Straßen im Hagelkreuz: Die „Dunantstraße“

Porträtfoto Henry Dunant
Visionär Henry Dunant

Eine der Straßen im Hagelkreuz heißt „Dunantstraße“. Der Namensgeber der Straße war Henry Dunant. In Kempen sagen die meisten „Dunant“ und sprechen es so aus, wie man es schreibt. Aber eigentlich heißt es „Düno“. Und das „o“ wird durch die Nase gesprochen.

Aber: Wer war denn dieser Henry Dunant?

Eltern, Ausbildung, Beruf und Berufung

Henry Dunant wurde am 8. Mai 1828 in Genf als Jean-Henri als Sohn einer frommen calvinistischen Familie geboren. Die wohltätigen Aktivitäten der Eltern schlugen sich in der Erziehung ihrer Kinder nieder: Soziale Verantwortung wurde Henry Dunant, seinen beiden Schwestern und beiden Brüdern schon in jungen Jahren nahegelegt. Prägend war für Henry Dunant eine Reise mit seinem Vater nach Toulon, dort musste er die Qualen von Galeerenhäftlingen mitansehen. Über seine Kindheit ist ansonsten in seinen eigenen Lebenserinnerungen wenig überliefert. Aufgrund schlechter Noten verließ Henry Dunant das Collège Calvin vorzeitig und begann 1849 eine dreijährige Lehre bei den Geldwechslern Lullin und Sautter. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung blieb Dunant als Angestellter in der Bank tätig.

Am Abend des 24. Juni 1859 kam Dunant nach dem Ende einer Schlacht zwischen den Truppen Sardinien-Piemonts und Frankreichs unter der Führung Napoleons III. auf der einen Seite und der Armee Österreichs auf der anderen Seite am Schlachtfeld in der Nähe Solferinos vorbei. Noch immer lagen etwa 38.000 Verwundete, Sterbende und Tote auf dem Schlachtfeld, ohne dass ihnen jemand Hilfe leistete. Zutiefst erschüttert davon, was er sah, organisierte er spontan mit Freiwilligen aus der örtlichen Zivilbevölkerung, hauptsächlich Frauen und Mädchen, die notdürftige Versorgung der verwundeten und kranken Soldaten. In der Kleinstadt Castiglione delle Stiviere in unmittelbarer Nähe zu Solferino richtete er mit anderen Helfern in der Chiesa Maggiore, der größten Kirche des Ortes, ein Behelfshospital ein. Hier wurden etwa 500 der insgesamt etwa 8.000 bis 10.000 Verwundeten versorgt, die nach Castiglione gebracht worden waren.

Er schrieb ein Buch „Eine Erinnerung an Solferino“ über seine Erlebnisse, das er 1862 auf eigene Kosten herausgab und in Europa verteilte.

Gründung des Internationalen Komitee vom Roten Kreuz

Der Präsident der Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft, der Jurist Gustave Moynier, machte das Buch und Dunants Ideen zum Thema der Mitgliederversammlung der Gesellschaft am 9. Februar 1863. Dunants Vorschläge wurden geprüft und von den Mitgliedern als sinnvoll und durchführbar bewertet. Dunant selbst wurde zum Mitglied einer Kommission ernannt, der außer ihm noch Gustave Moynier, der General Guillaume-Henri Dufour sowie die Ärzte Louis Appia und Théodore Maunoir angehörten. Während der ersten Tagung am 17. Februar 1863 beschlossen die fünf Mitglieder, die Kommission in eine ständige Einrichtung umzuwandeln. Dieser Tag gilt damit als Gründungsdatum des Internationalen Komitees der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege, das seit 1876 den Namen Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) trägt. Dufour wurde zum ersten Präsidenten ernannt, Moynier wurde Vizepräsident und Dunant Sekretär des Komitees.

Absturz und „Wiederentdeckung“

Henry Dunant hatte 1865 bis 1867 große geschäftliche Probleme und wurde aus der Genfer Gesellschaft ausgeschlossen. Er lebte über dreißig Jahre in unter anderem in Paris,  Stuttgart, Rom, Korfu, Basel und Karlsruhe und Heiden. Nur wenige Details zu seinem Leben sind aus dieser Zeit bekannt. Vor dem völligen Absturz bewahrten ihn die finanzielle Unterstützung von Freunden sowie gelegentliche Tätigkeiten, mit denen ihm Bekannte und Gönner einen kleinen Verdienst ermöglichten.

Ab 1895 wurde er durch diverse Zeitungsartikel wiederentdeckt. Unter anderem wurde er von Papst Leo XIII geehrte und erhielt der Zarenwitwe eine jährliche Rente. Er schrieb wieder Artikel und war von vom Wirken Bertha von Suttners und Florence Nightingales beeindruckt und gelangte zu der Überzeugung, dass Frauen bei der Verwirklichung eines dauerhaften Friedens eine sehr viel grössere Rolle spielen würden als Männer. Eigennutz, Militarismus und Brutalität sah er in diesem Zusammenhang als typisch männliche Prinzipien, während er den Frauen Nächstenliebe, Einfühlungsvermögen und das Streben nach einer gewaltfreien Konfliktlösung zusprach. Basierend auf dieser Sichtweise setzte er sich auch verstärkt für die Gleichberechtigung der Frauen ein. 

1. Friedensnobelpreisträger

Aber er gilt als Begründer der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung. Am 10. Dezember 1901 erhielt er für seine Lebensleistung zusammen mit dem Pazifisten Frédéric Passy den ersten Friedensnobelpreis.

Neben einigen anderen Ehrungen, die ihm in den folgenden Jahren noch zuteilwurden, erhielt Dunant 1903 zusammen mit Gustave Moynier die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. Er lebte bis zu seinem Tod weiter im Spital in Heiden. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er zunehmend in Depressionen sowie der Angst vor Verfolgung durch seine Gläubiger und seinen Widersacher Moynier. Es gab Tage, an denen der Koch des Spitals die Speisen für Dunant vor dessen Augen vorkosten musste. Obwohl er sich selbst noch mit dem christlichen Glauben verbunden sah, hatte er sich sowohl vom Calvinismus wie von jeder anderen Form organisierter Religion losgesagt und verachtete in seinen letzten Lebensjahren jegliche religiösen Institutionen. Er starb am 30. Oktober 1910. Heute befindet sich ein Museum zu seinem Gedenken in dem ehemaligen Spital. Drei Tage später wurde er unauffällig und ohne Trauerfeier auf dem Friedhof Sihlfeld in der Stadt Zürich bestattet. Nur wenige Menschen waren bei dem Begräbnis anwesend.

Der Visionär

Die Tatsache, dass fast alle Ideen Henry Dunants im Laufe der Zeit realisiert wurden und zum großen Teil noch heute relevant sind, zeigt, dass er mit vielen seiner Visionen seiner Zeit voraus war. Dies gilt neben der Begründung der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung und der Ausweitung der Aktivitäten des Internationalen Komitees auf die Kriegsgefangenen unter anderem auch für den Weltbund des Christlichen Vereins junger Männer, für die Gründung des Staates Israel, für die Schaffung einer Organisation zur Pflege des kulturellen Erbes der Menschheit in Form der UNESCO sowie für seinen Einsatz für die Befreiung der Sklaven in Nordamerika und für die rechtliche Gleichstellung der Frauen.

Resümee

Bei der Bewertung seiner Verdienste um die Gründung des Roten Kreuzes ist jedoch auch die Rolle seines Widersachers Gustave Moynier zu berücksichtigen. Dunant hatte durch sein Buch, sein charismatisches Auftreten und seine Aktivitäten im Vorfeld der Genfer Konferenz von 1863 zweifelsohne entscheidenden Anteil am Zustandekommen des Internationalen Komitees und der Genfer Konvention. In der Entstehungsgeschichte des Roten Kreuzes war er damit der Idealist, ohne dessen Ideen die historische Entwicklung nach der Schlacht von Solferino höchstwahrscheinlich einen anderen Verlauf genommen hätte. Erst seine zufällige Anwesenheit am Ort einer kriegerischen Auseinandersetzung wie viele andere der damaligen Zeit, die Verarbeitung seiner Erlebnisse in einem Buch und die darin durch ihn entwickelten Vorschläge gaben dem Ort Solferino und dem Jahr 1859 ihren heutigen Platz in der Geschichte. Auf der anderen Seite wäre dieser Erfolg kaum möglich gewesen ohne das pragmatische Wirken Moyniers, der zudem wesentlich für die Weiterentwicklung des Komitees nach seiner Gründung und die Ausweitung der Rotkreuz-Bewegung und ihrer Aktivitäten verantwortlich war.

Die Leistungen Henry Dunants wurden und werden bis in die Gegenwart in vielfältiger Weise gewürdigt. Herausragend aus der Vielzahl der Ehrungen, die ihm insbesondere in den letzten 15 Jahren seines Lebens verliehen wurden, ist dabei der Friedensnobelpreis. Sein Geburtstag, der 8. Mai, wird von der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung jährlich ihm zu Ehren als Weltrotkreuz- und Rothalbmond-Tag begangen. Am 29. Oktober, dem Tag vor seinem Todestag, erinnert die Evangelische Kirche in Deutschland mit einem Gedenktag im Evangelischen Namenkalender an ihn. Die alle zwei Jahre von der Ständigen Kommission der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung verliehene Henry-Dunant-Medaille ist die höchste Auszeichnung der Bewegung. pw

(Fotos: Wikipedia)