Hat die Politik geschlafen bei der extremen Überschwemmungen in Deutschland?
Ein Krisenszenario mit extremen Überschwemmungen im Bundesgebiet hat die Bundesregierung bereits von Experten durchspielen lassen. Doch aus dem Strategiepapier haben Zuständige zu wenig gelernt.
Vermisste und Tote, überflutete Häuser und gebrochene Dämme. Der Starkregen hält Teile Deutschlands fest im Griff und sorgt vielerorts für extreme Überschwemmungen. Was sich liest wie eine Zusammenfassung der dramatischen Szenen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, findet sich bereits in dem Strategiepapier Risikoanalyse Bevölkerungsschutz Bund. Die Bundestagsdrucksache 17/12051, das die Bundesregierung vor acht Jahren dem Bundestag präsentierte. Sie ließ darin von Experten mögliche Umweltkatastrophen simulieren und durchspielen, wie das Land darauf am besten reagieren sollte. Darin: Das Krisenszenario eines Hochwassers ausgelöst durch Schmelzwasser aus den Mittelgebirgen, gepaart mit starken Regenfällen. Es liest sich erschreckend aktuell-zumal, wenn man bedenkt, dass womöglich manch ein Schaden hätte verhindert werden können, wenn einige Empfehlungen zügiger umgesetzt worden wären.
Hochwasser sind immer wieder eine Bedrohung in Deutschland und dem angrenzenden Ausland regnet es regelmäßig, zudem ist die Region durch viele kleine Flüsse und Mittelgebirge mit steilen Hängen durchzogen. Das macht unterschiedliche Arten des Hochwassers möglich. Flusshochwasser treten im Sommer demnach natürlicherweise durch eine lang anhaltende, feuchte Witterung auf, sodass sich andauernde Regengüsse über große Flächen ergießen. Und genau dies heben die Autoren in der Untersuchung hervor: Hochwasser seien Naturereignisse und können daher einfach nicht verhindert werden. Es gibt keinen 100-prozentigen Hochwasserschutz, heißt es in dem Papier. Einiges lernen lässt sich daraus dennoch. Die Autoren listen im rund 30-seitigen Bericht mögliche Folgen aus einer Überschwemmungskatastrophe auf.
Die Sachverständigen gehen in ihrer Risikoanalyse von einem langwierigen Hochwasser aus, das gleichzeitig in den Flüssen Donau, Rhein, Ems, Weser, Elbe und Oder sowie in den Nebenflüsse auftritt. Mit verheerenden Folgen: Das zusätzliche Wasser überschwemmt angrenzende Flächen. Deiche und Spundwände werden vielfach überflutet und zum Teil beschädigt. Es sei mit Toten und Verletzten zu rechnen.
Krisenmanagement in Deutschland
Der Hochwasserschutz basiert in Deutschland auf einem 3-Säulen-Konzept. Neben der Vorsorge, wozu etwa die Verhaltensvorsorge gehört, spielt der technische Hochwasserschutz, also der Bau von Deichen, Mauern, Talsperren sowie die Stärkung des natürlichen Wasserrückhaltes eine wichtige Rolle. Dabei werden gezielt Freiflächen eingesetzt, die überschwemmt werden können. Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2007 hat zudem die Risikobewertung sowie die Erstellung von Karten und Managementplänen für Hochwasser erleichtert. Trotzdem gebe es noch Nachholbedarf beim Hochwasserrisikomanagement, heißt es im Bericht.
Im Bericht stehen konkret
° die Verbesserung der Risikokommunikation und eine Stärkung der privaten Eigenvorsorge.
° die Verbesserung des Schaden-Monitorings und der Schadensanalyse.
° die Unterstützung der Entscheidungsfindung auf kommunaler Ebene.
Das habe man zum Teil erreicht, sagt Benno Fritzen, ehemaliger Vorsitzender des Arbeitskreises Zivil- und Katastrophenschutz der deutschen Berufsfeuerwehren und bis 2017 Chef der Feuerwehr Münster. Hochwassergefahren- und Hochwasserrisikokarten seien beispielsweise erstellt worden. Aber es scheitere bis jetzt an der Risikokommunikation mit der Bevölkerung. Politiker müssen der Bevölkerung vermitteln, welche Risiken bestehen, wie sie sich darauf vorbereiten und was sie selbst tun können. Es reicht schließlich nicht, eine Warnung herauszugeben, wenn die Menschen nicht wissen, was dann zu tun ist. Die Bevölkerung sei zu schlecht informiert, so der Eindruck der Bürger.
Und das gilt vor allem dort, so zeigt sich nun auch an kleineren Flüssen und Bächen, wo sich die Menschen des Risikos eines Hochwassers kaum bewusst sind. Wir sind auf heftige Ereignisse vorbereitet, die Feuerwehr, jedoch ein Starkregen wie der aktuelle eintritt, überschreitet das die Möglichkeiten der lokalen Einsatzkräfte. Dann wird eine überörtliche Unterstützung und Koordination überwiegend gut funktioniere,hakte es aber noch zu oft bei länderübergreifenden Ereignissen und Maßnahmen. Eine solche bundesweite Einsatzleitung gibt es leider nicht. Das ist ein großer Mangel.
Es bleibt nicht folgenlos
Im Krisenszenario ist das Leben der Bevölkerung direkt betroffen
° durch Schäden an Wohngebäuden, wobei nicht alle die Kosten des Wiederaufbaus selbst tragen können
° durch lang anhaltende, großflächige Stromausfälle, da einige Kraftwerke heruntergefahren werden müssten. Andere könnten nicht mehr über den Landweg mit Brennstoffen versorgt werden. Dies könne aber zum Teil durch das europaweite Verbundnetz aufgefangen werden.
° durch lokale Stromausfälle oder das Eindringen von Wasser in Infrastrukturen, wodurch es kurzfristig zu Ausfällen im Telefonnetz kommen könne
° durch Verkehrseinschränkungen an Flughäfen, Häfen, über die Schiene und Straße
Auch, wenn das Krisenszenario stark an die aktuelle Situation erinnert, der entscheidende Faktor dort ist ein anderer: Riesige Schneehöhen, ausgelöst durch eine lange Kälteperiode treffen auf Tauwetter, Kombiniert mit warmer Luft und starkem Regen, kommt es zu einer massiven Schneeschmelze. Doch auch tiefer gelegene Gebiete können das zusätzliche Wasser nicht aufnehmen, es hat bereits viel geregnet und der Boden ist gesättigt. Ganz anders dagegen ist die Situation jetzt: Lange andauernder Starkregen hat die aktuellen Überschwemmungen ausgelöst. Auch wenn die Wassermassen über hundert Tote forderten, Häuser und ganze Staudämme unter sich begruben, dürfte sich die aktuelle Situation deutlich schneller bessern als im Krisenszenario. Dort treten erhöhte Wasserpegel über einen zweimonatigen Zeitraum auf.
Folgen für die Wirtschaft
Im Krisenszenario prognostizieren die Autoren extreme Schäden für die deutsche Wirtschaft. Die entstandenen Kosten würden für die öffentliche Hand einen so, großen überregionalen bis bundesweiten Umfang erreichen, dass der Bund kurz-bis mittelfristig begrenzte Finanzmittel zur Verfügung stellen müsste. Demzufolge müsste ein Nachtragshaushalt auf Bundesebene verabschiedet werden. Zudem könnte ein EU-Hilfsprogramm in Anspruch genommen werden.
Betroffene Unternehmen könnten die entstandenen Kosten nicht aus eigener Kraft tragen und hätten mittel-bis längerfristigen Umsatzausfälle zu erwarten. Viele Firmen wären dann von der Insolvenz bedroht oder wären bereits insolvent. Auch überregionale Lieferketten wären gefährdet, es drohe eine Rezession, Insgesamt seien bis zu 400.000 Haushalte betroffen. Rund ein Prozent der 41,5 Millionen Haushalte in Deutschland (Stand 2020) litten also unter den volkswirtschaftlichen Folgen.
Konkret rechnen die Autoren für die private Wirtschaft mit Engpässen
° durch Schäden an Betriebsstätten
° durch wirtschaftliche Einbußen bei der wirtschaftlichen Leistung
° im Tourismus. Weniger Menschen würden in betroffene Gebiete reisen
Der Handlungsbedarf
Deiche werden, auch in Deutschland, seit 1000 Jahren gebaut. Der Einsatz zur Freihaltung von Überschwemmungsflächen war schon in den Preußischen Gesetzen von 1905 festgelegt. Trotzdem verdeutlichen zahlreiche Hochwasserereignisse, dass die Maßnahmen immer wieder angepasst werden müssen, je mehr Menschen in bestimmten Regionen leben und je mehr sich auch die dortige Industrie verändert. Starkregen sei im Vergleich zu Hochwasser ein neueres Phänomen. Aktuell wird aber erforscht, welche Folgen er für Deutschland habe und wie auch der Katastrophenschutz darauf besser reagieren kann. Diesen Erkenntnissen müssten dann aber Taten folgen, etwa Investitionen an der richtigen Stelle oder Schulungen, um eingespielte Prozesse neu auszurichten.
Die Politik kann Krise nicht
Wenn es ernst wird, wirken die Kanzlerkandidaten ungelenk und überfordert. Das sind keine guten Voraussetzungen für das Kanzleramt.
Wenn Politiker*innen in Katastrophengebieten auftreten, ist das immer zwiespältig. Sie betreiben, was sonst, immer auch Imagepflege. Sie können Tatkraft ausstrahlen. Endlich gibt es mal andere Bilder als bloß Autotüren, die sich öffnen. Könnte man auf diese Inszenierung nicht also verzichten? Nein, kann man nicht. Wenn Kleinstädte unter Schlamm verschwinden und Existenzen vernichtet werden, müssen der Bundespräsident, die Kanzlerin und die Ministerpräsident*innen sowieso vor Ort sein. Eine dürre Erklärung aus dem Homeoffice würde zu Recht als Zeichen der Geringschätzung verstanden, ist doch nicht so wichtig.
Krisen sind wie ein Lackmustest, Politiker*innen können dabei viel gewinnen. Hannelore Kraft galt auch wegen ihres unprätentiösen, empathischen Auftritts bei der Loveparade-Katastrophe in Duisburg 2010 lange als fähige Ministerpräsidentin.
Olaf Scholz Kanzlerkandidat der SPD ließ sich nur knapp blicken und kündigte Hilfen an. Scholz Währung in der Krise ist Geld. Gefühle hätte man ihm sowieso nicht geglaubt. Robert Habeck und Annalena Baerbock verzichtete darauf, Katastrophe und Klima zu verkoppeln. Alle Vernünftigen wissen dies selbst. Es als Grüne zu betonen, hätte wie Krisengewinnlerei ausgesehen.
Nur Armin Laschet macht mit untrüglichem Gespür alles falsch. In einem konfrontativ geführten WDR-Interview ließ er sich zu dem Satz verleiten, man könne ja wegen eines Tages, nicht die Politik ändern. Am Samstag kicherte er im Hintergrund während Frank-Walter Steinmeier eine, angesichts von mehr als 178 Toten, angemessen gravitätische Rede hielt. Mal einen schlechten Moment bei einem Interview, mal ein Lacher zur falschen Zeit, das kann passieren. Merkel, sind in 16 Jahren solche Fehler allerdings nie unterlaufen.
Bei Laschet häufen sie sich. Nur deshalb entfalten sie eine so gewaltige Wirkung. Sie sind keine dummen Zufälle, sondern bekräftigen ein Bild von ihm. Er ist der Mann, der schon in der Coronakrise mit den Armen fuchtelnd in Talkshows saß, und anstatt Souveränität auszustrahlen entfesselt nervös wirkte.
Manchmal aber sind diese Bilder der Krisenauftritte von Politiker*innen doch sprechend. Armin Laschet, Olaf Scholz, Annalena Baerbock beherschen die Codes der Krisenkommunikation nicht. Sie wirken in der Krise beängstigend überfordert. Will man wirklich einem im Kanzleramt der schon in einer Hochwasserkrise überfordert ist?