Noch nie haben so viele Investoren Pflegeheime gekauft wie heute. Gerade für ausländische Geldgeber sind sie verlässliche Investments. Leidet die Pflege darunter?
Sollen private Pflege-Anbieter Gewinne machen und wenn ja, wie hoch dürfen diese ausfallen? Diese Fragen werden zurzeit kontrovers diskutiert. Pflege sei Daseinsvorsorge und keine Rendite Garantie, so lässt sich die Kritik an den Gewinnen zugespitzt zusammenfassen. Schließlich müssten die Gewinne der Anbieter durch die soziale Pflegeversicherung und die Eigenbeiträge der Pflegebedürftigen finanziert werden. Das Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) ist die klare Antwort, nur Private Investoren garantieren indirekt die Pflege – Privat vor Staat – Die Pflegekassen sind für die Pflege allein zuständig. Die Politiker haben sich der sozialen Pflicht entledigt. In den öffentlichen Debatten zeigen die Minister für die Bürger wortreich ihren guten Willen. Kurieren an Symptomen, Verbesserungen werden durch die Versicherten vorab finanziert. Die Betreiber werden, wenn überhaupt, ordnungsrechtlich nicht wirtschaftlich kontrolliert.
Qualität bleibt die Einschätzung der Betreiber
Waren bei Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes 1994 25 Prozent der Einrichtungen von privaten Trägern, sind es 2018 über 52 Prozent mit wachsender Tendenz. Oft ist der private internationale Großinvestor nicht erkennbar. Wer weiss, dass der größte Privatinvestor die französiche Korian Gruppe (Curanum AG) in Oberhausen eine Einrichtung betreibt, wie auch der französische Eigentümer Chequers Captial mit Emvia Living GmbH, noch die Nummer 12 in der Rangliste der 30 größten Betreiber. Nummer zwei, die Alloheimgruppe mit Sitz in Düsseldorf, betreibt in Mülheim derzeit zwei Einrichtungen. Am Beispiel Alloheim soll aufgezeigt werden, es geht nicht um eine gute Pflege oder Versorgung, Rendite steht im Vordergrund.
Bis zum Jahr 2008 war Alloheim ein kleines Unternehmen mit 13 Altenheimen. Dann entdeckt der britische Privat.Equity-Investor Star Capital die Firma, er sieht im deutschen Pflegemarkt eine attraktive Investmentmöglichkeit. Heute geht es nicht mehr nur um Altenpflege, es geht ums Wachstum im gesamten Pflegemarkt. Star Capital kaufte weitere Heime, ambulante Dienste und Zweckbetriebe auf.
Nach fünf Jahren verkauften die Londoner die Alloheim Kette mit 49 Häusern für 180 Millionen Euro an die New Yorker Beteiligungsgesellschaft Carlyle. Auch die zielte auf Expansion und baute Alloheim zu einem Pflegekonzern mit mehr als 160 Häusern aus. Ende 2017 streichen die New Yorker durch den Verkauf von Alloheim an den schwedischen Investor Nordic Capital 1,1 Milliarden Euro ein. Inzwischen ist Alloheim nicht mehr eine kleine GmbH, sondern eine europäische Aktiengesellschaft (SE). Und mit künftig mehr als 223 Einrichtungen der zweitgrößte Alten- und Pflegeheimbetreiber in Deutschland.
Der Fall Alloheim zeigt: Finanzinvestoren haben Alten- und Pflegeheime als Investment entdeckt. Noch nie mischten in Deutschland so viele Finanzinvestoren in der Branche mit wie in diesem Jahr. Laut einer Branchenuntersuchung der Unternehmensberatung E&Y sind acht der zehn größten Träger mittlerweile in privater Hand. Es ist eine Entwicklung, die nicht nur von Altenpflegerinnen, Mitarbeitern in den Heimen und Bürgern kritisch gesehen wird. Die hohen Renditeerwartungen in der Pflege von 4,7 bis 18,0 Prozent bringen uns keine gute pflegerische Versorgung. Dank der schleppenden Bundes-Politik und der fehlenden kommunalen Planung stationär und ambulant ist die Pflege tatsächlich bedroht.
Warum sind Pflegeheime so interessant für die Finanzbranche?
Zum einen ist das Risiko überschaubar: Kann ein Bewohner die Unterbringungskosten nicht mehr zahlen, springt die Sozialhilfe ein, am Ende also der Steuerzahler. Zum anderen sind die Perspektiven attraktiv: In der Pflege werden rund 50 Milliarden Euro pro Jahr umgesetzt, bis 2030 könnten es auch wegen des demografischen Wandels auch 85 bis 90 Milliarden Euro sein, prognostiziert die Unternehmensberatung ( (Rolan Berger).
Hinzu kommt, dass es noch genügend Möglichkeiten zum Wachsen gibt, weil der Markt stark fragmentiert ist. Besonders die vielen mittelständischen Pflegeheimgruppen sind beliebte Übernahmekandidaten. Selbst die größten Betreiber machen nur jeweils wenige Prozente des Gesamtmarktes aus. Derzeit seien vor allem Private Equity Unternehmen sowie börsennotierte Pflegekonzerne wie Korian aus Frankreich auf Wachstumskurs.
Der französische Pflegekonzern Korian ist mit über 250 Alten und Pflegeheime, 52 Einrichtungen für Betreutes Wohnen und 28 Ambulanten Diensten der Marktführer in Deutschland. In den Einrichtungen werden derzeit rund 30.000 Pflegebedürftige betreut.
Hinter dem Unternehmen stecken unter anderem französische Versicherungen und ein kanadischer Rentenfonds. Durch diverse Übernahmen unter anderem erwarb Korian 2016 den Pflegeheimbetreiber Casa Reha von der Beteiligungsgesellschaft HG Capital sowie die Pflegeunternehmen Phönix und Curanum hat der gesamte Konzern seinen Umsatz binnen zehn Jahren auf rund 3,1 Milliarden Euro versechsfacht. 2021 sollen es 3,8 Milliarden sein. Nach eigenen Angaben erwirtschaftete Korian im Jahr 2017 knapp 900 Millionen Euro allein in Deutschland.
Selten bliebe es bei einer Übernahme, meist wurden ganze Gruppen hinzugekauft. Denn wer im Besitz von sehr vielen Heimen ist, hat einen Wettbewerbsvorteil. Man kann die Kostenstrukturen optimieren und das operative Geschäft effizienter gestalten. Und weil der Pflegemarkt so kleinteilig ist, kann das Geschäft von Kaufen, Profitabel machen und Weiterverkaufen ( buy and build), wie es in der Branche heißt lange funktionieren. Der Kauf wird für 5 bis 10 Jahren durch die Finanzinvestoren mit einem entsprechenden Darlehen auf die Einrichtung getätigt. Das Ausfallrisiko ist gering. Die Bewohner zahlen mit den anerkannten Investitionskosten, Zins, Tilgung und Abschreibung. Die notwendige Substanzerthaltung der Einrichtung wird vernachlässigt oder ganz unterlassen.
Aber auch wenn die Perspektiven der Branche positiv sind: Wie macht ein Heimbetreiber Gewinn?
Die Betreiber können keine extrem hohen Preise verlangen, denn die Nachfrage nach Luxusheimen, in denen der monatliche Apartmentpreis auch mehrere Tausend Euro betragen kann, ist begrenzt. Zugleich herrscht heute ein harter Wettbewerb. Es gibt keine Mindestpflegepersonalschlüssel wie ab dem 1.1.19 in Krankenhäusern. Die Einrichtungspreise scheinen Marktpreise zu sein. Doch Preis und Leistung werden von den Betreibern und Pflegekassen zu Lasten der Pflegebedürftigen geschlossen, ohne dass Bewohner einen Einblick in die Verhandlungsergebnisse erhalten. Eine begründete Leistungskürzung ist fast unmöglich. Die kommunalen WTG-Aufsichten (früherer Heimaufsicht) gehen den Anlassprüfungen nach. Die Beschwerdeführer erhalten keine detaillierte Information, werden vertröstet, erkennen, wenn überhaupt nur eine kurzfristige Besserung.
Solange der Verbraucherschutz nicht ausgebaut wird, ein Verbandsklagerecht nicht eingeführt wird, bleibt das Credo weiterhin: Gewinn um jeden Preis
Heute sparen die Privaten, weil sie keine Tariflöhne zahlen. Die mögliche Einführung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages ist eine Absichtserklärung für die nächste Bundestagsperiode. Sollte sich die Wohlfahrtsbehörden für einen Verband durchringen, wäre die Möglichkeit gegeben, doch wer prüft und setzt die notwendige Bezahlung durch.
Staat und Politik hatten sich mit Einführung der Pflegeversicherung vor 23 Jahren der Fürsorgepflicht gegenüber Pflegebedürftige und Pflegenden entledigt.
„Die Ausführungen der Bundesregierung sind ein klares Bekenntnis zu unternehmerischer Freiheit und fairem Wettbewerb in der Pflege.“ So kommentiert Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa), die kürzlich veröffentlichte Antwort auf eine an die Bundesregierung gerichtete Kleine Anfrage von Nicole Westig MdB (FDP) zu den marktwirtschaftlichen Strukturen in der Altenpflege. „Eindrücklich wird darauf hingewiesen, dass private Anbieter nicht nur für einen funktionierenden Wettbewerb von Bedeutung sind, sondern auch einen entscheidenden Beitrag liefern, um die erforderlichen Investitionen in Pflegeheime und -angebote stemmen können“, zitiert Meurer aus der Drucksache 19/8924 des Deutschen Bundestages. „Ohne uns wäre heute der Versorgungsmangel noch gravierender“, so Meurer. Diese Sicht der Privaten Betreiber uns Investoren sind nachvollziehbar. Gesundheitsminister Spahn verkündet Verbesserungen in der Pflege, die allein die Pflichtversicherten aufbringen müssen.
Ab Herbst 2019 sollten neue Qualitätskriterien in Heimen gelten, verschoben auf April 2021. Die Kriterien wurden von den Betreibern aufgestellt, es bleibt bei einer Selbsteinschätzung. Wichtige Fragen für die Zufriedenheit der Bewohner werden nicht abgefragt, freiwillig kann die Interessenvertretung Bewohnerbeirat genannt werden.
Am Ende müssen wir die Frage beantworten: In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?Wir sollten nicht abwarten, dass 80 Prozent der Einrichtungen durch Private Betreiber gestellt werden und der Staat erpresst wird. Wollen wir englische Verhältnisse bewusst eingehen?
Wollen wir wirklich die Pflege und Sorge der uns anvertrauten alten, kranken und sterbenden Menschen finanziellen Kalküls überlassen, welche sie ausschließlich als Renditeobjekte im Fokus hat? An der Ausrichtung der Wohlfahrtspolitik – eben auch bezogen auf die ältere Generation – zeigt sich ein Kern der Humanität in unserer Gesellschaft. Es bedarf einer dringenden Umkehr, hin zu einer sozialen, demokratischen Wohlfahrts- und Altenpolitik.
Dabei muss dieser Begriff parteienübergreifend verstanden werden. Wo bleibt der Sozialstaatsgedanke.
Bereiten wir uns auf die Zeit nach Corona vor. Stärken wir die Interessenvertretung. Angehörige, Seniorenbeiräte lassen sich in Bewohnerbeiräte wählen!
Die Demokratie wird unbemerkt ausgehöhlt. Bereits in 3 Ländern, Brandenburg, Hamburg und NRW sind Ombudspersonen gesetzlich vorgesehen. Die Verwaltung setzt von Ihnen geschulte Beauftragte als Ansprechpartner, Vermittler ein. Demokratie lebt vom Engagement der Bürger.
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