüllen können. Er half mit seinem Ansatz, die Rassentrennung an Schulen und Institutionen in den USA auf friedvollem Wege rückgängig zu machen. „Die Kommunikation in ihren pflegerelevanten Teilen wird auch wesentlich von Empathie befruchtet“, weiß die Referentin.
Ziel gewaltfreier Kommunikation
Gewaltfreie Kommunikation soll helfen, sich ehrlich und klar auszudrücken und empathisch zuzuhören. Sie ist auf Bedürfnisse und Gefühle gerichtet, die hinter Handlungen und Konflikten stehen. Das Gespräch soll zu Vertrauen und Freude am Leben führen und nicht, andere Menschen zu einem bestimmten Handeln zu bewegen. Vielmehr ist die Entwicklung einer wertschätzenden soziale Beziehung beabsichtigt, die gemeinsame Kreativität im Zusammenleben ermöglicht.
Im Pflegebereich wird das Personal mit körperlichen, emotionalen, physischen und psychischen Belastungen sowie oftmals mit vereinsamten oder alleinstehenden Personen konfrontiert. Für die Unterstützung der Pflegebedürftigen ist der Aufbau einer Beziehung über qualifizierte Kommunikation besonders relevant. Dabei erleichtert eine gewaltfreie Kommunikations- und Beziehungsarbeit den Arbeitsalltag und trägt zu einem möglichst reibungslosen Ablauf in der Pflege bei. /rs
Gern informiert Ingo Behr weiter über das Thema: Telefon: 021 52/ 9172112