Der Spagat zwischen dem Recht auf Autonomie und Privatsphäre durch Selbstvernachlässigung und Eigen- und Fremdgefährdung ist schwierig; oft bleiben die Gründe im Dunkeln. Warten wir nicht auf einen Wohnungsbrand oder anderes Missgeschick. Schauen wir nicht länger weg, achten wir gegenseitig auf stumme Hilfeschreie. Sollen wir rechtzeitig Hilfen aufzeigen?
Anzeichen der Selbstvernachlässigung
Menschen können sich selbst vernachlässigen, indem sie sich selbst oder ihre Kleidung nicht reinhalten, keine Rechnungen bezahlen oder zu wenig essen und dehydriert oder unterernährt sind. Menschen suchen eventuell keinen Arzt auf. Ihre Wohnung kann schmutzig, baufällig oder von tierischen Schädlingen oder Schadinsekten befallen sein.
Die Selbstvernachlässigung kann die Mitbewohner, die öffentliche Gesundheit gefährden, wenn z. B. das Verhalten der Menschen zu einem erhöhten Brandrisiko führt.
Selbstvernachlässigung ist am wahrscheinlichsten bei Menschen, die
- allein leben und sich selbst isolieren
- an einer Erkrankung leiden, die ihr Gedächtnis oder Urteilsvermögen beeinträchtigt (wie z. B. Alzheimer-Krankheit)
- Missbrauch von Medikamenten und anderen Substanzen, wie z.B. Alkohol und Tabak.
- an einer schweren Depression leiden
Unsere Mitmenschen weisen oft keine besonderen erkennbare Probleme auf. Warum sich diese Menschen selbst vernachlässigen, ist unklar. Was wissen wir von unserem Nachbarn, unseren Anverwandten ihren Sorgen und Ängsten.
Wer einsam und hilfebedürftig ist, kann vielerlei Unterstützung gegen Geld bekommen: von Dienstleistern wie Amazon, von Ärzten, Einkaufsdiensten, Pflege, Physiotherapie und anderen. Die Armut der Geringverdiener und Rentner hindert die Leistungen in Anspruch zu nehmen. So leiden viele unbemerkt und äußern sich nicht.
Früher stellte die Kirchengemeinschaft, die erste Hilfe durch Gemeindeschwestern, die Seelsorgerinnen. Diese haben sich aus der direkten Mitgliederbetreuung zurückgezogen und betreiben wirtschaftlich ausgerichtete Caritas-, Diakonieeinrichtungen. Die fehlende Sorge und Nähe aus Kirchenmitgliedsmitteln, ist mit ein Grund der Kirchenaustritte. Viele andere Gründe können Ursachen und Auslöser der Selbstvernachlässigung sein.
Wenn Angst chronisch wird
Angst ist ein guter Schutz und hilft uns, im Leben zurecht zu kommen. Angst wird zur Gefahr, wenn sie dauerhaft den Tagesablauf lähmt und sich die tägliche Schutzfunktion im Einzelfall umkehrt.
Die Unterscheidung zwischen Selbstvernachlässigung und dem Recht auf Autonomie und Privatsphäre kann für Familienangehörige, Freunde und medizinische Fachkräfte und Ärzte sehr schwer sein. Ältere Menschen treffen für sich fundierte Entscheidungen. Sie haben vielleicht beschlossen, auf eine Weise zu leben, die andere nicht nachvollziehen können oder als erstrebenswert erachten.
Mit zunehmendem Alter sinkt bei allen Menschen bis zu einem gewissen Grad die Fähigkeit, tägliche Aktivitäten auszuführen (funktionale Fähigkeit). Außerdem haben ältere Menschen im Durchschnitt tendenziell mehr Erkrankungen und Gebrechen als jüngere Menschen. Die Veränderungen, die mit dem Altern einhergehen, sind jedoch mehr als nur gesundheitliche Veränderungen. Soziale Probleme (wie z. B. Wohnsituation und die Art der täglichen Aktivitäten) beeinflussen bei älteren Menschen das Risiko für und die Erfahrungen mit Krankheiten. So passt sich jeder für sich entsprechend seiner Möglichkeiten an. Wir kennen oft nicht die Ängste und Not und so kommen Missverständnisse schnell auf.
Auslöser können Angstsyndrome und Angsterkrankungen sein, sie gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen (Depressionen) im höheren Lebensalter. Über zehn Prozent der Senioren waren bereits 2005 in Deutschland davon betroffen. Schwere und klinische Bedeutung von Ängsten im höheren Alter werden oft stark unterschätzt. Erste Anzeichen von Demenz können sich in der Wesensveränderung anzeigen.
Wie sag ich´s wem und wann?
Warum sollte ich mich um den anderen kümmern. Die Antwort der Ethik ist: Mitverantwortlichkeit nimmt die Angewiesenheit des Menschen ernst und sucht das Glück des Lebens nicht nur in sich selbst und fordert oft andere zur Mithilfe. Diese Einsichtsfähigkeit ist nicht immer gegeben, umso schwieriger wird die notwendige Ansprache für uns als Außenstehende. Hier können Familienmitglieder, der Hausarzt, der Nachbar vielleicht helfen. Sprechen wir unsere Wahrnehmungen an. Fragen wir nach, bevor es zu spät ist. Bringen wir den Antrag auf Pflegebedürftigkeit, auch als Hilfe und Unterstützung, in die Diskussion.
Natürlich können wir uns auch weiter auf uns selbst besinnen und die Gesellschaft ins 19. Jahrhundert zurückfallen lassen. Sollen sich die Armen und Mindestlöhner doch kümmern und sich in Gewerkschaften und Parteien organisieren oder auf einen neuen Kolping oder Fliedner oder Marx warten.
Warten wir ab oder achten wir auf unseren Nachbarn und damit auch auf uns.
Dieser Beitrag entstand in Fortsetzung:
„Herausforderungen des Älterwerdens“ vom 12.1.2024
„Bürger aufgewacht“ vom 28.12.2023
Pflege: Arbeit, Liebesakt oder …. Vom 8.12.2023
Es folgt am: 15.3.24 SR
Sozialreformen sind notwendig
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