So unglaublich, dass man das in unserem Land einfach nicht wahrhaben will; „Normalverdiener der Alpenländer“ erhalten höhere Renten!
Rentenfachleute der Bundesregierung waren auf das Nachbarland aufmerksam geworden, nachdem die Hans-Böckler-Stiftung Anfang 2016 eine Studie über vorbildliche Rentensystem in Österreich veröffentlicht hatte. Dabei ist der Blick über den Grenzzaun keineswegs so neu. Schon seit vielen Jahren findet das sogenannte Schweizer Modell, viel Anerkennung in den Konzepten deutscher Rentenkritiker. Es steht für mehr sozialen Ausgleich und Heranziehung sämtlicher Einkünfte für die Rente. ´Dass´ also die wohlhabenden Bürger ihren Alten ein hohes Einkommen sichern, daran hatte man sich in Fachkreisen gewöhnt, aber in Österreich?
Zunächst wurde weiter beharrlich weggeschaut.
Die Kollegen aus dem Bundestagsfachausschuss Arbeit und Soziales, die von der Partei der Linken zu eine Reise nach Österreich eingeladen wurden, zeigten kein Interesse. So trafen sich die Partei der Linken zwei Tage lang mit Vertretern der Regierung, der Opposition, den Gewerkschaften, den Verbraucherschützern, den Vertretern der Pensionisten (wie dort die Rentner genannt werden), mit Arbeitgebervertretern, Wirtschaftsforschern und Funktionären der Sozialversicherungen. Ergebnis: Die hielten ihr eigenes Rentenniveau keineswegs für üppig, waren hingegen erschüttert über das, was die Partei der Linken aus Deutschland zu berichten wussten. An der Versorgung der Pensionisten (Rentnern) will niemand rütteln und das halten auch alle Gruppen für nachhaltig finanzierbar. Das demografische Krisenszenario, dass wir hier so gerne aufmachen, gibt es in Österreich offenbar nicht. Die Arbeitgebervertreter geben auch dort zu bedenken, dass das System relativ teuer sei und die hohen Lohnnebenkosten die Schaffung von Arbeitsplätzen behindere.
Was ist nun das Besondere am österreichischen Rentensystem?
Es wird geprägt von der Formel 45-65.80: Nach 45 Jahren Arbeit soll der Pensionist im Alter von 65 Jahren in Ruhestand gehen und dann eine Rente in Höhe von 80 Prozent seines Lebensdurchschnittsverdienstes bekommen. Das scheint im Wesentlichen zu klappen: Die OECD bescheinigte Österreich 2016, dass ein Durchschnittsverdiener dort im Alter mit einer Lohnersatzrate von 78 Prozent rechnen kann. In Deutschland sind es dagegen gerade mal 37,5 Prozent.
Finanziert wird das zunächst mit höheren Beiträgen.
22,8 Prozent sind für die Rente aufzubringen, also derzeit 4,1 Prozentpunkte mehr als in Deutschland. Aufgeteilt aber nicht etwa halbe-halbe zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sondern zu 12,5 Prozent durch den Betrieb und zu 10,25 Prozent durch den Beschäftigten. In Österreich zahlt der Arbeitgeber also deutlich mehr. Die Einnahmebasis ist zudem breiter als bei uns, denn die Erwerbstätigenversicherung gibt es in Österreich bereits. Seit 2005 werden auch schrittweise die Beamten in das System integriert. Zudem steht der Staat bedingungslos für Lücken in der Rentenkasse gerade. Was am Jahresende fehlt, gleicht der Finanzminister mit einem Scheck aus und fertig. Das kostet aktuell rund 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Vergleich: In Deutschland sind es einschließlich der Beamtenversorgung gerade mal 10 Prozent.
Einen entscheidenden Vorteil hat das österreichische Rentensystem für Kleinverdiener: Wer trotz der höheren Lohnersatzrate keine ausreichende Rente erzielt, ganz gleich, ob er früher zu schlecht verdient hat oder zu wenige Jahre versicherungspflichtig gearbeitet hat, der wird auf Staatskosten aufgestockt und erhält eine Mindestrente. Für Einzelpersonen beträgt sie bezogen auf zwölf Monatsrenten (dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil in Österreich pro Jahr 14 Renten ausgezahlt werden) 1038 Euro, für Paare 1556,53 Euro. Die Empfänger müssen dazu ihre gesamten Einkommen offenlegen. Die Mindestrente bekommt also nur, wer tatsächlich über weniger Einkommen verfügt. Er bekommt sie allerdings auch, wenn er nur wenig gearbeitet hat. Vereinfacht ausgedrückt: Ein Cent Rentenanspruch reicht. Die etwas höhere Mindestrente plus, von derzeit 1167 Euro, bezogen auf zwölf Monatsrenten, bekommt als Single hingegen, wer mindestens 30 Versicherungsjahre aufweisen kann. In der Praxis erhalten die Empfänger der Mindestrente plus monatlich immer 1000,00 Euro, aber an zwei Monaten des Jahres eben noch mal 1000,00 Euro extra, quasi ein Urlaubsgeld und ein Weihnachtsgeld.
Die Lebensstandardsicherung und die Armutsvermeidung sind damit ´zentrale´ Bestandteil des österreichischen Pensionssystems. Und das lohnt sich für die Gesellschaft. Wenn man sich in einem Land wie Deutschland immer Sorgen macht um die Rente, dann wird allein durch das Sorgenmachen das Wirtschaftswachstum gedämpft und die Finanzierbarkeit der Sozialsystem und auch der Rentensysteme verschlechtert. Und in Österreich sind die Bürger weniger gut im Sorgenmachen als in Deutschland.
Und weil man sich in Österreich nicht gerne Sorgen macht, hat man sich dort das Experiment mit einem Drei-Säulen-Model geschenkt.
Anfang des Jahrtausends wurde auch in Österreich über eine zusätzliche private Vorsorge diskutiert. Doch man entschied sich gegen die Teilprivatisierung und ist heute froh darüber. Verwundert schaut man auf dem Nachbarn Deutschland: Das ist aus österreichischer Perspektive schon sehr komisch, dass sich ein reiches Land wie Deutschland kein besseres Rentensystem leistet. Darüber wundern sich wohl noch mehr Politiker und Gewerkschafter in unseren Nachbarländern. Denn die Beispiele für deutlich bessere Versorgungen im Alter sind zahlreich. Das betrifft ganz besonders die Geringverdiener, die in keinem anderen Land Westeuropas so von Armut bedroht sind wie bei uns in Deutschland.
Fazit: In nahezu allen Nachbarländern bekommen Normalverdiener deutlich bessere Renten im Alter. Und in allen Ländern stehen sich Kleinverdiene im Alter besser als in Deutschland. Auch die EU-Kommission sprach in einem Länderreport im Februar 2017 eine scharfe Warnung aus: Die deutsche Politik habe in hohem Maße zur Vergrößerung der Armut beigetragen. Die Kommission befürchtet für die Zukunft: Die Angemessenheit der Renten wird voraussichtlich weiter abnehmen.
Aktuell wird weiter gekürzt!
Unter den Bedingungen der aktuellen Krise könne sie permanente Wirkungen auf das Rentenniveau und den Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) entfalten, die die ohnehin absehbare finanzielle Anspannung der GRV in der bevorstehenden akuten Phase der demographischen Alterung noch verschärften.
Siehe die Experten-Anhörung vom 26.Okt.20 im Ausschusses für Arbeit und Soziales zur F.D.P. Bundestagsdrucksache (19/20195)
Wenn sozialdemokratische Parteien ihre Funktion als Volkstribun oder Anwalt der Rentner/innen, oder der kleinen Leute nicht mehr Wahrnehmen, aber konservative Volksparteien sich dagegen sozialdemokratisieren und als Modernisierer auftreten, führt dies zur Schwächung ihrer Integrationsfunktion, zu Vertrauenskrisen und Wählerschwund. Solche Parteien hinterlassen auf ihrem Weg zur Mitte an den Rändern ein Vakuum, in das rechtspopulistische aber auch linkspopulistische, Parteien eindringen und es mit ihren Themen besetzen.
Fragen Sie Ihren Bundestagsabgeordneten nach seiner Meinung.